Süddeutsche Zeitung

Hessen-Tatort "Schwindelfrei":Traumschön gezeichnete Zirkusgeschichte

Der neue "Tatort" aus Hessen ist eher Liebhaberstück denn konventioneller Krimi. Ermittler Felix Murot ist geheilt von seinem Tumor, muss aber lernen, dass man sich selbst nicht entkommt.

Von Holger Gertz

Diese Episode beginnt mit einer Film-im-Film-Sequenz, Ermittler Felix Murot sieht fern, schaltet den Tatort nach dem Vorspann aus und kündigt damit schon mal wortlos an: jetzt kommt kein Tatort, jetzt kommt was anderes. Ulrich Tukur spielt ja diesen Mann vom hessischen LKA, der bisher von einem Hirntumor geplagt wurde, mit dem er gelegentlich sprach. Der Tumor ist inzwischen verschwunden, Murot ist als geheilt entlassen. Und wer entlassen ist, ist natürlich das, was im Fußball früher der Libero war: ein freier Mann.

So einer hält sich nicht mit Tatortbesichtigungen und Handy-Ortung und Wo-waren-wir-denn-am-Dienstag-Fragereien auf. Murot tingelt und tänzelt durchs Panorama, er sieht blendend aus im weißen Hemd mit der kostbaren Krawatte. Er sieht blendend aus, wenn er das Clownskostüm trägt oder das mit den Streifen drauf. Er spielt Klavier und Quetschkommode. Er singt die sentimentale Hymne aller Artisten: Oh mein Papa, war eine grroße Kienstläär. Und manchmal, wenn er was fragen muss, fragt er im sehr beiläufigen Ton: "Geh'n wir ein paar Schritte?"

Kein Entkommen

In der Truppe eines Wanderzirkus befindet sich mindestens einer, der im Kosovokrieg nicht Bauchredner oder Pudeldompteur war, sondern schwere Schuld auf sich geladen hat. Das ist sozusagen der Plot: der gelegentlich maskierte Murot muss einem der Artisten die Maske runternehmen. Schwierig genug, gerade für einen wie Murot, der weiß, dass im Leben das meiste hochseilartig in der Schwebe bleibt: "Je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass nichts einen Sinn ergibt", sagt er, der andererseits gelernt hat: "Wir entkommen uns nicht."

"Schwindelfrei" von Regisseur und Autor Justus von Dohnányi ist nichts für Menschen, die die Bettdecke unters Kinn ziehen wollen vor lauter Spannung. Die Episode ist Nummernrevue und Theaterstück und Schauspielerfilm: eine von Kameramann Karl-Friedrich Koschnick traumschön gezeichnete Zirkusgeschichte. Gesichter hinter zerbrechlichem Glas. Schweres Eisen, das den Zirkuszelten im Brachland Halt geben soll. Und das Geständnis wird in Versform vorgetragen in einem Tatort, der sich nicht verkniffen darum bemüht, einer zu sein. Also: ein Liebhaberstück.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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SZ vom 07.12.2013/mfh
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