Süddeutsche Zeitung

Nazi-Vergangenheit des "Stern"-Gründers:Denkmalsturz

Lesezeit: 4 min

Warum "Stern"-Gründer Henri Nannen bald aus dem Namen von Journalistenpreis und Journalistenschule gestrichen werden könnte.

Von Christian Mayer

Henri Nannen war schon lange eine Legende, als er 1989 in einem einstündigen Fernsehinterview von seinen journalistischen Heldentaten erzählen sollte. Manche Geschichten, bemerkte er gönnerhaft, habe er selbst so oft zum Besten gegeben, dass er nicht mehr wisse, ob er sie selbst erlebt habe. Damals war Nannen schon länger nicht mehr im operativen Magazingeschäft tätig, doch er blickte voller Wohlgefallen auf sein Lebenswerk, den Stern, den er 1948 gegründet und bis 1980 als Chefredakteur nach seinem Willen geformt hatte, ein absolutistischer Herrscher in den goldenen Zeiten des Printjournalismus. Ob er denn gedenke, seine Autobiografie zu schreiben, wollte der Interviewer Hans Herbert Westermann wissen. Auf keinen Fall, entgegnete Nannen und nahm im Sofa gegenüber Haltung an: "Es gibt doch gar keine aufrichtigen Memoiren."

An die dunklen Punkte seiner eigenen Vergangenheit wollte Henri Nannen, der seine Verleger bei Gruner + Jahr reich gemacht hatte, lieber nicht rühren. Stattdessen sprach er über seine Kindheit in Emden als Sohn eines sozialdemokratischen Polizeibeamten, über seinen unaufhaltsamen Aufstieg zum Auflagenkönig oder seine museumsreife Kunstsammlung.

Was er in der Nazizeit machte, hat Nannen zwar nie völlig verschwiegen, aber gerne beiseitegewischt

25 Jahre nach seinem Tod ist nun noch einmal eine Diskussion entbrannt über den Hamburger Verleger und Publizisten, den sie ehrfürchtig "Sir Henry" nannten. Die jungen Reporter Han Park und Gunnar Krupp haben sich für das öffentlich-rechtliche Portal Funk auf Nannens Rolle im Zweiten Weltkrieg konzentriert - vor allem auf dessen leitende Tätigkeit für die SS-Propagandaeinheit "Südstern" an der italienischen Front. Nannen selbst hat diesen Teil seiner Biografie zwar nicht völlig verschwiegen, aber gerne nonchalant zur Seite gewischt, so wie in dem Interview 1989: Er sei damals als Leutnant bei der Luftwaffe für die "psychologische Kriegsführung" zuständig gewesen, Punkt. Noch Fragen? Nee.

Auch wenn die Fakten über Nannens Zeit als Propagandist des Nazi-Regimes seit Jahren bekannt sind: Es lohnt sich, noch einmal genau hinzuschauen - so wie die Funk-Reporter in ihrem Video. Beim Stern haben sie hingeschaut und plötzlich erschüttert einen neuen Nannen entdeckt.

Eine Reihe von Flugblättern, die in der Abteilung "Südstern" entstanden und dann mit Granaten auf die Seite der Westalliierten geschossen wurden, sind in der Staatsbibliothek Berlin zu besichtigen. Die Recherchen bestätigen frühere Erkenntnisse: dass die Leitung der Abteilung bei dem mit Henri Nannen befreundeten SS-Obersturmführer Hans Weidemann lag, der später beim Stern die Aktion "Jugend forscht" verantwortete - dass aber tatsächlich Nannen für die inhaltliche Gestaltung zuständig war. Später schwärmte der Verleger vom "Dolce Vita" im Castello Bevilacqua, wo die "Südstern"-Leitung prunkvoll residierte. Von seiner eigentlichen Tätigkeit erzählte er lieber nichts.

Henri Nannen, der Verteidiger von Willy Brandts Ostpolitik, hatte Mut, Einfluss, journalistisches Bauchgefühl, ein Gespür für Stimmungen, die richtigen Verbindungen und eine viel zu teure Yacht. Er wusste, was die Menschen lesen wollten und was sie langweilte, seine Verdienste sind unbestritten. Doch als Namensgeber für einen bedeutenden Journalistenpreis und einer Hamburger Journalistenschule von Rang ist er jetzt für viele nicht mehr tragbar. Die Verantwortlichen täten gut daran, eine qualvolle Debatte zu vermeiden und souverän zu entscheiden.

Nannen konnte sich lange Zeit völlig auf der sicheren Seite fühlen

Es ist sicher kein Zufall, dass der Stern sich gerade jetzt in Sachen Nannen Aufklärung verordnet. Der Hamburger Traditionsverlag Gruner + Jahr ist an RTL verkauft worden, wo man Nannen nichts verdankt. Und der Stern hat mit Gregor Peter Schmitz einen neuen Chefredakteur, der ein Interesse daran haben muss, dass sein Magazin nicht irgendwann von der Vergangenheit des Gründers eingeholt wird: Schmitz erhielt seinen eigenen Nannen-Preis im selben Jahr, in dem der ebenfalls ausgezeichnete US-Investigativjournalist Jacob Appelbaum die Rolle Nannens in der Nazizeit anprangerte und ankündigte, deshalb seine Trophäe einschmelzen zu lassen.

Abstoßend ist vor allem die antisemitische Botschaft der Flugblätter aus Nannens Produktion: Während die Vernichtungsmaschine in den Konzentrationslagern auf Hochtouren lief, behaupteten die "Südstern"-Propagandisten noch 1944, dass reiche Juden den Weltkrieg angezettelt hätten und vom Krieg profitierten. Andere Motive zeigten amerikanische Ehefrauen, die sich in Abwesenheit ihrer gegen die Nazis kämpfenden Männer dem Feind an der Heimatfront in die Arme werfen. Semipornografische Landser-Fantasien, nicht gerade auf Stern-Niveau und mit englischen Texten versehen.

Ein ganzes "Stern"-Reporterteam widerlegte 1970 Anschuldigungen gegen Nannen über Erschießungen bei Verona

Henri Nannen konnte sich lange auf der sicheren Seite fühlen. 1970 hatte er sich einer Fernsehdebatte im ZDF mit dem stramm konservativen Journalisten Gerhard Löwenthal gestellt. Löwenthal konfrontierte den Stern-Gründer mit dessen Nazi-Vergangenheit und erhob auch einige nicht zu belegende Vorwürfe. Direkt nach der spektakulären Sendung schickte der tief getroffene Nannen ein ganzes Stern-Reporterteam los, um die Anschuldigung zu widerlegen, er sei indirekt an Erschießungen in einem Dorf bei Verona beteiligt gewesen.

Aus dieser für ihn brandgefährlichen Diskussion ging Nannen, der zahlreiche Verteidiger im linksliberalen Lager hatte, nahezu unbeschädigt hervor. Auch im Fernsehinterview 1989 zog er sich geschickt aus der Affäre, als er über die Verbrechen der NS-Zeit sprach: "Wir waren zu feige, wir waren zu opportunistisch. Das waren wir, meine Generation."

Mit solchen wohltemperierten Bekenntnissen gaben sich die meisten Journalisten damals zufrieden, es gab ja noch so viel anderes mit dem Zeitzeugen Nannen zu bereden. Die nackten Frauen auf dem Cover des Stern, die politischen Aktionen ("Wir haben abgetrieben!"), das Debakel um die gefälschten Hitler-Tagebücher.

Die Zeiten haben sich geändert, der Stern, der mal eine Auflage von zwei Millionen erreichen konnte, spricht eine eher woke Zielgruppe an. Heute wäre ein launenhafter Großjournalist, der eine Redaktion nach Gutsherrenart regiert, Mitarbeiter demütigt und das Geld, das in den guten Zeiten reichlich vorhanden war, aus dem Fenster schmeißt, nicht mehr vorstellbar. "Unausstehlich und unwiderstehlich" sei er gewesen, schrieb die langjährige Stern-Kolumnistin und Verlegerin Anneliese Friedmann einmal über ihn. Ein großer Rabauke, irgendwie genial. Vom Sockel geholt gehört er trotzdem.

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