Hassknecht von der Heute-Show:Der wütendste Mann des deutschen Fernsehens

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Hans-Joachim Heist als Gernot Hassknecht in der Heute-Show (Foto: ZDF)

Hans-Joachim Heist war ein glücklicher kleiner Komödiant und SPD-Politiker. Als Gernot Hassknecht wurde er bei der "Heute-Show" im ZDF zum Chefcholeriker der Republik. Ein Treffen.

Von Roman Deininger

Es gibt diesen Moment in der Künstlergarderobe der Fürther Stadthalle, in dem man glaubt, ein Gran Zorn auszumachen in Hans-Joachim Heists Stimme. Er hat gerade von dem Familienvater erzählt, der 45 Stunden in der Woche schuftet, und der am Monatsende doch auf Geld vom Staat angewiesen ist, um seine Frau und seine beiden Kinder durchzubringen. Jetzt also hebt Heist Zeigefinger und Stimme: "Das ist ein Armutszeugnis für ein reiches Land."

Am Freitagabend um halb elf, in der Heute- Show im ZDF, am Lagerfeuer der deutschen Fernsehsatire, läuft das ja immer so: Da stellt sich - im Angesicht des wöchentlichen Best-of an Schlechtigkeit und Dummheit in der Welt - nicht die Frage, ob dieser kleine Mann mit dem dezenten Haarkranz und der randlosen Brille nun explodiert vor Wut. Es stellt sich nur die Frage, wann.

Am Mittwochnachmittag um vier hinter der Theaterbühne in Fürth sind Finger und Stimme schnell wieder unten. Heist sagt: "Und deshalb ist die Einführung des Mindestlohns völlig richtig." Dann erkundigt er sich fürsorglich, ob der Gast nicht doch ein Stück dieser köstlichen fränkischen Leberwurst wolle oder wenigstens einen Apfel. Die Künstlerverpflegung in der Stadthalle sei echt ausgezeichnet.

Satire im Bundestag
:"heute show" darf im Parlament drehen

Der neue Antrag der "heute show" wurde vom Bundestag bewilligt. Warum die Drehgenehmigung diesmal erteilt wurde, hat nicht nur mit der Hausordnung zu tun.

Hans-Joachim Heist ist Gernot Hassknecht, und Gernot Hassknecht ist der wütendste Mann des deutschen Fernsehens. Manchmal, im Supermarkt oder auf der Straße, kommen Leute zu Heist und sagen: "Herr Hassknecht, bitte nicht anschreien!" Man ist nicht sicher, ob das bei jedem ein Witz sein soll: Da ist ein Darsteller verwachsen mit seiner Figur. Heist ist 65, er hat die Rolle seines Lebens gefunden, so viel ist klar, er spielt sie seit 2009 im Fernsehen und jetzt auch auf der Bühne. Nicht ganz so klar ist, ob das für einen Schauspieler nun die große Freiheit ist - oder irgendwie doch ein Gefängnis.

Man weiß ja nicht viel über diesen Hassknecht. In der Heute-Show sitzt er meistens verbindlich lächelnd mit Anzug und Krawatte in einem extrem öffentlich-rechtlichen Studio. Und dann flippt er aus. Wegen der Briten: "Verdammte Insel-Arschlöcher!" Wegen des Oktoberfests: "Größte Behindertentoilette der Welt!" Oder wegen Metallica: "Pussys!" Zu Politikern ist er oft nicht so nett.

Im Zeitalter der Wutbürger ist Gernot Hassknecht so etwas wie der Chefcholeriker der Republik. Er hat sich die Liebe einer treuen Fangemeinde erschrien.

Anstrengend, nicht eben schicklich

Es ist eine Rolle, die Heist zugefallen ist, Heute-Show-Moderator Oliver Welke und seine Autoren haben sie entwickelt, sie haben den Wüterich Lewis Black aus der amerikanischen Daily Show mit Jon Stewart hübsch eingedeutscht. Auf Heist sind sie gekommen, weil er in Demovideos seiner Agentur einen tobsüchtigen Vater spielte. Sich ohne jede Rücksicht aufzuregen, das ist eine anstrengende, nicht eben schickliche Sache, viele trauen sich das einfach nicht, viele finden es ganz praktisch, dass das jetzt jemand für sie übernimmt. Gernot Hassknecht, so sieht das Heist, "ist das Sprachrohr der ungehörten Masse". Aber wer ist eigentlich Hans-Joachim Heist?

Er könne sich schon auch privat ereifern, versichert Heist, zum Beispiel auf der Autobahn über Fahrer, die keinen Abstand halten. Ob man jetzt vielleicht was vom Buffet wolle, einen Schokoriegel eventuell? Heist sagt: "Ich bin eher der Heinz-Erhardt-Typ, mit einem Schalk im Nacken." Heinz Erhardt, den spielt er auch, in kleineren Sälen, noch'n Gedicht und noch'n Gedicht. Heist hat eine bunte Schauspielkarriere hinter sich, er hatte feste Bühnenengagements, Staatstheater in Darmstadt und Volkstheater in Frankfurt. Er hatte reizende kleine Fernsehrollen, den Handwerker Peter Däumel in den Drombuschs oder den Polizeimeister Fritz Zatopek in Soko Köln. Einige Male dachte er, jetzt gehe die Karriere richtig ab. Aber sie ging nicht ab, schon gar nicht richtig. Es gab Jahre, da durfte er froh sein, dass seine Frau einen guten Job hat.

Er habe nie gehadert, sagt Heist, er war ein glücklicher kleiner Komödiant. Er war der Butler James in "Dinner for One", er gab den Heinz Rühmann, den Hans Moser, den Theo Lingen. Als Clown August ist er durch Kindergärten und Schulen getingelt. Der Mann, der Hassknecht ist, sagt: "Es gibt für einen Schauspieler kaum etwas Schöneres, als in lachende Kinderaugen zu sehen." Wenn man sich umblickt in der Fürther Stadthalle, dann ist Hans-Joachim Heist, ganz alte Schule, jetzt wieder ein Liebling der Jugend.

Am Anfang des Heute-Show-Erfolgs, sagt er, "habe ich mich dabei ertappt, dass ich mich gefragt habe: Hätte das nicht zehn, zwanzig Jahre früher kommen können?" Aber dann habe er sich bald gedacht: "Besser spät als nie." Auf einmal regnet es Angebote, das ist toll. Viele wollen ihn als Brüllaffen, das ist nicht ganz so toll. Heist sagt: "Ich selbst lege mich nicht fest." Er mache die Erhardt-Abende, Eugen-Roth-Lesungen, Freilichttheater. "In der Öffentlichkeit wird man ein Stück weit festgelegt, klar. Und wenn ich 40 wäre, hätte ich damit vielleicht auch ein Problem. Mit 65 habe ich damit kein Problem mehr."

Ein Hassknecht darf das

Er macht jetzt einfach was aus seinem eher späten Ruhm, seit einem Jahr tourt er mit seinem Programm "Das Hassknecht-Prinzip" durch Deutschland, nicht nur in Fürth ist die Stadthalle voll. "Auf das Fernsehen könnte ich notfalls verzichten", sagt Heist. "Auf die Bühne nicht." Das Programm ist eine Art Intensiv-Ausbildung zum Feuerkopf, er betreibt "autoaggressives Training" mit den Zuschauern, sie plärren ihr "Wut-Chakra" in den Saal. Etwa vier Minuten dauern seine freitäglichen Ausbrüche im ZDF - aber tragen sie auch einen ganzen Abend? Heist trägt ihn, er ist ein Profi, er kann mit den Leuten, er mischt ein wenig politische Comedy unter, Pofalla und Co sind "inkompetente Schimpansen", na ja: Ein Hassknecht darf das.

In der Pause steht ein junges Paar im Foyer. Sie sagt: "Du Drrrecksack!" Er sagt: "Du Schlllampe!" Auf eigentümliche Weise klingen die beiden fast zärtlich dabei.

Es gibt allerdings etwas, das die meisten Fans nicht wissen über ihr Lieblingsekel. Dieser Hassknecht, der die Politiker-Beschimpfung zum Sport erhoben hat: Der ist ja selbst einer. Oder Heist zumindest: hessischer Sozialdemokrat, sieben Jahre Stadtrat zu Hause in Pfungstadt, 24 000 Einwohner, einmal Umfallen nach Darmstadt. 2011 hat er im Rat aufgehört, Hassknecht ließ Heist nicht mehr die Zeit.

Politiker, sagt Heist in der Stille seiner Garderobe, würden ja oft "in Generalverdacht" genommen, das sei ungerecht. "Die sind auch nur Menschen, die Fehler machen." Am meisten ärgere ihn, dass die Anerkennung in der Kommunalpolitik ausbleibt: "Es gibt so viele Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren für zehn oder zwanzig Euro Sitzungsgeld." Und die würden "mit Papier zugeschmissen", die könnten gar nicht alles lesen, nicht alles wissen. Heist gerät jetzt fast ins Schimpfen.

Nie menschenverachtend

Natürlich sei Hassknecht hart, sagt Heist. Aber, das sei seine persönliche Grenze: nie menschenverachtend. Und im Übrigen gelte in der Satire wie in der Politik: "Wer's verdient, der bekommt's."

Ans Ende seines Programms hat Heist eine großzügig parteiübergreifende Botschaft gestellt: "Ihr könnt mich an meinem Überhang-Mandat lecken!" Es ist der letzte Satz, den man hört von Gernot Hassknecht an diesem Abend. Hans-Joachim Heist aber hat noch eine Mitteilung fürs Publikum, ein Angebot statt einer Zugabe: Wer will, darf ihn draußen im Foyer am Autogrammtisch nach Herzenslust anbrüllen. Alles erlaubt, wirklich alles.

Vor dem Tisch stehen dann hundert Leute diszipliniert Schlange. Sie wollen Unterschriften, sie wollen Widmungen, sie wollen Handyfotos. Bloß brüllen will keiner. "Für Nils" solle auf der Autogrammkarte stehen, bittet ein Typ um die zwanzig, und auf einer zweiten vielleicht noch ein paar persönliche Zeilen an die Mama daheim? "Aber natürlich", sagt Heist, "immer gern, machen wir." Und der junge Mann sagt: "Herzlichen Dank, Herr Hassknecht, das ist wirklich ganz lieb von Ihnen."

© SZ vom 08.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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