Hasnain Kazim ist Deutscher. Geboren in Oldenburg, aufgewachsen in Hollern-Twielenfleth, Sohn indisch-pakistanischer Eltern. Er ist kein Muslim und man muss das deshalb so betonen, weil der Spiegel-Journalist quasi täglich Nachrichten wie diese bekommt: "Leute wie dich sollte man in Deutschland vergasen!!!!!!! Geh zurück zu deinen Kamelfickern! Muselpack hat bei uns nichts verloren, Islam gehört NICHT zu Deutschland! Hierzulande gehört es vernichtet und ausgerottet!" (sic!) Vor etwa zwei Jahren hat Kazim angefangen, auf solche Nachrichten systematisch zu antworten. 854 Dialoge hat er so geführt. Per Mail, auf Facebook oder bei Twitter. Gerade hat er eine Auswahl davon als Buch herausgebracht: "Post von Karlheinz". Untertitel: "Wütende Mails von richtigen Deutschen - und was ich ihnen antworte".
SZ: Herr Kazim, ist die Gesellschaft gespaltener als früher?
Hasnain Kazim: Ja, ich empfinde das so. Immer mehr Menschen sind aktuell zum Beispiel ganz klar pro oder contra Flüchtlinge. Oder sogar kategorisch für oder gegen Ausländer. Es sind radikale, unreflektierte Positionen, die sich da etabliert haben und jetzt vernünftige, wichtige Diskussionen über echte Probleme fast unmöglich machen. Ich würde sogar sagen, es gibt inzwischen viele Menschen, die ernsthaft darüber diskutieren, ob jemand wie ich Teil der deutschen Gesellschaft sein kann.
Ist das die Frage, an der die Gesellschaft gerade am weitesten auseinanderklafft: Migration ja oder nein?
Nein, das ist nur eine der Debatten, an denen sich eine viel grundlegendere Frage zeigt: Wie gehen wir mit Menschen um? Der Hass richtet sich ja auch gegen Andersdenkende, Andersgläubige oder Menschen mit anderer sexueller Ausrichtung. Die Frage, die uns wirklich trennt, lautet: Halten wir es für legitim oder sogar normal, andere aus irgendeinem Grund herabzuwürdigen?
An ein paar Stellen im Buch könnte man Ihnen diesen Vorwurf wohl auch machen. Sie lassen Ihr Gegenüber - zumindest gelegentlich - spüren, dass Sie ihn oder sie geistig für nicht ganz auf der Höhe des Geschehens halten.
Man wirft mir ja auch ganz explizit vor, wegen des Buches aber auch wegen meiner Art etwa im Social Web, ich würde den Graben vertiefen.
Ganz von der Hand zu weisen ist das wohl nicht, oder?
Nein. Ich weiß, was ich tue.
Ist der Anspruch, mit jedem auf Augenhöhe zu reden, realistisch?
Es ist mir manchmal ein Rätsel, wie ich diesem Anspruch gerecht werden soll. Welche Augenhöhe ist das denn bitte? Wenn mir jemand schreibt "Wir Deutschen müssen mit euch Muslimen das Werk fortsetzen, das wir mit den Juden begonnen haben", dann wünsche ich mir einen Graben zwischen mir und solchen Leuten, die so etwas sagen. Und trage gerne dazu bei, ihn zu vertiefen.
Eine Ihrer Erkenntnisse lautet also: Mit echten Rechten kann man nicht mehr reden?
Leute, die einen bestimmten Grad an Menschenverachtung im Ton erreicht haben, sehe ich tatsächlich als verloren an, ja. Ich höre natürlich immer mal wieder, dass ich doch auch auf diese Leute noch offen zugehen solle. Aber ich bitte da um Verständnis: Wenn man mich auffordert, in den Gasofen zu gehen, tue ich mich mit Offenheit schwer. Aber natürlich ist niemand unveränderlich. Jeder kann seine Fehler einsehen und sagen: Tut mir ehrlich leid, das war falsch. Und wenn er das glaubhaft tut, werde ich seine Hand nicht wegschlagen.
Wie ist die Quote bei einer solchen Einsicht ungefähr?
Bei den wirklich Radikalen: vielleicht zehn Prozent. Aber bei den anderen kommt man etwa mit der Hälfte in einen Dialog, der sich sinnvoll anfühlt.
Mit echten Ergebnissen?
Das hängt etwas von der Definition von "echten Ergebnissen" ab. Man kann grob von drei Gruppen ausgehen: Die erste denkt, mein Postfach sei ein Müllabladeplatz für ihren Frust. Wenn man denen antwortet, erschrecken sie regelmäßig: "Huch, ich dachte nicht, dass das irgendwer liest." Die entschuldigen sich dann auch manchmal. Das ist ja schon ein Erfolg. Der zweite Teil will eine möglicherweise sogar nachvollziehbare Kritik an irgendeinem Aspekt der aktuellen Politik äußern.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel beim Thema Migration: Die haben meinetwegen Angst vor Überfremdung. Sie fürchten, dass zu viele Menschen auf einmal kommen. Oder ihnen ist der Islam fremd und dann sehen sie auch noch, wie der sogenannte Islamische Staat irgendwem den Kopf abschneidet und denken, dass der jetzt zu uns kommt.