Hörspiel "Das Schneckengrabhaus":Leben am Grabstein

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(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)

Kein Interesse, keine Zeit, kein Platz: Ein BR-Hörspiel über eine wunderbar pampige Romni.

Von Stefan Fischer

Der Friedhof als letzter Ort, der ihr bleibt? Das zeichnet sich ab für Ramisa, obwohl sie noch keine 30 Jahre alt ist und eine erschreckend explosive Lebensenergie in sich trägt. Damit überfordert sie nicht nur ihre ruhebedürftige Umwelt, sondern manchmal sogar sich selbst. "Sei nicht so anstrengend", sagt ihre Mutter einmal zu ihr, da ist Ramisa noch eine Schülerin, und die Familie lebt noch in Belgrad.

Sie ist aufgewachsen mit den Bombardements der Nato auf ihre Heimat

Ramisa ist eine Romni aus Serbien. Sie ist aufgewachsen mit den Bombardements der Nato auf ihre Heimat. Und musste erleben, wie es nach dem Krieg weiterging mit dem Hass der Volksgruppen aufeinander, mit der Ausgrenzung und Benachteiligung. Lehrerin wollte sie werden. Aber "in Belgrad haben mir die Rassisten nur Putzjobs gegeben", wettert sie.

Und in München? Fegt sie Laub auf einem Friedhof, ein Ein-Euro-Job. Seit neun Jahren lebt sie in der Stadt. Anfangs in der Hoffnung, Asyl bewilligt zu bekommen. Länger schon in der Angst, abgeschoben zu werden. Ihr Leben war immer prekär, inzwischen hat sie nicht einmal mehr eine Wohnung. Sie lebt, wo sie arbeitet, zwischen den Grabsteinen. Diese Stadt, stellt Ramisa verbittert fest, kenne keine Gnade: "Aber ich auch nicht!"

So droht sie in Denijen Pauljevićs Hörspiel Das Schneckengrabhaus, das Ralf Haarmann inszeniert hat: "Ich werde mich mit allen anlegen." Sie werde diese Stadt niederstechen und verbluten lassen. Eine irrsinnige Wut spricht aus Ramisa, gespielt von Zeynep Bozbay. Darüber, dass sie nicht die Chance bekommt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Darüber, dass sie nach Regeln funktionieren soll, die sie nicht versteht. Pauljević wechselt zwischen aggressiven monologischen und etwas sanfteren dialogischen Passagen. Ihrer Mutter (Jelena Kuljić) gegenüber ist sie ziemlich erbarmungslos, aber mit einem Pfarrer und einem Friedhofsbesucher kommt sie tatsächlich ins Gespräch.

Ihre Pampigkeit und Angriffslust entpuppt sich in solchen Momenten als eine Fassade, die sie vor ihre Hilf- und Ratlosigkeit schiebt. Viel lieber als eine Revolution in eigener Sache anzuzetteln, wären Ramisa Geborgenheit, Respekt und eine Perspektive. Aber dafür scheint in dieser Stadt kein Platz und keine Zeit zu sein.

Das Schneckengrabhaus, Bayern 2, 14. Januar 2022, 21.05 Uhr.

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