Herausforderung für Götz George:In den Schuhen seines Vaters

Lange hat es Götz George abgelehnt, in einem Film seinen Vater Heinrich zu spielen - jetzt macht er es doch. Die Rolle des 1946 gestorbenen Schauspielers ist für den Sohn ein kaum abschätzbares Wagnis und treibt ihn an den Rand seiner Kräfte.

Von Christiane Kohl

Götz George spielt Heinrich George

Die Ähnlichkeit ist nicht zu übersehen: Heinrich George (l.) wird in einem Film über das Leben des Schauspielers von seinem Sohn Götz gespielt.

(Foto: dpa)

Gläser klirren, Zigarettenqualm wabert durch den Raum. Die Villa am Kleinen Wannsee ist hell erleuchtet. Drinnen steht ein Mann mit Schnauzbart hinter einem halbrunden Bartresen aus dunklem Holz, der kunstvoll um seinen stattlich gewölbten Bauch gezimmert zu sein scheint, und gestikuliert. "Kinder, jetzt kommt, tut mir einen Gefallen, guckt nicht so belämmert", schreit der Schnauzbärtige fröhlich seine Gäste an, die leise plaudernd durch die mit Ölgemälden und altdeutschen Eichenmöbeln bestückte Kulisse flanieren. "Der kleine Schwadroneur, der Größenwahnsinnige, der ist doch in ein paar Wochen wieder weg", grölt der Gastgeber weiter, während er Champagner holt und den Korken knallen lässt. "Der ist einfach ein schlechter Schauspieler, der wird umbesetzt - und jetzt wird gefeiert."

Die Szene in der Wannsee-Villa spielt 1933, kurz nach Hitlers Machtübernahme. An diesem Nachmittag ist sie schnell beendet, der Regisseur ruft dem Mann am Tresen zu: "Das war sehr gut!" Dieser schält sich schwitzend aus der Hausbar, fährt sich tief Luft holend mit der Hand über das braune, zurückgekämmte Haar und stapft breitbeinig davon.

Es ist Götz George, der seinen Vater Heinrich George spielt. Gedreht wird am Originalschauplatz, der Villa, in der Götz George aufgewachsen ist. Und dieser scheint Mimik und Gang des Alten bereits so verinnerlicht zu haben, dass er sie beibehält, selbst wenn die Kamera gar nicht mehr läuft. "Das ist nicht mehr der Götz", sagt sein Schauspielerkollege Hanns Zischler, der den Maler Max Beckmann spielt, "er ist Heinrich George geworden."

Die Rolle des Ufa-Schauspielers Heinrich George ist für den Sohn ein kaum abschätzbares Wagnis. Der berühmte Vater galt nicht nur als genialer Schauspieler der Weimarer Republik, während der Nazizeit ließ er sich mit den Machthabern ein und übernahm große Rollen in NS-Propagandafilmen. Nach dem Krieg wurde er von sowjetischen Geheimdienstlern verhaftet und kam 1946 im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen um, das nun als sowjetisches Speziallager diente. 1998 wurde Heinrich George von den Russen rehablilitiert. Beim Tod des Vaters war sein Sohn Götz gerade mal sieben Jahre alt.

Eine "ganz normale Aufgabe"

Um nun in das Kostüm des Vaters zu schlüpfen und auch dessen Körpermaße annähernd auszufüllen, hat sich der heute 74-jährige Götz George einen Panzer aus Schaumgummi unter die feine Weste schneidern lassen. Der wärmt zwar mächtig, doch er schützt wohl kaum vor den vielfältigen Berührungen, Anfechtungen und Erinnerungen, die dem Schauspieler jetzt in der Rolle seines Vaters begegnen.

Götz George behauptet tapfer, dass es "eine ganz normale Aufgabenstellung" für ihn als Schauspieler sei, den Vater zu verkörpern: "Ich werfe halt den ganzen privaten Ballast ab und versuche, das völlig normal zu spielen." Ein paar Tage später kann man lesen, was Reporter von einem Pressetermin im schwäbischen Münsingen berichten, wie Götz George in der Baracke sitzt, die als Kulisse für das Lager Sachsenhausen dient. Er wirkt auf die Journalisten doch eher etwas berührt. Soeben hat er Tanzszenen aus dem Postmeister von Puschkin abgedreht, die sein Vater noch in völlig entkräftetem Zustand vor den russischen Wachleuten im Lager aufführte. "Ich bin erschöpft, am Ende meiner Kräfte", sagt er.

Beinahe 15 Jahre lang hatte es Götz George abgelehnt, an einem Film über seinen Vater mitzuwirken. Immer mal wieder waren ihm Drehbuchentwürfe vorgelegt worden, doch zu kleinkariert oder auch sentimental seien die Vorlagen gewesen. Erst als Regisseur Joachim Lang vom Südwestrundfunk ihm das Konzept für ein Dokudrama präsentierte, das sowohl aus Zeitzeugenberichten, Interviews, Dokumenten wie auch Spielszenen an möglichst authentischen Orten bestehen sollte, ließ sich George überzeugen. Produziert wird das Fernsehstück von Teamworx-Chef Nico Hofmann. Hauptdarsteller und wichtigster Zeitzeuge neben seinem älteren Bruder Jan aber ist Götz George selbst.

"Stimmt so ziemlich alles hier"

Und so steht er jetzt breitbeinig im Wohnzimmer seines Elternhauses und betrachtet scheinbar gedankenverloren die Szene. In der Villa, die heute einer Berliner Familie gehört, wurde wieder die dunkle Bücherwand von einst eingebaut. Götz steuerte eine altdeutsche Truhe bei, die er von seinem Vater geerbt hatte; sein Bruder Jan ein Sofa, allerlei Gegenstände bis hin zum Aschenbecher - und die Hausbar. An den Wänden hängen jetzt wieder Kopien der Porträts, die Beckmann, Dix und Wollheim von dem berühmten Schauspieler angefertigt hatten. "Stimmt so ziemlich alles hier", sagt Jan George, der sieben Jahre älter ist als sein Bruder und früher als Dokumentarfilmer arbeitete - "aber der Zigarettenrauch ist völlig falsch". Im Hause von Heinrich George habe niemand Zigaretten rauchen dürfen, erklärt Jan George sachkundig: "Nur Zigarre war erlaubt."

Götz George wird 70

Götz George als junger Mann auf einem Archivbild aus den 60er Jahren. Der heute 74-Jährige kann sich noch an das letzte Treffen mit seinem Vater erinnern.

(Foto: dpa)

Götz George hat nur noch bruchstückhafte Bilder seines Vaters im Gedächtnis. Allzu viel Zeit hatte Heinrich George nicht mit seinen Söhnen verbracht, die Schauspielerei war alles für ihn gewesen. Als "König im Reich der Phantasie" war er in den 1920er Jahren gefeiert worden. Nach spektakulären Bühnenauftritten am Deutschen Theater bei Max Reinhardt in Berlin spielte er in Fritz Langs Metropolis sowie als Franz Biberkopf, in Berlin Alexanderplatz.

Seine Lieblingsrolle aber war der Götz von Berlichingen, dem sein Sohn den Namen verdankt - als Götz George 1938 geboren wurde, stand Heinrich als Götz in Heidelberg auf der Bühne, wo er im Auftrag von Nazi-Propagandachef Joseph Goebbels die "Reichsfestspiele" ins Leben gerufen hatte. "Heinrich, Deine Zunge soll in Deinen Hals zurückrollen", schrieb ein früherer Theaterintendant damals an ihn.

Noch in den 20er Jahren war George mit linken Dramatikern wie Brecht im Agitationstheater aufgetreten. Dann kamen die Nazis, George wurde in Statistenrollen verbannt und bald von Gustav Gründgens gefeuert, der zum Intendanten des Berliner Schauspielhauses aufgestiegen war. Zwar hatte George ein Angebot aus Hollywood, doch er glaubte, "nur aus der deutschen Sprache gestalten" zu können. So ging er den Pakt mit dem Teufel ein: Während Gründgens von Hermann Göring protegiert wurde, arbeitete George für Goebbels und wurde mit Rollen in Hitlerjunge Quex und Jud Süß einer der beliebtesten NS-Schauspieler.

Freispruch oder Schuldurteil

Und alles nur aus Freude an der Schauspielerei? Anfangs hatte Götz George geglaubt, mit dem TV-Projekt "einen Freispruch zu erwirken" für seinen Vater, der "völlig zu Unrecht als NS-Darsteller hingestellt wurde", wie er in der SZ erklärt hatte. Aber er hat sich längst darauf eingelassen, dass die Dinge komplizierter liegen. "Es geht nicht um Freispruch oder Schuldurteil", sagt Regisseur Lang, der sich seit sieben Jahren mit George befasst: "Es geht um die Verantwortung des Künstlers in Zeiten politischer Düsternis."

Nach seiner Verhaftung schreibt Heinrich George an seine Frau, man könne ihm alles nehmen, "wenn sie mir aber verbieten zu spielen, werde ich sterben". An einem der letzten Drehtage ist Götz George Zeitzeuge und Schauspieler in einem. In der Rolle des Vaters steht er am Lagertor, wo ihn seine Frau zum letzten Mal sehen darf. An ihrer Hand ist ein kleiner Junge, der Götz George spielt. Ihm sei damals kalt gewesen, er habe schnell weg gewollt, erinnert sich George heute an dieses letzte Wiedersehen mit dem Vater. Der Schauspieler Heinrich George aber ist dem Sohn stets ein Vorbild geblieben, "ein großer künstlerischer Berater und Freund", sagt George.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: