"Hart aber fair" zum NSU-Prozess:"Das ist alles nur noch lächerlich"

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"Ich finde das unverantwortlich." Hülya Özdag (rechts) in "Hart aber fair". Neben ihr der SPD-Politiker Sebastian Edathy. 

(Foto: WDR/Oliver Ziebe)

Das Münchner Gericht hat den NSU-Prozess verschoben. Von einem "Schlag ins Gesicht", spricht Hülya Özdag, die einen Bombenanschlag der Neonazis miterlebte, "grotesken Dilettantismus" nennen das andere Gäste bei Frank Plasberg. Und Zschäpes Verteidigerin Anja Sturm bestätigt: Ihre Mandantin wird schweigen.

Eine TV-Kritik von Anna Fischhaber

"Ich finde das alles nur noch lächerlich", sagt Hülya Özdag. Sie betreibt eine Bäckerei in der Kölner Keupstraße. In der Straße, in der die rechte Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" 2004 eine Bombe mit 800 Nägeln hochgehen ließ. 22 Menschen wurden damals verletzt. Özdag hat die Bombe miterlebt. Die Verdächtigungen miterlebt, denen so viele Angehörige der NSU-Opfer ausgesetzt waren.

Jetzt sitzt sie bei "Hart aber fair" und Frank Plasberg fragt, was die Verschiebung des NSU-Prozesses bedeutet. Für sie. Für die anderen Angehörigen. Özdag ist wütend. "Das ist wieder ein Schlag ins Gesicht", sagt sie. Man habe den Angehörigen Aufklärung und Transparenz versprochen. "Und dann ist eine Panne nach der anderen passiert." Geschredderte Akten, verweigerte Informationen - und jetzt das. Sie schüttelt ungläubig den Kopf. "Ich finde das unverantwortlich."

Es mag peinlich sein, das gibt selbst der bayerische Innenminister zu. Von "groteskem Dilettantismus", spricht Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen mit Blick auf das Akkreditierungsverfahren - auch wenn beide die Verschiebung juristisch nachvollziehbar finden. Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy, ist vorsichtiger mit seiner Kritik, gibt aber zu: Säße er jetzt in einer Kneipe, sein Urteil über das Münchner Oberlandesgericht würde vermutlich deutlicher ausgefallen.

Eigentlich hatte die Sendung "Der Nazi-Prozess - sitzt Deutschland mit auf der Anklagebank?" heißen sollen. Eigentlich hätte weniger als 40 Stunden nach der Sendung in München der NSU-Prozess begonnen. Doch dann überschlugen sich am Montagmittag die Ereignisse. Das Gericht verschob den Prozessauftakt kurzerhand auf den 6. Mai. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Freitag sei ein neues Akkreditierungsverfahren nicht mehr rechtzeitig zu bewerkstelligen, hieß es zur Begründung. Karlsruhe hatte verlangt, dass auch ausländische Journalisten zum NSU-Prozess zugelassen werden müssen.

Macht sich Deutschland lächerlich?

Auf der Pressekonferenz zeigte sich die Sprecherin einsilbig, der Vorsitzende Richter schickte später seine eigene Sicht der Dinge hinterher: Er gab der eigenen Pressestelle eine Mitschuld. Und die Angehörigen? Die Menschen, die sich mental auf dieses Verfahren eingestellt hatten, die Urlaub genommen und Flüge gebucht hatten? "Eigentlich müssten sie vorab informiert worden sein", sagte die Gerichtssprecherin nur. Und so lautet der Titel von Plasbergs Sendung nun: "Pleite beim Nazi-Prozess - macht sich Deutschland lächerlich?"

Gast des Abends ist Anja Sturm. Die Frau, die die mutmaßliche Terroristin Beate Zschäpe gemeinsam mit zwei Kollegen verteidigt. Der Auftritt, so kurz vor dem eigentlich geplanten Prozessauftakt, sorgt für Aufsehen - auch wenn die drei Verteidiger bereits zahlreiche Interviews gegeben haben und sich Sturm nicht der Diskussion stellt, sondern nur im Einzelgespräch auf Plasberg trifft. Das allerdings dauert dann auch nur fünf Minuten.

Sturm - dunkles Jacket, helle Bluse, roter Lippenstift, kurze blonde Haare und sicherlich keine Gesinnungsverteidigerin - wirkt ein wenig nervös. Doch Plasberg macht es ihr nicht schwer. Was die Verteidigung und Zschäpe selbst von der Prozessverschiebung halten und welche Konsequenzen diese für die Verteidigung habe, fragt er erst gar nicht. Ein wenig bekommt man das Gefühl, das Gespräch wurde von der Aktualität der Ereignisse eingeholt: Die Anwältin darf erzählen, wie sie ihren zwei kleinen Kindern ihren Job erklärt. Man müsse als Strafverteidiger eben gewisse Dinge hinterfragen, sagt Sturm, ganz Juristin. Und sie bestätigt erneut: Beate Zschäpe wird im Prozess schweigen.

Ermittlungspannen, "Nazi-Bafög" und keinerlei Erklärung

Doch wessen Entscheidung war das angekündigte Schweigen eigentlich? Sturm spricht von einem "Vertrauensverhältnis" zwischen Verteidigung und Angeklagter: "Frau Zschäpe hat sich in enger Abstimmung mit uns dazu entschieden, sich nicht zu den Vorwürfen zu äußern." Natürlich habe sie Verständnis für die Angehörigen, die eine Erklärung vom einzigen überlebenden Mitglied der Terrorzelle erwarten ("Wir Strafverteidiger sind auch Menschen."). Doch ein Strafprozess könne eben nur ein Stück weit aufklären und die Opfer nur ein Stück weit das erfahren, was sie erfahren wollen.

Die Maximalanklage gegen Zschäpe, die zwar bei den neun Morden, die der NSU mutmaßlich an Migranten verübte, nicht selbst geschossen haben soll, sich aber als gleichberechtigte Mittäterin vor Gericht verantworten muss, fuße auf "Vermutungen der Generalbundesanwaltschaft". Das haben die Verteidiger schon öfter gesagt. Dann fragt Plasberg, wann die Anwältin ihren Job gut gemacht habe - und liefert die Antwort gleich mit: "Wenn Zschäpe eine geringe Strafe oder wenn sie ein faires Verfahren bekommt?" "Die Frage ist ja sehr einfach", antwortet Sturm nun selbst. Es gehe natürlich um ein faires Verfahren. "In der Hoffnung, dass am Ende das richtige Urteil dabei herauskommt." Was das richtige Strafmaß wäre, sagt Sturm natürlich nicht.

Darüber müssen nun die anderen Gäste der Sendung diskutieren. Was passiert, wenn die Beweise nicht reichen? Wenn es am Ende nicht die Höchststrafe für Zschäpe gibt? Wenn der Gerichtssaal von Mai an nicht nur voller Menschen, sondern auch voller Erwartungen sein wird? Wenn der NSU-Prozess nicht leisten kann, was viele sich davon erhoffen?

Und das wird schwierig, das macht dieser Abend erneut deutlich: Das richtige Strafmaß ist eben nur die eine Sache. Die andere Sache - und das nicht erst, seit der Prozess so plötzlich verschoben wurde - ist eine Erklärung für die Pannen, die sich Polizei, Verfassungsschutz und nun auch Justiz im Fall NSU geleistet haben. Eine Erklärung, die noch immer fehlt und die vielleicht nie geliefert wird.

50.000 Mark "Nazi-Bafög"

Die Pannen dagegen sind bekannt. Edathy kann sie plastisch schildern. Etwa, wenn er davon berichtet, wie ein verurteilter Mann, der versucht hatte, einen Nigerianer zu ertränken, sich selbst dem Verfassungsschutz anbot. Und der half bei der vorzeitigen Entlassung. 50.000 D-Mark habe der V-Mann bekommen. Genauso viel, wie seinem Opfer Schmerzensgeld zugesprochen worden war. Das Opfer sah nichts von dem Geld. "Nazi-Bafög", nennt Plasberg das. Das klingt flott, weiterbringen tut es die Diskussion über Kosten und Nutzen von V-Leuten nicht.

Dafür nimmt jetzt, nach fast einer Stunde, die Diskussion emotional doch noch Fahrt auf. Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft schiebt die Schuld an den Ermittlungspannen auf die Politik. CSU-Politiker Herrmann tut alles, um sich ("Damals war ich noch nicht Innenminister") und die Arbeit der Ermittler ("Die ausländischen Mitbürger leben - so schlimm diese Mordserie war - in Deutschland sicherer als in allen anderen europäischen Ländern. Das ist auch die Wahrheit") zu verteidigen. Und die Kölner Bäckereibetreiberin Özdag wird immer empörter.

Es ist ein Abend mit Geschichten, die immer wieder aufs Neue fassungslos machen. Neue Erkenntnisse, warum Deutschland im Fall NSU so versagt hat, liefert er aber nicht. Dafür werden zu viele Themen angeschnitten, zu viele Einspieler gezeigt, zu viele Phrasen bemüht. Am Ende bleibt die Frage, ob Menschen mit Migrationshintergrund sich in Deutschland nach all den Pannen der Behörden noch zu Hause fühlen. Özdag kann darauf keine eindeutige Antwort geben.

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