Herbert-Riehl-Heyse-Preis für Hans Holzhaider:Sägen! Nicht drücken!

Lesezeit: 3 min

Der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Kurt Kister, gratuliert Hans Holzhaider (links). (Foto: Florian Peljak)

Journalisten können aus der Küche lernen: Hans Holzhaider schreibe so behutsam, wie es für das Brotschneiden angebracht sei, sagte die Laudatorin bei der Verleihung des Herbert-Riehl-Heyse-Preises über den Geehrten. Denn der schreibe ohne Druck und vergeude keine Empörung.

Von Claudia Fromme

Das Schöne am Journalismus, befand Herbert Riehl-Heyse einmal, sei doch, dass man nicht dabei sein muss, wenn die Leute zur Kenntnis nehmen, was man sich da ausgedacht hat. Man sei nicht gezwungen, "ängstlich darauf zu warten, ob sie an den richtigen Stellen lachen oder ein betroffenes Gesicht machen oder überhaupt nicht verstehen können, was man zu Papier gebracht hat in schlafloser Nacht".

Riehl-Heyse schrieb dies vor fast 25 Jahren in einer sehr feinen Reportage zum "Internationalen Publizistikpreis der Stadt Klagenfurt".

Ein Text steht für sich, muss für sich stehen, entfaltet seine Wirkung ohne die gegenwärtige Anwaltschaft des Autors, nur durch die Kraft der gedruckten Worte. Der Leser wird zum Richter - und manchmal urteilt eine Jury.

Riehl-Heyse, dessen Todestag sich im April zum zehnten Mal jährte, habe einen Ton in der Süddeutschen Zeitung etabliert, der bis heute ihr "Kammerton" geblieben sei, sagte Chefredakteur Kurt Kister bei der Verleihung des Herbert-Riehl-Heyse-Preises. Kein lauter Ton sei das, sondern ein eindringlicher, kein aggressiver, sondern ein berührender. Es ist ein Ton, der den Text des Preisträgers Hans Holzhaider durchzieht, eine Geschichte "mit einem Standpunkt", in der Riehl'schen Tradition, "Partei zu ergreifen, ohne parteiisch zu sein". Ein Text, der für sich spricht - und für andere.

Vorgeschlagen von einer Leserin

Der langjährige Gerichtsreporter Hans Holzhaider, 66, erhielt aus der Hand der Witwe Gabi Riehl die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung für seinen Text "Der nackte Wahnsinn". Erschienen ist dieser am 14. Dezember 2012 auf der Seite Drei der Süddeutschen Zeitung.

Vorgeschlagen für den Preis, der seit 2005 alle zwei Jahre verliehen und von den Gesellschaftern des Süddeutschen Verlages gestiftet wird, hatte ihn eine Leserin aus München. Holzhaider, der seit fast vier Jahrzehnten für die SZ arbeitet, beschreibt in seinem Text die Geschichte von Franz Einhell, der niemanden getötet oder vergewaltigt hat und doch seit 18 Jahren in der geschlossenen Psychiatrie sitzt, weil er sich in der Öffentlichkeit entblößt hat.

In einer sehr persönlich gehaltenen Rede im Münchner GOP Varieté-Theater mahnte Holzhaider, "dass der Entzug der Freiheit ein Eingriff in die Menschenwürde ist, die zu schützen dem Grundgesetz zufolge die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" sei. Dieser Pflicht entziehe sich der Staat bei Einhell, der kein Einzelfall sei. Er freue sich, dass eine Geschichte über einen dieser Hoffnungslosen diese öffentliche Anerkennung erfahre.

In ihrer Laudatio erklärte die Publizistin Carolin Emcke als Jurymitglied den 200 Gästen während der Speisenfolge an varietégemäß beleuchteten Tischen, dass Journalisten auch aus der Küche lernen können. Hans Holzhaider, führte sie aus, "schreibt so behutsam, wie meine Großmutter es für das Brotschneiden forderte: Sägen! Nicht drücken!" Er schreibe ohne Druck, er vergeude keine Kraft und keine Empörung, er säge sich nur langsam und rhythmisch durch ein menschenverachtendes System der Verwahrung ohne Ausgang.

Es sei die Geschichte eines Skandals, die ohne Skandalisierung auskomme. Die Geschichte eines Menschen, der sich entblößt hat, und sie werde erzählt, ohne dass der Mensch vom Autor entblößt werde. Daraus spreche eine "zutiefst humanistische Haltung". Er widersetze sich dem Reflex, sich den Verbrecher wie sein Verbrechen vorzustellen, der Illusion, der Täter möge so dämonisch wie die Tat erscheinen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) widmete sich in seiner Festrede, die vor allem eine Mahnrede war, dem Verhältnis und Verhalten von Journalisten und Politikern. Er erinnerte an den 17. Juni 1972, an dem fünf als Klempner getarnte Beamte der Republikaner versuchten, im Hauptquartier der Demokraten im Watergate-Komplex Abhörwanzen anzubringen. Die Washington Post deckte dieses und mehr auf, schließlich musste Präsident Nixon zurücktreten.

Ein Meilenstein im Journalismus, der auch eine Mahnung sei, vor allem für die Massenmedien, sich weiter der Ernsthaftigkeit zu widmen. Er sehe darin mit Besorgnis "erschreckenden Vorrang der Unterhaltung gegenüber der Information", die Minutenzahl der Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen überschreite die der Übertragungen von Debatten aus dem Bundestag bei Weitem.

"Schnelligkeit Vorrang vor Gründlichkeit"

"Es gibt eine Verdrängung von authentischer Politik durch eine Simulation von Politik", sagte Lammert. Für diese Entwicklung seien auch die elektronischen Medien mit ihren "grausamen Taktzahlen" verantwortlich, die begünstigten, dass in manchen Medien "Schnelligkeit Vorrang vor Gründlichkeit" habe, Bilder wichtiger seien als Texte, Zuspitzungen wichtiger als Differenzierungen, Schlagzeilen wichtiger als Analysen.

Gleichwohl sieht Lammert offenbar noch Hoffnung für das seiner Meinung angespannte Verhältnis von Medien und Politik. Er freue sich, dass Politiker "trotz ihres lausigen Rufes selbst bei Medienpreisen als Festredner für schwer verzichtbar gehalten werden"

© SZ vom 19.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: