Hass im Netz:"Die Schreibe hat sich verändert: Sie wird subtiler"

Buchmesse Leipzig 2018

"Wir wollen den Hassreden in den sozialen Medien Grenzen setzen", sagt Ley; dafür bekam er nun das Bundesverdienstkreuz.

(Foto: picture alliance / Jens Kalaene/)

Das Internet strotzt vor Hasskommentaren. Hannes Ley hält auf Facebook dagegen. Ein Gespräch darüber, was wirkt und wie sich die Diskussionskultur wandelt.

Interview von Runa Behr

Hannes Ley, 43, stellt sich mit der Gruppierung #ichbinhier den Hasserzeugern der Facebook-Kommentarspalten entgegen. Schon letztes Jahr gewann das Projekt den Grimme Online Award. Die Fernsehjournalistin Dunja Hayali ist eine prominente Freundin der Gruppe, sie hat öffentlich zur Unterstützung für #ichbinhier aufgerufen. Vergangene Woche erhielt Hayali von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement gegen Rassismus. Aber auch Ley bekam den Orden. Denn er habe, so die Begründung, "ein wichtiges Instrument gegen sprachliche Verrohung und für eine demokratische Streitkultur im Netz" entwickelt und so "einen herausragenden Beitrag für den Schutz der Meinungsfreiheit im digitalen Zeitalter" geleistet.

SZ: Herr Ley, #ichbinhier wurde nach dem Vorbild einer schwedischen Gruppe gegründet. Wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?

Hannes Ley: Im Dezember 2016 hatte ich Besuch von einem ehemaligen Studienkollegen aus Schweden. Über die politische Großwetterlage kamen wir auf das Thema Hassrede im Netz, und er hat mir die Facebookgruppe #jagärhär gezeigt. Ich war sofort Feuer und Flamme und habe die Gründerin kontaktiert, noch am selben Tag die Texte vom Schwedischen ins Deutsche übersetzt und eine Grafikerin angeschrieben - drei Tage später ging die deutsche Version #ichbinhier an den Start.

Was ist Ihr Ziel, und wie wollen Sie es erreichen?

Wir wollen den Hassreden in den sozialen Medien Grenzen setzen beziehungsweise etwas Sachliches entgegenhalten. Das tun wir ganz aktiv in den Kommentarspalten der Facebookseiten von Medien. Unser Ansatz ist es, als Gruppe sehr geballt aufzutreten, uns gegenseitig zu liken, sodass unsere Kommentare die Hasskommentare in den Kommentarspalten runterdrücken. Unser Ziel ist es nicht unbedingt, überzeugte Hater umzustimmen, sondern eher, die Kommentarleser zu erreichen und ihnen durch sachlichere, differenziertere Kommentare ein anderes Bild zu präsentieren. Es geht aber auch darum, die Diskussionskultur zu verbessern.

Wo ist der Hass am ärgsten?

Am schlimmsten ist es immer dort, wo nicht moderiert wird. Vor Kurzem noch konnte man das an einem Beispiel gut vergleichen: Als es noch separate Seiten von N24 und Welt auf Facebook gab, wurden auf beiden die gleichen Artikel gepostet (seit 2014 arbeiten Welt und N24 als gemeinsame Redaktion, im Januar 2018 fusionierten die Marken, Anm. d. Red.); Welt hat immer moderiert, N24 nicht. Bei N24 war Eskalation, bei Welt hielt sich das in Grenzen. Inhaltlich triggern primär Themen wie Ausländerkriminalität oder Flüchtlingspolitik.

Wo ziehen Sie die Grenze der Meinungsfreiheit?

Schwierig ist, wenn es volksverhetzend wird oder zumindest subtil rassistisch. Oft kommen dann Beiträge, wo jemand sagt: "Sozialschmarotzer", oder ähnlich zynische Bemerkungen. Teilweise ist es aber noch offensichtlicher: so was wie "Knall die Nigger ab" oder "Lasst die doch im Mittelmeer ersaufen. Auf dem Meeresboden ist doch genug Platz für alle". Da geht es voll unter die Gürtellinie, das hat nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun.

Soziale Netzwerke wie Facebook müssen wegen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Hasskommentare nun schneller löschen. Merken Sie Veränderungen?

Die ganz heftigen, volksverhetzenden, Gewalt androhenden Aussagen sind in dem Ausmaß nicht mehr da; ich habe schon das Gefühl, dass mehr gelöscht wird. Dadurch hat sich aber die Schreibe verändert: Sie wird subtiler. Wir nehmen nach wie vor eine hochpolitisch motivierte Abwertung von Bevölkerungsgruppen wahr.

Jan Böhmermann hat als Antwort auf das rechte Trollnetzwerk "Reconquista Germanica" die Aktion "Reconquista Internet" gestartet. Wie unterscheidet die sich von #ichbinhier?

RI hat ein paar Aktionen gemacht, etwa riesige Eisblöcke, in die das Grundgesetz eingefroren war, vor die AfD-Zentrale gestellt - das würden wir zum Beispiel nicht machen. Zum einen weil wir bewusst überparteilich sind; es geht uns um die Kommunikationsform, nicht um irgendwelche Parteien. Zum anderen machen wir keine Offline-Aktionen, sondern aktive Counterspeech im Netz. Wir kennzeichnen auch alle unsere Kommentare mit #ichbinhier und konzentrieren uns auf Medienseiten bei Facebook.

Wie bewerten Sie "Reconquista Internet"?

Ich finde das cool, dass die das gemacht haben. Böhmermann hat es mit seiner Reichweite geschafft, innerhalb von einer Woche 50 000 Leute zu mobilisieren, das ist natürlich der Hammer - wir haben für 38 000 achtzehn Monate gebraucht. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es eine echte Herausforderung und eine Menge Arbeit ist, da eine Organisationsstruktur reinzubekommen, damit es sich auch langfristig trägt. Da wünsche ich RI, dass sie das schaffen. #ichbinhier könnte ich vom zeitlichen Aufwand locker in Vollzeit machen, aber ich bin selbständig, habe eine eigene Firma. Bei uns läuft nach wie vor fast alles ehrenamtlich.

Hass gibt es online wie offline. Lässt sich Ihre Arbeit im Internet mit der analogen Welt verbinden?

In zwei Wochen gehen wir für ein Pilotprojekt in eine Schule. Damit wollen wir Schülern beibringen, wie man im Netz sachlich diskutiert. Außerdem organisieren wir Workshops für Social-Media-Redakteure und auch regionale Stammtische. Bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes ist auch "Pulse of Europe" ausgezeichnet worden. Das ist eine Bürgerinitiative, die für Europa auf die Straße geht. Mit denen will ich mich bald zusammensetzen, um zu sehen, ob es funktioniert, dass wir #ichbinhier auch raus auf die Straße bringen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: