Historische TV-Duelle:Das TV-Duell, der gefährlichste Moment des Wahlkampfs

Ob Kennedy gegen Nixon oder Stoiber gegen Schröder: Das direkte Wortgefecht zwischen Politikern ist oft skurril und hat schon so manche Wahl gedreht. Sieben legendäre Debatten.

Von Joshua Beer und Johanna Dürrholz

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USA: John F. Kennedy versus Richard Nixon (1960)

John F. Kennedy im Fensehduell mit Richard Nixon 1960

Quelle: picture alliance / AP Images

Das erste Fernseh-Duell der Geschichte findet sich natürlich im Mutterland des Unterhaltungsfernsehens, den USA: Im Jahre 1960 steht bereits in neun von zehn Haushalten ein Fernsehgerät und so schalten rund 40 Prozent der Amerikaner zu, als der junge Demokrat John F. Kennedy gegen den damaligen Vize-Präsidenten Richard Nixon in vier aufeinander folgenden Duellen antritt. Dass das Medium für alle Beteiligten neu ist, bleibt in der ersten Debatte kaum verborgen. Die Kandidaten wissen manchmal nicht, wann sie stehen und wann sie sitzen sollen und die Gesprächsführung ist streckenweise holprig. Dennoch ist diese Debatte wegweisend für alles, was danach kommt. Diese Termine waren eine Zäsur für Politik und Medien.

Eine folgenreiche und besonders für den Republikaner Nixon bittere Erkenntnis liefert das historische Duell gleich mit: Die Zeiten, in denen es nur darauf ankam, was ein Politiker sagt, sind vorüber. Seither zählt auch (andere sagen: vor allem), wie der Politiker dabei aussieht. Hämische Stimmen behaupten nach dem Duell anno 1960, der Schweiß auf Nixons Kinn und die Wahl seines Anzugs hätten ihn die Präsidentschaft gekostet. Das ist heute umstritten, doch Fakt ist: In seinem grauen Anzug verschmilzt der blässliche Nixon in der Schwarz-Weiß-Übertragung mit dem Hintergrund, agiert unsicher und wirkt so schwach als käme er gerade aus dem Krankenhaus (was daran liegt, dass er tatsächlich gerade aus dem Krankenhaus kommt). Kennedy aber ist gesund gebräunt, trägt einen kontrastreichen tiefschwarzen Anzug und gibt sich so telegen, als stünde er schon seit 20 Jahren vor der Kamera. Das Resultat: Kennedy überholt in Umfragen den zuvor führenden Nixon und gewinnt die historische Wahl. Für die USA beginnt hier die Hinwendung zum Medienwahlkampf mit Show-Potenzial - eine Entwicklung, die ihren letzten Höhepunkt bekanntlich 2016 im Wahlkampf Donald Trumps hat.

Joshua Beer

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Deutschland: Edmund Stoiber versus Gerhard Schröder (2002)

Bundestagswahlkampf im Fernsehen - Stoiber und Schröder

Quelle: picture-alliance/ dpa

Die deutsche Politik schielt ja bekanntlich gerne nach der amerikanischen, doch die Tradition des TV-Duells hat sich überraschend spät auf die Bundesrepublik übertragen. Das wusste der ewige Kanzler Helmut Kohl schon zu unterbinden. Gerhard Schröder und Edmund Stoiber sind 2002 die ersten Kanzlerkandidaten, die als solche im Fernsehen aufeinandertreffen - dann aber gleich zwei Mal hintereinander. Für Schröder steht zu dem Zeitpunkt die zweite Amtszeit auf dem Spiel, denn die Union liegt in Umfragen vorne.

Aber auch wenn das Format des Fernseh-Duells aus den USA übernommen ist, fehlt der deutschen Version die amerikanische Emotionalität. Schröder und Stoiber suchen lieber die sachliche Ebene, sind vergleichsweise zahm und unaufgeregt. Das verleiht den beiden Duellen eine gewisse Zähigkeit, sodass man Schröders selbstverliebte Eskapaden fast dankend hinnimmt. Im zweiten Duell verzichtet aber auch er auf die übliche Prahlerei, übt sich gar in Bescheidenheit: "Wir haben viel erreicht, dabei nicht alles geschafft." Mit seiner auffallend ruhigen Art bootet er den rhetorisch weniger begabten Stoiber erfolgreich aus, stichelt und reizt seinen Kontrahenten. Auf die Frage, warum Stoiber keine möglichen Minister benennt, antwortet dieser mit einem Kopfnicken zu Schröder: "Ein Schattenkabinett haben wir schon." Der Kanzler lacht und entgegnet: "War ein gelungener Gag, Herr Stoiber, gratuliere!" Punkt für den souveränen Schröder und so ergeht es den meisten, oft plumpen Angriffen, die Stoiber versucht. Nicht einmal die vier Millionen Arbeitslosen im Land kann er dem Kanzler wirklich überzeugend ankreiden. Und dann eiert er auch noch bei der Frage nach der militärischen Intervention im Irak herum, während Schröder mit einem klaren "Nein" Profil zeigt.

Das Ergebnis: Schröder macht den Rückstand zur Union wieder gut, gewinnt die Wahl und regiert mit den Grünen anschließend weiter. Sachlichkeit gut und schön, doch Charisma holt auch hierzulande Stimmen.

Joshua Beer

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Deutschland: Angela Merkel versus Gerhard Schröder (2005)

TV-Duell Merkel - Schröder

Quelle: dpa

Kaum jemand hätte 2005 wohl darauf wetten mögen, dass Angela Merkel 2017 bereits ihr viertes TV-Duell bestreiten wird. Sie selbst vielleicht auch nicht, so nervös wie Merkel damals wirkte. Und irgendwie ist es fast schön, die mittlerweile so gelassene Angela Merkel mal wieder ein bisschen aufgeregt zu sehen. Mit wild klimpernden Augen und für ihre Verhältnisse nahezu ausufernder Gestik steht sie da, die Gerhard-Schröder-Herausforderin. Der ist zwar mindestens genauso gut vorbereitet wie Merkel, macht aber den fatalen Fehler, seine Gegnerin zu unterschätzen. Und das dann auch noch zu zeigen. Er lächelt sie nett an, so wie ein Lateinlehrer seine liebste Einserschülerin anlächelt, wenn die was Schlaues sagt. Als wollte er sagen: "Toll, was die alles weiß. Aber ich weiß mehr."

Trotz seiner vielfach kritisierten Überheblichkeit schlägt sich Schröder gut. Auf die Frage nach dem aktuellen Dieselpreis kann er präzise antworten und beweist damit, dass er seinen Wählern nahe ist. Den Umfragen zufolge geht er als deutlicher Sieger aus dem Duell hervor - Merkel schlägt sich allerdings viel besser als gedacht.

Und heute zeigt sich dann doch deutlich, wie sehr sich Deutschland verändert hat, seit es von einer Frau regiert wird: Gerade einmal zwölf Jahre ist es her, dass Angela Merkel sich vor Schröder und seiner damaligen Frau Doris Schröder-Köpf für ihre Kinderlosigkeit rechtfertigen musste. Und dass ein amtierender Bundeskanzler erklärt, dass er seine Frau liebe - gerade, weil sie arbeitet. Aber gegen eine Frau verlieren? Lieber nicht. Schon gar nicht gegen eine kinderlose. Einmal vorspulen, und wir befinden uns zum Glück wieder im Jahr 2017.

Johanna Dürrholz

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Österreich: Alexander Van der Bellen versus Norbert Hofer (2016)

TV-Duell in Österreich: Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer

Quelle: dpa

Die Altparteien abgeschlagen, das Land polarisiert. In der Stichwahl 2016 um das Bundespräsidentenamt in Österreich stehen zwei Kontrast-Kandidaten: der von den Grünen gestützte Alexander Van der Bellen und der Rechtspopulist Norbert Hofer von der FPÖ. Die historische Einmaligkeit der Wahl wird jedoch von peinlichen Pannen überschattet, die den Wahlkampf ermüdend ausdehnen. Vor der ersten, für ungültig erklärten Stichwahl im Mai markiert das legendäre TV-Duell der beiden Kandidaten bereits einen denkwürdigen Tiefpunkt.

Man könnte meinen, der Privatsender ATV wagt ein interessantes Experiment, indem er Hofer und Van der Bellen ohne Moderator an einen Tisch setzt und den Dingen ihren Lauf lässt. Allerdings hat das Experiment fatale Konsequenzen, denn leider halten die beiden nur die ersten Minuten das Niveau einer relativ seriösen Diskussion. Danach artet das Gespräch in ein Fest fürs Fremdschämen aus. Hofer duckt sich vor kritischen Fragen weg, Wirtschaftsprofessor Van der Bellen verfällt in einen belehrenden Duktus und beide scheinen sich möglichst oft gegenseitig unterbrechen zu wollen. Auch den Preis für "die offensivste Arroganz" müssen sich die zwei am Ende teilen. Wuchtige Themen wie Europapolitik verschwinden hinter Highlights wie diesen: "Ich bin dra-a-an" (Van der Bellen) - "Singen können Sie auch noch" (Hofer) oder: "Ich spreche von Europa, E-U-R-O-P-A, okay? Nie gehört?" (Van der Bellen) - "Mein Gott, so oberlehrerhaft" (Hofer).

Die spöttische Wortkeilerei sinkt auf ein kindisches Niveau, nah an der Grenze des Erträglichen, sodass der Gong nach 45 Minuten fast einer himmlischen Erlösung gleicht. In Erinnerung bleiben eigentlich nur Van der Bellens "Jetzt kommt der Schmarrn wieder", Hofers süffisant gezogenes "Herr Doktooor" und für die Zuschauer zahlreiche Gründe, warum keiner der beiden ins Amt des Präsidenten gehört.

Joshua Beer

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USA: Donald Trump versus Hillary Clinton (2016)

Hillary Clinton And Donald Trump Face Off In First Presidential Debate At Hofstra University

Quelle: AFP

Okay, an dem (jetzt schon historischen) US-Wahlkampf 2016 ist so einiges bemerkenswert. Als nach aufreibenden Monaten dann endlich Hillary Clinton und Donald Trump in drei TV-Duellen aufeinander treffen, brechen sie gleich zwei Rekorde: Noch nie standen sich zwei dermaßen unbeliebte Kandidaten gegenüber und noch nie schalteten so viele Zuschauer (84 Millionen bei der ersten Debatte) zu, womit Trump und Clinton sogar das finale Carter/Reagan-Duell (80,6 Millionen) von 1980 vom Thron stoßen.

57 Jahre nach Kennedy/Nixon sind die TV-Duelle vom US-Fernsehen professionalisiert und durchgetaktet, doch auf "The Donald" sind sie trotzdem nicht eingestellt. In der ersten Debatte redet er sich erwartungsgemäß in Rage, fällt sowohl Clinton als auch dem Moderator permanent ins Wort und verheddert sich in abstrusen Aussagen wie: "Und darum bekämpft Hillary den IS schon ihr gesamtes Erwachsenenleben lang". Trotz all der groben Ausbrüche bezeichnet er sein Temperament als seine "bei weitem stärkste Eigenschaft". Clinton fällt dazu nicht mehr als "Wow, okay" ein und versucht, die aggressive Art ihres Gegners wegzulachen. Komik-Potenzial hat das seltsame Duell tatsächlich, etwa als Trump auf Clintons Vorwurf, er habe durch Tricks Steuerzahlungen vermieden, ein "Das macht mich schlau" einwirft. Diese intuitive Redetaktik mit ihren spontanen Entgleisungen lässt Trump manchmal auf merkwürdige Weise echter erscheinen als Clinton, die wie gedruckt spricht und deren Augen immer wieder auf das Manuskript vor ihr wandern.

Trotzdem: Nach Trumps rüdem Auftritt traut ihm kaum jemand so recht zu, Präsident zu werden. Auch in der zweiten Debatte hinterlässt er einen befremdlichen Eindruck, als er wie ein Raubtier hinter der sprechenden Clinton umhertigert. Erst im letzten Aufeinandertreffen ändert er seine Strategie. Es ist derselbe Populismus, dieselbe Selbstverliebtheit, doch diesmal gefasster im Ton und klüger verpackt. Und nicht wenige Stimmen raunen hinterher: "Mein Gott, der Mann könnte es packen."

Joshua Beer

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Frankreich: Marine Le Pen versus Emmanuel Macron (2017)

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Quelle: AFP

Eigentlich wirkt alles ganz nett, so im ersten Moment: Niemand wird rot, niemand laut. Macron hat besonders blaue Augen, Le Pen diese rauchige Stimme. Dabei ist gar nichts nett an diesem Duell. Schuld an einem solchen Fehleindruck ist für Außenstehende natürlich die französische Sprache, dieser betörende Singsang, der ein Duell kurzfristig harmlos erscheinen lässt, das an Beleidigungen und gegenseitigen Vorwürfen kaum zu übertreffen ist. "Madame Le Pen" sagt Emmanuel Macron immer wieder, in tadelndem Tonfall und mit hochgezogenen Augenbrauen herüberschauend, ganz nach dem Motto: "Aber Madame, das können Sie doch nun wirklich nicht ernst meinen." Und wie es sich als Reaktion auf eine väterliche Rüge gehört, schießt Le Pen bissig zurück. Macron sei ein "arroganter, kaltherziger, verwöhnter Banker, der den Weg frei mache für islamistischen Terror". Neben unsachlichen Vorhaltungen glänzt Marine Le Pen, Hardlinerin der Herzen, vorrangig mit bemerkenswert schlechter Vorbereitung: Sie verwechselt den Verkauf zweier Unternehmen, schaut immer wieder hektisch auf ihre Notizen, die ihr nicht viel Inhaltliches zu verraten scheinen. Das hindert sie jedoch nicht daran, Macron der "wilden Globalisierung" zu bezichtigen, ihn als Ziehsohn Angela Merkels zu karikieren und zu erklären, sie selbst werde "Deutschland leiden lassen". Macron wirft ihr im Gegenzug vor, das Land zu spalten. Sie sei "korrupt, respektlos, gefährlich nationalistisch und eine Lügnerin". Das Niveau der Diskussion sinkt zeitweise auf das eines Kindergarten-Schlagabtauschs: "Monsieur Macron, Sie sind nicht glaubwürdig." - "Ich bin glaubwürdiger als Sie!"

Am Ende sind potenzielle Wähler wohl kaum schlauer, Inhalte mussten persönlichen Gefühlen weichen. Auch, weil es den Moderatoren zwischenzeitlich 15 Minuten am Stück nicht gelungen ist, die beiden Politiker zu stoppen. Und einmal mehr hat sich bewiesen, was Jaques Chirac schon 2002 konstatierte, als er sich weigerte, ein TV-Duell mit Le Pens Vater zu bestreiten: "Mit Rechtsradikalen kann man nicht diskutieren."

Johanna Dürrholz

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Großbritannien: Theresa May versus Jeremy Corbyn (2017)

2er Combo

Quelle: (M)

Das Duell zwischen dem Labour-Chef Corbyn und der konservativen Premierministerin Theresa May wird eindeutig von einer Person namens Jeremy dominiert. Doch nicht Jeremy Corbyn steht im Mittelpunkt, sondern Talkmaster-Urgestein Jeremy Paxman. Eigentlich grillt er nicht zum ersten Mal die Spitzenkandidaten im entscheidenden TV-Duell. Eigentlich ist er für markige Sprüche und kritische Fragen bekannt. Doch davon ist bei diesem Auftritt nichts zu spüren. Das ist auch dem Format geschuldet: Corbyn und May treten nicht direkt gegeneinander an, sondern stellen sich erst Fragen der Zuschauer und müssen sich dann einzeln mit dem Moderator herumschlagen.

Außerdem ist Jeremy Corbyn eine harte Nuss. Er ist mindestens ebenso schlagfertig wie Paxman und obendrein viel sympathischer. Paxman wittert wohl Gefahr und fährt deshalb eine nervenzerreißende Taktik: Er wiederholt Fragen so lange, bis sie endlich beantwortet werden - nur, um die antwortende Person dann mitten im Satz zu unterbrechen und die nächste Frage wieder und wieder zu stellen. Corbyn quittiert diese Strategie mit entwaffnender Lakonie. Warum nichts von einer Abschaffung der Monarchie im Wahlprogramm stehe? "Nun, weil wir das nicht tun werden." Die Lacher sind auf Corbyns Seite.

May schlägt sich bei weitem nicht so wacker wie Corbyn, doch auch sie gibt sich alle Mühe, Paxman mit seinen billigen Attacken auflaufen zu lassen. Mit verzweifelter Hartnäckigkeit klammert der Moderator sich folglich an seine letzte Superkraft, seine skrupellose Unverschämtheit. Er wirft Theresa May vor: "Wenn ich in Brüssel säße und mit Ihnen verhandeln müsste, würde ich mir denken: Sie ist eine Angeberin, die beim ersten Anzeichen eines Schusses kollabiert." Nach diesem Duell ist man ziemlich froh, dass Jeremy Paxman nicht in Brüssel sitzt, sondern nur in einem Fernsehstudio.

Johanna Dürrholz

© SZ.de/jbee/luch/doer/lala
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