Hirnforschung bei der "Bild"-Zeitung:Leser in die Röhre

Schon immer robbte sich die "Bild"-Zeitung nah an ihre Leser heran - jetzt kriecht das Boulevard-Blatt sogar in sie hinein: Bei einer seltsamen Medien-Medizin-Aktion sollen die Hirne von Lesern durchleuchtet werden. Die Zeitung will wissen, was sie denken, wenn sie den Boulevard lesen.

Werner Bartens

Während fast alle Zeitungshäuser hektisch den richtigen Zugang zu den neuen Medien suchen, ihre Online-Präsentation aufhübschen, twittern und sich darin überbieten, ihre Lesern zum Bezahlen für digitale Inhalte zu bewegen, ist Bild schon einen Schritt weiter. Die Zeitung geht zur Markenpflege direkt an die Schnittstelle der Leser-Blatt-Bindung - in der Fußballsprache würde man sagen, dahin, wo es wehtut: ins Gehirn des Lesers. Das Springer-Blatt schickt Leser in die Röhre und will im Kernspin herausfinden, was sich im Hirn tut, wenn sie Bild und die Bilder in Bild anschauen.

Kooperationspartner ist Ernst Pöppel, der Boulevard-Wissenschaftler unter den Hirnforschern. Pöppel war Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Jetzt ist er 71 und emeritiert. Gegen Ende seiner akademischen Laufbahn hat er ein schwer verständliches Buch geschrieben, das Der Rahmen heißt. Pöppel vermischt darin sehr Persönliches mit sehr Allgemeinem, beschreibt Forschungsdetails, um sich dann wieder an das große Ganze zu machen, die Weltdeutung beispielsweise. So ungefähr kann man sich auch die Themenschwerpunkte der Bild-Zeitung vorstellen, dem täglichen Fachblatt der Neurowissenschaftler.

Wo es im Hirn besonders flackert

Hirnforscher haben seit wenigen Jahren ein neues Spielzeug, den fMRT-Scanner. Das kryptische Kürzel bedeutet so viel wie funktionelles Kernspin. Der Proband oder Patient wird in die Röhre gelegt; als Ergebnis bekommt man aber nicht nur öde Grautöne zu sehen, sondern auch ein paar Farbkleckse und zwar dort, wo das Gehirn gerade besonders beschäftigt ist. Das Gerät misst vermehrte Durchblutung und gesteigerte Stoffwechselaktivitäten. Allwöchentlich blasen Neuroforscher neue fMRT-Erkenntnisse in die Welt, die verraten, wo es im Hirn besonders flackert, wenn man Pudding isst, seinen Nachbarn ärgert oder das Bild eines zähnefletschenden Hundes sieht.

Das Problem ist allerdings die Interpretation der Bilder. Leuchtet das Angstzentrum auf, wenn man das Bild eines Hundes sieht, kann nicht mal Ernst Pöppel sagen, ob es flackert, weil der Proband Angst vor dem Hund hat - oder weil er Angst hat, den richtigen Zeitpunkt zum Gassigehen zu verpassen, während er hier so blöd in der Röhre liegt.

Bild will nun Leser in die Röhre legen und wissen, "was sie denken, wenn sie Bild lesen. Was fühlen Sie, wenn Sie die großen Fotos in Bild anschauen?" Die Enttäuschung könnte groß sein, denn bei manchen Fotos in der Bild werden wohl gar keine Aktivitätsmuster im Hirn zu verzeichnen sein. Die Durchblutung hat sich dann aktuell nach weiter südlich verlagert.

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