Hörspiel: Der letzte Überlebende:Ich bin, also denke ich

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: SZ)

Selten klingt der Rückzug von der Zivilisation so wunderbar volltönend: Guido Morsellis dystopischer Roman "Dissipatio humani generis oder Die Einsamkeit" als Hörspiel.

Von Stefan Fischer

Sie sind nicht versteinert oder liegen als Leichen herum, nein, die Menschen sind einfach weg. Seit zwei Uhr morgens gibt es keine Spur mehr von ihnen. Aber alle ihre Hinterlassenschaften sind noch da. Ihre vollen Kühlschränke, die sie nun nicht mehr leer essen können. Ihre betankten Autos, mit denen sie nirgends mehr hinfahren werden. Flughäfen, auf denen niemand mehr ankommen wird.

Der italienische Autor Guido Morselli hat diese Szenerie 1973 in seinem Roman Dissipatio humani generis oder Die Einsamkeit beschrieben. Bei Suhrkamp ist dieses bemerkenswerte Buch über das Verwehen der Menschheit, wie man den lateinischen Teil des Titels übertragen kann, in diesem Sommer neu erschienen; und der Autor und ehemalige Hanser-Verleger Michael Krüger hat den schmalen Band sogleich fürs Radio bearbeitet.

Noch laufen die Maschinen, sie erfüllen aber keinen Zweck mehr

In seiner Hörspielinszenierung für NDR und Deutschlandradio entwirft der Regisseur Henri Hüster mittels der Kompositionen von Florentin Berger-Monit und Johannes Wernicke das akustische Szenario einer sterbenden Zivilisation. Solange irgendwelche Stromkreise nach wie vor intakt und Batterien noch geladen sind, produzieren die von der Menschheit geschaffenen Apparaturen weiter Geräusche - die nun aber ins Leere laufen, abgekoppelt von dem Zweck, den die Maschinen einmal erfüllt haben. Ein wenig ist das so, wie wenn man am Nachthimmel noch Sonnen sieht, die längst erloschen sind, deren Licht aber jetzt erst die Erde erreicht.

Es gibt den Einen, der überlebt hat. Dieser Mann, 40 Jahre alt und in der Hörspielinszenierung dargestellt von Thiemo Strutzenberger, Ensemblemitglied am Münchner Residenztheater, unterscheidet sich insofern von all den übrigen letzten Überlebenden der dystopischen Literatur, als dass er sich selbst gar nicht mehr als Teil der Menschheitsfamilie begriffen hat. Der also durch das Verschwinden der menschlichen Zivilisation nichts verliert, was er vermissen könnte.

Der Überlebende wischt jeden Gedanken an den Menschen als soziales Wesen beiseite

Und so ist seine Geschichte weit weniger eine Abenteuerzählung, die von einem Überlebenskampf handelt. Sondern ein philosophisches Nachdenken über die Einsamkeit. Während dieser Mensch, der sich eigentlich umbringen wollte in der Nacht, in der alle anderen verschwunden sind, Alban Bergs Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels" hört, wischt er jeden Gedanken an den Menschen als soziales Wesen beiseite.

"Wir denken nur in Abhängigkeit von anderen, lautet ein Lehrsatz der Soziologie", spottet er: "Alles Quatsch. Nur weil ich allein bin, höre ich doch nicht auf, Begriffe zu bilden. Ich bin, also denke ich. Das Denken war fast immer einsam, Selbstzweck, asozial." Dieser radikale Einzelgänger wird hier zum alleinigen Repräsentanten der menschlichen Existenz.

Dissipatio humani generis oder Die Einsamkeit, NDR Kultur, 29. September 2021, 20 Uhr.

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