Süddeutsche Zeitung

"heute journal"-Moderatorin Marietta Slomka:Lächeln lernen

Schwarzer Lidstrich, Huskyblick: Marietta Slomka gilt als kühle Blonde im deutschen Nachrichtenfernsehen. Trotzdem flippen bei ihren Interviews regelmäßig Politiker aus. Wer ist diese Frau? Eine überraschende Begegnung nach zehn Jahren "heute journal".

Claudia Tieschky

Auf dem Mainzer Rathausplatz wackeln als Dekoration ein paar riesige bunte Plastikschläuche im Strom einer Luftdüse vor sich hin, der Himmel hat dieses nicht unfreundliche deutsche Grau. Sie hat ein Café vorgeschlagen, dessen Glasfront freie Sicht auf den Rhein hat, sie mag das. Noch bevor sie in Sicht gekommen ist, hat man ihre Absätze gehört. Klackklackklack, sehr zackig. Das wäre dann wohl das Geräusch von Marietta Slomka.

Dann ist eine Person erschienen in schmaler grauer Hose, grauem Jerseyblazer über dem weißen Shirt, mit dem Gesicht einer sehr gut gelaunten Grinsekatze und einer unerwartet tiefen Stimme. Sie sagt zum Beispiel, "ich finde, man muss auch mal Marx und Mill gelesen haben, wenn man politischen Journalismus betreibt." Später wird an zentraler Stelle von einem Käseigel die Rede sein.

Die Frau vor Mainzer Flusslandschaft ist irgendwie nicht so ganz das, was man von Marietta Slomka, 42, im heute journal zu sehen kriegt, das sie abwechselnd mit Claus Kleber und inzwischen seit zehn Jahren moderiert. Ungefähr 3,8 Millionen Menschen sehen pro Sendung zu. Es gibt im deutschen Fernsehen Nachrichtenmoderatorinnen mit runden Augen (Caren Miosga), mit entzückendem Huch-Blick (Barbara Hahlweg) und mit renovierten Lidern (Petra Gerster). Aber seit Anne Will nicht mehr in den Tagesthemen die Braue lüpft, ist Slomka die in dieser Hinsicht auffälligste. Sie ist im Studio die Frau mit dem schwarzen Lidstrich und dem Huskyblick. Unergründlich. Manche Männer sagen, sie besitze genau die im Nachrichtengeschäft gerade noch zulässige Dosis Erotik.

Möglicherweise gibt es auch so etwas wie eine für Fernsehfrauen gerade noch zulässige Dosis Intelligenz. Jedenfalls fällt auf, dass bei Slomkas Fragen Politiker im Interview regelmäßig einen merkwürdig entgleisten Eindruck hinterlassen. Zum Beispiel erinnert man sich an den damaligen Innenminister von Baden-Württemberg, Heribert Rech, CDU, der auf die Frage "Braucht man Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstöcke, um mit einer angemeldeten Schülerdemonstration fertig zu werden?" irgendwie von "Notfall" sprach und schließlich davon, dass Kinder von ihren Eltern "in die vorderste Linie" gebracht und "instrumentalisiert" worden seien. "Reden Sie denn jetzt über das schwäbische Bürgertum?", wollte Slomka wissen. Und der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit war von Nachfragen zur Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen so was von genervt, dass die Lautstärke interessant wurde. Slomka lächelt in solchen Fällen. Verbindlich.

Als Nikolaus Brender, der damalige ZDF-Chefredakteur, die junge Parlamentskorrespondentin anrief und sinngemäß sagte, übrigens habe er sich überlegt, dass sie, Marietta Slomka, das heute journal moderieren solle, da hat sie nein gesagt. Monatelang.

Slomka hat Volkswirtschaftslehre studiert, bei der Deutschen Welle volontiert, für die sie nach Brüssel ging und dann für das ZDF nach Bonn und Berlin. Sie dachte damals, sagt sie, dass sie das journal noch gar nicht wolle, sie war doch irgendwie "die glückliche junge Berliner Korrespondentin, die lustig durch Prenzlauer Berg tobte". Und es sei auch alles noch etwas konservativer gewesen, damals beim ZDF.

"Ich hatte den Eindruck, dass mein ganzes Leben, dass ich auch als Person nicht wirklich dem entsprach, wofür vielleicht Alexander Niemetz oder Wolf von Lojewski oder Helmut Reitze standen. Ich hatte das Gefühl, das ist echt gefährlich, sich da jetzt hinzustellen und vielleicht grandios zu scheitern."

Der Käseigel stand im Freundeskreis der Eltern in Köln auf dem Tisch, wenn Wahlparty war. Man setzte Wetten auf den Ausgang, und wer am nächsten dran war, bekam eine Trophäe. Ihr Vater hat als Lehrer das Fach Politik unterrichtet, das hat sie früh interessiert. Sie hat 1982 zum ersten Mal mitgewettet.

Manche Journalisten fragen sie wirklich, warum sie keine Kinder hat, "ich finde das eigentlich unverschämt", sagt sie. Jemand wollte mal wissen, ob sie alles versteht, was sie moderiert. Oft fragt man sie auch nach den Outfits, die sie in der Sendung trägt. Und natürlich das ganze Frauending, da will sie nicht immer Auskunft geben müssen, nur weil "ich als Frau das heute journal moderiere".

Aber wenn junge Frauen heute sagen, wir brauchen keine Frauenquote, wir setzen uns auch so durch, wenn wir gut sind - "das erinnert mich daran, was ich selber mit 27, 28 alles glaubte. Aber ich weiß heute, auch durch die Beobachtung bei Kolleginnen, etwa wenn es ums Kinderkriegen geht, dass diese Haltung total naiv ist."

Anfangs ist sie zwischen Mainz, Berlin und New York gependelt, wo ihr Mann, der RTL-Journalist Christoph Lang, damals arbeitete. Seit er in die Zentrale des Privatsenders zurückkehrte, leben die beiden in Köln und Slomka außerdem wochenweise in Mainz, wenn sie moderiert. Wenn sie nach dem heute journal nach Hause kommt, liest sie noch Zeitungsartikel, zu denen sie tagsüber nicht gekommen ist oder sie kocht, bevor ihr Tag so gegen halb zwei Uhr endet.

Das Interview mit Rech fand sie handwerklich in Ordnung, das Gespräch mit Cohn-Bendit kommentiert sie: "Meine Aufgabe ist es, Fragen zu stellen, und es wurden dann immer mehr Sätze mit Ausrufezeichen."

Die Kleiderfrage ist auch nicht ganz uninteressant. Seit das ZDF sein virtuelles Nachrichtenstudio hat, gibt es in Slomkas Garderobe glamourösere Stücke als früher, einen taillierten himbeerroten Blazer mit Gürtel und einen grauen mit Plissees. Eine Stylistin kümmert sich. Und trotzdem, weil man mehr Ganzkörper sieht, entsteht, sagt sie, "aus welchen Gründen auch immer manchmal eine etwas verzerrte Perspektive". Auch bei den Kollegen, alles ganz schlanke Männer. "Seit ich in diesem Studio bin, bekomme ich ungefähr einmal pro Woche Anrufe von Boulevardjournalisten, in welchem Monat der Schwangerschaft ich denn wäre."

Neulich hat sie erschüttert gemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist und dass es jetzt zehn Jahre werden, seit sie das journal moderiert. Das sei ihr vorgekommen, wie wenn man Kinder länger nicht gesehen hat und sagt: Gott, bist du groß geworden.

Sie hat gerade ein Buch über Afrika geschrieben, das nach einer der Reportagereisen entstand, die sie nebenbei für das ZDF machen kann. Slomka sagt, dass die Menschen eben einfach gern zusehen, wenn Leute, die sie so lang aus den Nachrichten kennen, mal in Gummistiefeln durch den Wald laufen. Wenn es helfe, für ein Thema Aufmerksamkeit zu wecken, sei ihr das recht.

Im journal findet sie sich entspannter als früher, weil sie gelernt hat, dass sie sich in Krisensituationen auf sich selbst verlassen kann. "Auf Sendung zu gehen, wenn man überhaupt nicht weiß, was passiert - das sind Situationen, in denen Moderatoren die größte Versagensangst haben können." Väterlicherseits ostpreußisch, kontrolliert sie sich, um zu wissen, wohin sie sich entwickelt. Sie sei im Studio, gerade in Interview-Situationen, oft so konzentriert wie jemand, der einen Faden in eine Nähnadel einfädelt: "Ich musste lächeln lernen."

Wie lernt man das? "Man sagt sich: Denk daran, freundlich zu kucken. Du darfst dich nicht so vergessen in anstrengenden Situationen." Na klar. Wie sonst.

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SZ vom 17.09.2011/rus
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