Süddeutsche Zeitung

ZDF-Nachrichten:Mainzer Möbelrücken

Die "Heute"-Sendungen kommen aus einem neuen Studio. Das entspricht dem Zeitgeist und ist gelungen. Vor allem weil der riesige Tisch verschwunden ist, der besser zu Wladimir Putin passt als zu Claus Kleber.

Von Gerhard Matzig

Wäre die Tiny-House-Philosophie möglichst kleiner Räume nicht generell der Abnahme und Reduktion gewidmet, aus spirituellen und ökologischen Gründen, so dürfte man seit Montagabend eine prominente Zunahme und Expansion dieser Bewegung feiern. Zum raumbewusst niedlichen Tiny-House-Movement gehört jetzt auch das ZDF. Deren "Nachrichtenfamilie" (man fühlt sich gleich an die vor vielen Monden und beinahe so vielen Flut-Extrasendungen im Zweiten ausgestrahlten Waltons erinnert) wird nun "in neuem Design und aus einem technisch runderneuerten Studio" präsentiert.

Das betrifft insgesamt acht Formate von Heute über das Heute-Journal bis zu Logo!. Wichtigste Erkenntnis bisher: Die Größe des Studios, in dem sich die Nachrichtenfamilie auf dem Lerchenberg in Mainz wohnlich eingerichtet hat, wurde mehr als halbiert; aus den rund 700 Studio-Quadratmetern von einst wurden noch etwa 300 Quadratmeter. Ob der Rest untervermietet wird oder dem demnächst in Rente gehenden Moderator Claus Kleber als Austragshäusl zugedacht ist, ist noch unklar. Derzeit wird renoviert. Im angeblichen Putin-Zuhause am Schwarzen Meer wären 300 Quadratmeter übrigens gerade noch ausreichend für das Zimmer mit der Carrera-Bahn.

Die zweite Erkenntnis aus der 19-Uhr-Sendung vom Montag liegt daher darin: Man kann offenbar auch auf vergleichsweise knappem Raum gewohnt seriös berichten aus aller Welt. Die Heute-Sendung ist nicht schlechter geworden - und wirkt auch dank anderer relativ zurückhaltender Auffrischungen und Layouts, die zudem digitalaffin sind, konzentriert. Die neuen Räumlichkeiten künden von einer angemessenen Modernisierung. Es ist eine Balance aus Gewohntem (wo nötig) und Erneuertem (wo möglich). Das ZDF wird smart. Wieder - könnte man sagen.

Als das ZDF 1974, also etwa zur Zeit der Waltons, Nachrichten sendete, waren die Interviews mit den Politikern, immer Männer mit oft noch schwarzen dicken Brillen, angenehm lang. Und der oberstufenhaft wirkende Schreibtisch des schon zeitgemäß schmal bebrillten "Redakteurs im Studio", immer Männer, war von zeitgenössisch limitierter Art. Aber auf dem Tisch stand immerhin noch ein Telefon, weiß, nicht rot, zu sehen auf Youtube. Seither ist ein halbes Jahrhundert vergangen, und damit man das auch merkt, ist das Telefon verschwunden. Auch weg: die analoge Zeiger-Uhr, die dem Digitalen, seufz, gewichen ist. Bald ist nur noch die Uhr im Bentley analog. Dort wird man dann einziehen.

Der alte Tisch war ein elf Meter langes Missverständnis

Aber zum Glück ist in Mainz ja auch der titanische Einbaum verschwunden, dieses XXL-Möbel in Ballsaal-Abmessung, bei dem man sich bis zuletzt immer gefragt hat, ob es möglicherweise ein so kompliziert konstruiertes wie archaisch erscheinendes prähistorisches Boot ist, das eigentlich im Humboldt-Forum der außereuropäischen Ideengeschichte vor Anker gehen sollte. Oder ob es einer Set-Idee von Ken Adam für frühe James-Bond-Hauptquartiere des Bösen entsprungen sein könnte.

Man wird diesem elf Meter langen Missverständnis aus Tischler-will-ins-Buch-der-Rekorde-Ehrgeiz, Biomorphismus und formverleimter Dielenware (Nussbaum) nicht hinterherweinen. Im Gegensatz vielleicht zu Kleber. Der neue, deutlich kleinere Tisch, auch er hat sich demonstrativ der Tiny-Idee verschrieben, ist also schon mal angenehm proportioniert. L-Förmig, geschwungen (dem Gegenwartsdesign geschuldet), aus Holz (dem Gegenwartsdesign geschuldet) - aber jedenfalls nicht mehr so ... so absurd futuristisch und überambitioniert. Man sollte den alten Tisch Putin schenken. Der mag so was.

Der neue Tisch wurde übrigens in Sachsen gebaut. Das ist nett. Und er besteht aus Nussbaum aus Schichtholz-Optik. Das ist okay. Und dann hat man ihn verblendet mit weißem Corian. Das ist nicht so nett, sondern ein Kunststein. Die Unterkonstruktion ist aus Aluminium - und würde man noch mehr erfahren über das derart komplizierte, sich aber so einfach wie ein Bumerang gerierende Vielmaterialien-Konstrukt, dann würde das die willkommene Verkleinerung wieder etwas unwillkommen aufblasen. Was für ein unlösbares Problem haben die deutschen Sender eigentlich mit Tischen?

Daher hier noch etwas Gutes: Der Sound des Intros wurde etwas zugespitzt. Man merkt es kaum. Das typische Grün, der Virtualität im Studio geschuldet wie ehedem, ist weiterhin ein irgendwie typisches Grün (auf Polyurethan-Basis, "stoß- und abriebsfest", wie es heißt in einer seltsamen Art Makler-Deutsch). Trotzdem sind die Nachrichten blau untermalt. Je früher am Tag, desto heller. Die blaue Stunde: nett. Übrigens ist auch die ARD blau. Hm. Neu ist beim ZDF, dass der virtuelle Raum, in dem Marietta Slomka manchmal zu schweben schien, einem Set-Design gewichen ist, das auf raffinierte Art wieder etwas mehr Räumlichkeit suggeriert.

Im Zentrum befindet sich der neue XS-Tisch, der sich auch als Hommage an das Bügelbrett-Zeitalter der Home-Office-Pandemie deuten ließe, wobei sich das System der virtuellen Projektionsflächen zu transparenten Wänden drum herum zu fügen scheint. Willkommen daheim, liebe ZDF-Journalistinnen und Mainzelmännchen, ihr habt jetzt wieder eine Art Dach über dem Kopf. Die räumliche Begrenzung, sie ist also nicht nur eine der geringeren Fläche, sondern auch eine der akzentuierten Raumausbildung, tut wirklich gut. Die Welt da draußen ist groß, weit und kompliziert surreal genug.

Was auch die betont horizontal verschieblichen, dynamisierten Keyvisuals betonen. Doch, die Nachrichtenfamilie ist ordentlich untergebracht beim ZDF, wirkt ernsthaft smart - und ist tatsächlich konzentriert auf das Wesentliche ohne allzu viel Design-Gedöns. Adolf Loos, heute: Zentralfriedhof, Wien, der das Design nicht mochte, die Raumkunst aber schon, sagte einmal, das ist länger her als deutsche Hornbrillen: "Eine Veränderung, die keine Verbesserung ist, ist eine Verschlechterung." Das ZDF hat sich fast unmerklich verbessert. Darin steckt bei aller Winzigkeit der Neuerungen dann doch eine bemerkenswerte Größe und Souveränität.

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