Süddeutsche Zeitung

Hörspiel:Her mit den Daten

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Wenn Ratings über Menschen zum Verkauf stehen: Das Hörspiel "Das neue Vertrauen" entwirft ein beängstigendes Szenario. Reine Science-Fiction ist der Plot nicht.

Von Stefan Fischer

Irgendwann spricht es jemand aus: Michael sei doch selbst schuld an seiner verheerenden Situation. Schließlich redet er ständig in sein Smartphone und seinen Smartspeaker. Vollkommen unbedacht quasselt er und tippt und streamt. Klar, dass er dabei eine irrsinnige Datenspur hinterlässt. Musste ja so kommen, dass all diese Informationen irgendwann gegen ihn verwendet werden.

Der Vorwurf ist zynisch, weil viele sich verhalten wie Michael. Aber eben auch zutreffend. Ein Auto unabgeschlossen mit dem Schlüssel im Zündschloss zu parken, rechtfertigt nicht einen Diebstahl, begünstigt ihn aber immens. Wer bereitwillig Daten preisgibt, hat schlechte Argumente, wenn er auf seiner Privatsphäre beharrt.

Michael, der Lehrer, steht am Pranger

Das beängstigende Szenario, das Aline Bender und Alex Schaad in ihrem Hörspiel Das neue Vertrauen entwerfen, spielt in einer erweiterten Gegenwart. Noch ist es nicht Teil der Realität, dass Tech-Konzerne ein Rating der Person aus all den Daten erstellen, die sie über einen Menschen sammeln. Und Partner, Vorgesetzte, Nachbarn die Auswertung dann kaufen können - eine Art Schufa-Eintrag für alle Lebensbereiche. B.good heißt das dazugehörige fiktive Unternehmen. Reine Science-Fiction ist der Plot jedoch auch nicht. Was in Das neue Vertrauen geschieht, liegt im Bereich des konkret Denkbaren.

Michael, der Lehrer ist, steht am Pranger. Seine Werte sind bestenfalls mittelmäßig, im Job genauso wie in der Beziehung. Dass er sich privat abfällig über Schülerinnen geäußert hat und regelmäßig Pornos sieht, wird für viele Eltern zum Argument dafür, dass er für seinen Beruf nicht geeignet sei. Einige Jugendliche boykottieren seinen Unterricht, der Rektor gerät in einen Loyalitätskonflikt. Eine scheinheilige Aufregung, weil niemand die moralischen Kriterien erfüllt, die angelegt werden. Bei Michael ist das als Einzigem nur eben offensichtlich.

Das Hörspiel basiert auf dem Kurzfilm Invention of Trust, für den Schaad vor fünf Jahren einen Studenten-Oscar gewonnen hat. Entworfen hat er die Geschichte gemeinsam mit seinem Bruder, dem Schauspieler Dimitrij Schaad. Der spielt im Hörspiel die Hauptfigur, Co-Autorin der Radioadaption ist Aline Bender. Das neue Vertrauen zielt weniger auf die Ungeheuerlichkeit dieses Geschäftsmodells ab als auf diejenigen, die es begünstigen durch ihr Verhalten - sei es durch Sorglosigkeit im Digitalen, sei es durch den Vorteil, den sie in diesem Ratingsystem für sich erkennen. Atmosphärisch spiegelt sich das treffend, indem Alex Schaad die Kommunikation häufig inszeniert als Telefongespräche, Mailboxnachrichten und Sprachbefehle.

Das neue Vertrauen , Bayern 2, Sonntag, 15.05 Uhr.

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