Süddeutsche Zeitung

Hass im Netz:Rechtsstaat bei der Arbeit gegen Hass im Netz

Eine Doku zeigt, wie das juristische Instrumentarium gegen Hetzer endlich angewendet wird. Zumindest immer öfter.

Von Ronen Steinke

Es sieht ja schon fast routiniert aus, eingeübt, der Polizeibeamte zum Beispiel, der morgens um sechs Uhr an der Tür klingelt und ein paar Vorwürfe verliest, oder auch die Staatsanwältin, die drei Stunden mit dem Auto in ein fernes Provinzamtsgericht fährt. Ermittler, die ihre Arbeit machen. Der Rechtsstaat at work. Das ist es, was die Dokumentation Hass im Netz des NDR-Journalisten Klaus Scherer zeigt. Das Verblüffende ist halt nur: Das ist neu.

Denn es geht in diesem Film um Delikte, für die sich der Rechtsstaat lange kaum ins Zeug gelegt hat. Der Film zeigt, wie Dresdner Ermittler eine Wohnung durchsuchen, weil jemand kommentiert hat: "Die Judenverfolgung war glaube fast n scheoßdreck gegen die momentane coronaleugnerhetze!!" Ein anderer Mann postet: "Nur ein toter Ausländer ist ein guter Ausländer", daraufhin erlässt das Amtsgericht Aue einen Strafbefehl, Volksverhetzung. 90 Tagessätze Geldstrafe. Das ist viel.

Die Paragrafen sind scharf - aber sie stauben seit Beginn der Bundesrepublik vor sich hin

Seit Beginn der Bundesrepublik stehen die Paragrafen gegen Volksverhetzung, Beleidigung und Bedrohung im Strafgesetzbuch. Es sind Paragrafen, so scharf, dass amerikanische oder britische Juristen mit ihrer starken Tradition der Meinungsfreiheit nur staunen können. Schon lange hat der deutsche Staat dieses Instrumentarium zur Hand, das eigentlich ein strenges Vorgehen gegen Hetzer und Holocaustleugner ermöglichen würde. Aber seit Beginn der Bundesrepublik stauben diese Paragrafen mehr oder weniger vor sich hin.

Erst jetzt kommt da etwas in Gang. Seit etwa zwei Jahren geschieht dies, davon erzählt die Dokumentation Hass im Netz eindrucksvoll. Und dabei wird auch deutlich, was der Auslöser gewesen ist: Nicht die Schmähung oder Bedrohung von Ausländern, sondern erst der Mord an dem CDU-Mann Walter Lübcke im Sommer 2019 hat im Sicherheitsapparat ein Umdenken ausgelöst. Die Folge ist, dass nun landauf, landab Budgets da sind, die früher nicht da waren.

Der Filmemacher Klaus Scherer geht auch zu einigen der betroffenen Politikerinnen hin, zu der Grünen Claudia Roth etwa, die aus Prinzip alles zur Anzeige bringt, weil es sonst "von Dritten als unmittelbare Aufforderung" verstanden werden könne, wie sie sagt. Und zu Wolfgang Schäuble, CDU, der es aus Prinzip genau andersherum hält: Schäuble stellt nie einen Strafantrag. So hält es auch Angela Merkel. Es ist ihr gutes Recht, sich mit dem Thema nicht weiter belasten und auch den Hetzern nicht das Gefühl von Wichtigkeit geben zu wollen.

Die Gerichte sind bei der Anwendung des Rechts hier oft noch am Anfang - auch das wird deutlich

Am Ende urteilen Gerichte mal hart - in Göttingen etwa, wo ein Mann im Netz über Flüchtlinge geschrieben hat: "Die wollen alle nach Deutschland, um die Deutschen zu vergewaltigen, zu erstechen und das Geld abzuzocken". Volksverhetzung, 100 Tagessätze Geldstrafe. Mal geht es auch ganz anders aus, die Kamera ist dabei, als am Amtsgericht im niedersächsischen Bersenbrück ein Mann freigesprochen wird, der jemandem "ne Kugel in den Kopf jagen" wollte, "vielleicht hilfts ja". Man sieht die Staatsanwältin enttäuscht aus dem Saal kommen, der ganze Aufwand war umsonst.

Warum? Die Frage geht an den Gerichtsdirektor. Er sagt: Es sei hier "eine Auslegung erfolgt, nach intensiver Prüfung", der Online-Kommentar mit der "Kugel in den Kopf" sei nicht wirklich eine Aufforderung an Dritte gewesen. Wie man die alten Paragrafen gegen Hass und Hetze heute so handhabt, dass für Menschen verständlich wird, was eine Meinung ist und was eine Straftat - da stehen die Gerichte offenbar noch immer am Anfang.

Die Story im Ersten - Hass im Netz, Das Erste, Montag, 23.35 Uhr und vorab in der ARD-Mediathek.

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