Süddeutsche Zeitung

"Hart aber fair" zu Terroranschlägen:Plasberg im Nebel

"Hart aber fair" zu den Anschlägen in Paris ist eine öffentlich-rechtliche Therapiestunde - und bringt doch ein paar wichtige Erkenntnisse.

Von Carolin Gasteiger

Am Samstagabend steht die Welt noch unter Schock. Es ist kaum 24 Stunden her, dass Attentäter in Paris mehr als 120 Menschen getötet haben, als Frank Plasberg im Ersten zur "Hart aber fair"-Sondersendung bittet.

Ihr Titel: "Terrorkrieg in Paris - was macht die Angst mit unserem Europa?" Eine berechtigte Frage, angesichts der Tatsache, dass viele noch versuchen, das beispiellose Ausmaß an Gewalt zu begreifen, das Paris nun schon zum zweiten Mal binnen Monaten ereilt hat.

Aber wenn die ARD zusätzlich zum "Brennpunkt" eine Talkshow ins Programm nimmt, rechnet man mit außergewöhnlichen Gästen. Oder einem überraschenden Erkenntnisgewinn. Im Idealfall mit beidem. Und hofft insgeheim auf keine hastig zusammengeschusterte Gesprächsrunde wie im März, als sich die Gäste bei Sandra Maischberger kurz nach dem Germanwings-Absturz im Spekulieren verloren.

Ganz so schlimm wird es nicht. Plasbergs Redaktion hat eine solide, aber nicht außergewöhnliche Runde versammelt: CDU-Vizechefin Julia Klöckner, Publizist Michel Friedman, Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor und ARD-Terrorexperte Holger Schmidt. Die Runde stellt sich die dringlichsten Fragen dieser Tage: Wie gehen wir mit unserer Angst um? Wie können wir weiterleben? Befinden wir im Anti-Terror-Krieg? Was bedeuten die Anschläge für die Flüchtlingspolitik? Und bedeuten die Anschläge einen Aufschwung am rechten Rand?

Zu viele Fragen für eine einzige Sendung. Plasberg gelingt es nicht, der Diskussion einen roten Faden zu geben. Immer wieder wünscht man sich, er würde doch nachhaken. An den richtigen Stellen. Etwa, als Kaddor, als einzige Muslimin in der Runde leider unterrepräsentiert, die spannende Frage aufwirft: "Wieso versuchen wir ständig unter den Flüchtlingen zu fischen und sehen gar nicht, dass sie schon unter uns sind?"

Lange Zeit schwadronieren die Gäste lange Zeit vor sich hin, werfen weitere Fragen auf. Und doch bringt diese öffentlich-rechtliche Therapiestunde wichtige Erkenntnisse. Von den Attentätern wolle sie sich bewusst nicht distanzieren, sagt Kaddor, weil da nicht die geringste Nähe sei. Oder, als Michel Friedmann sagt: "Die Trennlinie geht nicht zwischen Muslimen und anderen, sondern zwischen Menschen die in Freiheit leben wollen und denen, die diese Freiheit so nicht ertragen."

In einer Sache waren sich alle Teilnehmer einig: Es sei sehr gefährlich, jetzt den IS-Terror und die Flüchtlingsproblematik zu vermischen. Schließlich seien viele der Flüchtlinge selbst Opfer des Terrors und vor diesem eben auf der Flucht. Als Plasberg den syrischen Pass anspricht, der bei einem der Attentäter gefunden wurde und der möglicherweise darauf hindeutet, dass dieser mit dem Flüchtlingsstrom aus Syrien nach Europa kam, pfeift ihn Klöckner vor unbewiesenen Behauptungen zurück: "Wir sind in einer Nebelwand", womit sie das Motto der gesamten Sendung erkennt.

Und dann kommt Horst Seehofer. In einem Einspieler sagt der CSU-Vorsitzende, er wolle wieder Klarheit haben, wer in unserem Land sei, und bringt damit unweigerlich Flüchtlinge mit dem Terror in Verbindung. Aber auf Verwunderung in der Runde stößt das kaum. Vielmehr pflichten Klöckner und Bedford-Strohm ihm bei. "Das finde ich jetzt nicht schlimm", sagt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche. Einzig Islamwissenschaftlerin Kaddor stellt den Kontext infrage, in dem Seehofer seine Äußerung gemacht hat. Auch hier hakt Plasberg nicht nach und vertut eine weitere Chance, aus der Gruppentherapie eine veritable Diskussion zu machen. Und ihren Status als Sondersendung gerechtfertigt hätte. Aber so bleibt leider bis zuletzt alles im Nebel.

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