Heidi Klum und Sexismus im TV:Zum Liebhaben

Medien: Klum soll Jurorin für ´America's Got Talent" werden

Nicht mehr streng, sondern süß: Heidi Klum soll Medienberichten zufolge nun auch Jurorin in der US-Castingshow "America's Got Talent" werden. Auch ein Grund für den Sinneswandel?

(Foto: dpa)

Ist schon jemandem aufgefallen, dass Heidi Klum eine komplette Kehrtwende hinlegt? Anstelle der gestrengen Gouvernante, die ihre Zöglinge vorführt, wird sie in der aktuellen Staffel von "Germany's Next Topmodel" zur besten Freundin ihrer "Mädchen". Ob das mit der Sexismus-Debatte zu tun hat? Eine TV-Kritik.

Von Ruth Schneeberger

Unzählige Male schon wurde an unterschiedlichsten Stellen darüber geklagt, wie Heidi Klum "ihre Mädchen" fertigmacht. Wie sie die Teilnehmerinnen der Pro-Sieben-Sendung "Germany's Next Topmodel" vorführt, brüskiert, kleinmacht, demütigt, erniedrigt, nachäfft, sich auf ihre Kosten erhöht, sich vergöttern lässt. Und wie sie die Möchtegern-Models, von denen nicht mal die dermaßen geprüften Showsiegerinnen eine große Aussicht auf eine echte Modelkarriere haben, unsinnigen Prüfungen unterzieht, die mit ihrem Traumjob nur wenig zu tun haben und vielmehr dafür da sind, sie im TV lächerlich zu machen und bloßzustellen.

Damit der Zuschauer, ähnlich wie bei "Deutschland sucht den Superstar" und anderen Castingformaten, sich daran ergötzen kann, wie fremde Menschen, die ihm scheinbar etwas voraushaben (Jugend, Schönheit, Promi-Faktor oder Ähnliches), in peinliche Situationen gebracht und auf Normalmaß oder auch weit darunter "zurechtgestutzt" werden.

Der Unterschied zwischen Heidi Klum und ähnlichen Dompteusen im Raubtierkäfig der modernen Fernsehunterhaltung war bisher: Sie war noch strenger als die anderen.

RTL ist schon zahmer geworden

Dieter Bohlen etwa musste sich für RTL seine anfänglich offen geäußerte Verachtung gegenüber dem Sangesnachwuchs mit der Zeit abgewöhnen, unter anderem wegen diverser Strafandrohungen, Jugendschützern und nicht zuletzt der Konkurrenz, die mit softeren Tönen, freundlicheren Jurymitgliedern und mehr Stimmgewalt um die Ecke kam ("The Voice of Germany"). Er hat seine übelsten Sprüche schon rausgehauen und lässt sie jetzt einfach weg. Der mit der Sendung Gealterte ist auch nicht mehr so angriffslustig. Die meisten Nachfolgeformate gibt es nicht mehr - oder sie bauen von vornherein auf weniger Krawall.

Im RTL-"Dschungelcamp" wurde die zwar sprachlich geschliffene, aber nicht wirklich minder verachtende Haltung des Moderatorenduos Zietlow/Bach durch den plötzlichen Tod von Dirk Bach und das Nachrücken des ungleich sanfteren Daniel Hartwig stark abgemildert. Die semiprominenten Kandidaten müssen zwar immer noch auf Zuschauerwunsch Ungeziefer verspeisen, während sie sich halbnackt durch Dreck und Schleim wälzen, werden dafür von den Gastgebern aber nicht mehr so forsch angegangen.

Sogar der "Bachelor" (RTL), einst eines der frauenverachtendsten Formate im deutschen Fernsehen, weil die Kandidatinnen dort entgegen der Sendungsverkaufe nicht ihre große Liebe finden, sondern auf Fleischbeschau geschickt werden und sich gegenseitig möglichst anzicken sollen, ist zahmer geworden. Der letzte "Bachelor" mit Namen Jan konnte sich zumindest mit Worten deutlich artikulieren. Und somit allen Beteiligten sowie der Welt genau erklären, warum ihm weder die in ihn verliebte Endrunden-Kandidatin noch seine Auserwählte am Ende zur Genüge reichten - nachdem er mit beiden öffentlichkeitswirksam auf Tuchfühlung gegangen war. Dasselbe Spiel war in den Jahren zuvor noch mit wesentlich unattraktiveren und weniger artikulationsbegabten Männern gespielt worden. Immerhin.

Und jetzt Heidi Klum. "Eiskönigin" wurde sie genannt, wenn sie eisig lächelnd sieben Jahre lang einer nach der anderen Kandidatin verkünden durfte: "Ich habe heute leider kein Foto für dich." Das "leider" klang oft genug eher schadenfroh denn ehrlich bedauernd, nach dem Motto: Siehste, haste nicht geschafft, hättest du mal besser gespurt. Dementsprechend waren es meist nicht die schönsten Kandidatinnen, die am Ende jeder Staffel einen Sieg davontragen durften, sondern die biegsamsten, gefügigsten. Alle anderen wurden so publikumsträchtig wie möglich auf mehr oder weniger subtile Weise gequält. Das war das Konzept der Sendung.

Trotzdem gibt es mittlerweile ganze Heerscharen junger Mädchen, die mit "GNTM" aufgewachsen sind und sich nichts Erstrebenswerteres vorstellen können, als dabei zu sein. Sie kennen die Aufgaben, die Anforderungen und die Allüren nur allzu gut, darüber legen in letzter Zeit immer wieder Kandidatinnen Zeugnis ab, die glaubhaft beteuern, seit ihrer Kindheit jede Staffel wie Muttermilch eingesogen zu haben. Und das sind nur die attraktiveren Mädchen, die es in die Sendung geschafft haben, um davon zu erzählen. Von allen anderen ganz zu schweigen.

Plötzlich zur besten Freundin mutiert

Es wäre also eigentlich nicht nötig, das Sendungskonzept zu ändern, denn es ist nach wie vor erfolgreich und setzt sogar Maßstäbe, wenn auch fragwürdiger Art, in einer ganzen Generation heranwachsender junger Frauen, die es sich selbst in diesem Ausmaß anfangs wohl nie zugetraut hätte. Und doch ist seit dieser Staffel alles anders.

Heidi Klum ist plötzlich zur besten Freundin mutiert. Erschreckend, aber wahr. Eiskönigin passé. Stattdessen werden die Kandidatinnen umsorgt wie nie, ausnehmend freundlich behandelt, mit aufmunternden Sprüchen motiviert und sogar mit kleinen Geschenken bedacht. Als eine - nicht besonders vielversprechende, aber junge - Kandidatin gleich am Anfang sagt, sie würde lieber gehen, der Konkurrenzdruck erscheine ihr zu groß, wird sie nicht etwa, wie zu erwarten, fertiggemacht dafür, dass sie die Einladung der großen Jury nicht richtig zu schätzen wisse und verdammt noch mal an ihrer Einstellung arbeiten solle, nein: Sie wird händeringend gebeten, dabeizubleiben und sich die Sache noch einmal zu überlegen, weil sie so ein "bildhübsches Mädchen" sei.

Das sind völlig neue Töne. Bisher waren in dieser Sendung Erniedrigungen eher an der Tagesordnung. Ob Styling, Make-up, Laufstil, Charakter oder andere Schwächen: Es gab immer etwas auszusetzen. Und sei es, dass eine Kandidatin als Model zwar genehm gewesen wäre, nur leider als Vorbild Dita Von Teese angegeben hatte. Und schon musste sie in jeder Sendung der vorletzten Staffel hölzerne Stripeinlagen liefern. Weil das so schön peinlich war. Untermalt vom Gegackere der höchst ungalanten Jury. Aber das war einmal.

Vom Benehmen der Erwachsenen

In der aktuellen Staffel ist, so viel lässt sich nach der dritten Sendung am Donnerstagabend mit Sicherheit sagen, derlei Benehmen seitens der Erwachsenen nicht mehr zu erwarten. Klums Lächeln wirkt zwar genauso aufgesetzt wie eh und je, nur spielt sie jetzt nicht mehr die gestrenge Gouvernante, sondern die fürsorgliche ältere Schwester. Erkundigt sich nach den Hausaufgaben, lobt, wo sie kann, tröstet und spannt die Auszuscheidenden am Ende der Sendungen auch längst nicht mehr so auf die Folter. Mit ungewohnt sanfter Stimme unterlegt sie außerdem die gesamte Staffel mit einer Art Reisereportage, die von glücklichen Tagen erzählt. Krawall ist out, fördern statt fordern ist angesagt, die Stimmung ist rosa wie die für die aktuelle Sendung spendierten Sterne auf dem Walk of Fame, der Krieg ist aus.

Woran liegt das nun? Daran, dass vergleichbare Sendungen aus verschiedenen Gründen auch etwas sanfter geworden sind? Ist das die neue Linie? Oder daran, dass Heidi Klum älter geworden ist, der Abstand zu den Nachfolgerinnen deutlicher, und sie sich nun nicht mehr pausenlos als die Bessere inszenieren muss. Sondern sich, wie am Donnerstagabend, von einer Modelanwärterin auch mal zeigen lassen kann, wie man ein Buch auf dem Kopf balanciert - und daran sogar scheitern darf.

Womöglich haben die Macher der Sendung auch einfach die aktuellen Debatten verfolgt, die sehr viele Deutsche auf die Palme gebracht haben, Männer wie Frauen. Das Thema Sexismus ist mit der Brüderle-Debatte hochgekocht, aber noch lange nicht ausdiskutiert. Und gerade eine Sendung wie "Germany's Next Topmodel", der zu Recht Sexismus in einer seiner schärfsten Ausformungen nachgesagt wurde, muss sich jetzt vielleicht einfach einmal selbst zurechtstutzen, um nicht zu weit vom Mainstream abzurücken.

Es wäre wohl auch wirklich unpassend, wenn in einem Land, in dem so leidenschaftlich über offenen und verdeckten Sexismus geredet wird, im Abendprogramm auf den Privatsendern weiterhin all den sexistischen Formate gefrönt wird, die in den vergangenen Jahren merkwürdig unbeschadet ihr Unwesen trieben. Die Macher täten gut daran, ihre Ausrichtung den gesellschaftlichen Strömungen anzupassen - und nicht andersherum. Denn "Fordern statt Fördern", das war mal Agenda-2010-Sprache. Und die ist, zu ihrem zehnten Jubiläum, in einem Großteil der Bevölkerung so unbeliebt wie nie zuvor. Ernsthaft und dauerhaft unbeliebt zu sein aber, ist nicht das Ziel von Heidi Klum.

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