Hörspiel "Der Großinquisitor":Pragmatiker der Macht

Hörspiel "Der Großinquisitor": Valery Tscheplanowa.

Valery Tscheplanowa.

(Foto: Georg Wendt/picture alliance)

Der Großinquisitor will in SC Deigners Hörspiel die Freiheit des Einzelnen beschränken. Ein Monolog, der zum Tribunal wird - und überraschend aktuell wirkt.

Von Stefan Fischer

Zwei monströse Texte hat der Autor und Musiker Björn SC Deigner ausgewählt als Fundamente seines Hörspiels Der Großinquisitor: das Johannes-Evangelium und Fjodor Dostojewskis Roman Die Brüder Karamasow. Deigner beginnt sein Stück mit der Hochzeit zu Kana, jener Episode, mit der Jesus im Johannes-Evangelium als Sohn Gottes und Messias eingeführt wird, indem er Wasser in Wein verwandelt. Es ist das erste jener Zeichen, mit denen Jesus seine göttlichen Fähigkeiten kundtut.

Dostojewski wiederum hat im fünften Buch seines Romans ein spezielles Kapitel eingefügt, das auch eigens als Buch veröffentlicht worden ist unter dem Titel Der Großinquisitor. Iwan Karamasow erzählt darin die wunderliche Geschichte von der Rückkehr Jesu auf die Erde. Diesen Plot übernimmt Deigner. Bei Dostojewski spielt die Szenerie im Sevilla des 16. Jahrhunderts, während der Inquisition. Bei Deigner in einer Zeitlosigkeit, die sich mühelos auf die Gegenwart beziehen lässt, ja: bezogen werden muss.

Die Kirche, nicht der Sohn Gottes, ist Sachwalter für göttliche wie weltliche Angelegenheiten

Der Heiland wird erkannt, auch vom greisen Kardinal der Stadt, der zugleich als Großinquisitor fungiert. Der lässt Jesus einkerkern und erklärt ihn zur Persona non grata, die kein Recht mehr habe, sich in die Angelegenheiten der Kirche einzumischen. Die Kirche und nicht der Sohn Gottes sei der rechte Sachwalter für alle Angelegenheiten des Christentums, göttliche wie weltliche.

Ein Monolog ist das bei Deigner, beinahe kühl gesprochen von Valery Tscheplanowa, der die Gestalt eines Tribunals annimmt. Die Kompositionen des Autors verstärken die Irritationen - ein Klappern, zartes Hupen, Brummen, Glockenläuten und Hosianna-Singen erzeugen eine akustische Atmosphäre, die nicht aus unserer Welt und unserer Zeit sind.

Und doch erzählt das Hörspiel vor allem etwas über unsere Gegenwart. Über den Konflikt, den die Mächtigen mit den Störenfrieden austragen. Über das Selbstverständnis der Eliten und die Rolle der Außenseiter. Über Glauben und Zweifeln. Der Großinquisitor ist ein Pragmatiker der Macht - ganz gewiss kein Demokrat, aber auch kein Despot. Er grenzt aus Gründen der Staatsvernunft die Freiheiten des Einzelnen ein. Eine Debatte, die aus konkretem Anlass aktuell gerade leidenschaftlich geführt wird. Björn SC Deigner und Valery Tscheplanowa heben sie souverän auf eine grundsätzliche Ebene.

Der Großinquisitor, SWR 2, Donnerstag, 22.05 Uhr.

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