Süddeutsche Zeitung

"Hart aber fair" zu Schlachthöfen:"Die, ähm, die Infektionszahlen - wie soll ich sagen ..."

In der Sendung wirkt der Fleischlobbyist Heiner Manten derart überfordert, dass Frank Plasberg kurz jede Abstandsregel sausen lässt.

Nachtkritik von Quentin Lichtblau

Frank Plasberg entschuldigt sich danach, dass er dem ziemlich bedröppelt dreinschauenden Fleischindustrie-Lobbyisten Heiner Manten so nahe gekommen sei. Das gehe ja eigentlich nicht in diesen Corona-Zeiten. Aber er habe ihm halt sagen wollen, dass er doch eigentlich ein "echt feiner Kerl" sei.

So viel Mitgefühl mit einem Fleischindustriellen - wer am Montagabend zufällig zu hart aber fair zappte, konnte nur verwirrt gewesen sein.

Manten ist Chef des Verbandes der Fleischwirtschaft und sitzt also bei Plasberg in der Sendung zum Thema: "Corona im Schlachthof - sind uns Mensch und Tiere Wurst?" Manten ist angetreten, um eine Branche zu verteidigen, in deren Betrieben sich mehr als 1200 Menschen mit dem Coronavirus infiziert haben - keine leichte Aufgabe. Plasberg vergleicht die Bedingungen, unter denen die Arbeiter wohnen und arbeiten müssen, mit "Käfighaltung".

Warum die unwürdigen Umstände, unter denen in der Regel Sub-Sub-Unternehmer Menschen aus Osteuropa in Deutschland beschäftigen, es dem Coronavirus so leicht gemacht haben, erklärt Welt-Journalistin Anette Dowideit. Sie schildert, dass die Arbeiter oft zu neunt in Kleintransportern hergebracht werden. Es gebe Fälle, in denen sich die Arbeiter schon auf dem Weg nach Deutschland infiziert hätten.

Hier angekommen würden sie meist in Massenunterkünfte untergebracht, alte Kasernen oder stillgelegte Bauernhöfe. Schrottimmobilien, in denen sie zu dritt oder zu viert in einem Zimmer schlafen und dafür noch ordentlich Miete zu zahlen hätten. Bis zu 400 Euro pro Bett und Monat, sagt Dowideit. In den Schlachtbetrieben gehe es dann weiter: kaum Schutzkleidung, kaum Aufklärung. Insgesamt also beste Bedingungen für das Virus.

Plasberg fragt also Manten, wie überrascht er von den hohen Infektionszahlen gewesen sein konnte. Und zu erleben ist ein Fleischlobbyist, der keine Antwort findet. "Also, zunächst einmal, die, ähm, die Infektionszahlen ---- wie soll ich sagen ..." Plasberg versucht zu helfen. Er könne ja einfach sagen, die Zahlen haben ihn nicht überrascht, weil er die Arbeitsbedingungen kenne. Manten schüttelt den Kopf, setzt neu an: "Nein, bitte geben Sie mir Gelegenheit, zunächst ein bisschen mich zu sammeln, mich zu finden. Also, die Infektionszahlen alleine, ähm, in den, ähm, ja - oder Medien, entschuldigen Sie, ich hab ein bisschen den, äh, Faden verloren." Es wird nicht viel besser.

Manten bringt dann noch heraus, dass er sich nicht vorstellen könne, dass sich in den Unterkünften tatsächlich drei oder vier Menschen ein Zimmer teilen müssten. Puh, Satz geschafft, man wünscht ihm, dass er an diesem Abend keine weiteren Fragen beantworten muss.

Mit ihm im Studio sitzen neben der Welt-Reporterin noch Arbeitsminister Hubertus Heil, SPD, Grünen-Chef Robert Habeck und der CSU-Abgeordnete und Landwirt Max Straubinger. Letzterer tut sein Bestes, um dem strauchelnden Manten beizuspringen: Er finde nicht, dass "in der Branche grundsätzlich was schiefläuft", nur wenige Betriebe seien von Corona betroffen.

Diese Einzelfall-Argumentation will Robert Habeck natürlich nicht gelten lassen, sondern lieber gleich die Systemfrage stellen: Die Schlachtereien seien schließlich nur ein Zahnrad im "Dumping-System" der deutschen Fleischindustrie, sagt er. Die Mehr-für-weniger-Geld-Logik produziere enorme Folgekosten, zum Leid der Tiere, der Menschen und der Umwelt, referiert er eloquent, aber immer an jeder Plasberg-Frage vorbei.

Auch Heil beschreibt die Zustände als ein bundesweites Problem, der hinzugezogene Manfred Götzke vom Deutschlandfunk berichtet, wie rumänische Arbeitskräfte systematisch um ihren Lohn betrogen werden. Und kurz stellt sich die Frage, warum eigentlich weder im Studio noch in den Einspielern auch nur ein einziger dieser Menschen zu Wort kommt.

Nachdem Plasberg sich erkundigt hat, wie es Götzke geschafft habe, mit den rumänischen Arbeitern in Kontakt zu treten (Überraschung, er spricht Rumänisch!), fährt Götzke mit weiteren Details zur Ausbeutung fort. Er habe mit Arbeitern gesprochen, die in Isolation waren, die nicht mal wussten, ob und wer ihnen Essen bringt. Es gehe ihnen schlecht, sagt er.

Plasberg will wissen, wie die Arbeiter entlohnt werden. Götzke kann da recht präzise Angaben machen: Etwa 1200 Euro bekommen sie im Monat, brutto, für 60 bis 70 Arbeitsstunden auf eine Sechs-Tage-Woche verteilt. Manche stünden um drei Uhr morgens am Band und seien erst gegen 15 Uhr am Nachmittag wieder in der Unterkunft. Vom Lohn gehen dann noch Miete ab, die Kosten für die Arbeitskleidung, die Fahrt zum Betrieb. Wenn überhaupt bleiben 600 bis 700 Euro pro Monat übrig.

Plasberg kann es kaum fassen. "Sie müssen aufhören mit diesem System", sagt er in Richtung Manten. Dem fällt darauf nichts Besseres ein, als den Deutschlandfunk-Reporter zu fragen, ob seine Angaben zur Bezahlung der Arbeitskräfte denn nun brutto oder netto gerechnet seien.

Da verlässt Plasberg sein Pult, stapft rüber zu ihm und es kommt zu der eingangs beschriebenen Nachhilfelehrer-Szene. Entgegen allen Abstandsregeln kumpelt Plasberg aus nächster Nähe drauf los, seine Frau sei wie Manten "vom Niederrhein", deswegen schätze er ihn und wolle nicht, dass der Abend für ihn zum "Tribunal" werde. Manken solle "alles vergessen", was ihm PR-Agenturen, so vermutet es Plasberg zumindest, vor der Sendung eingetrichtert hätten. Er solle besser "für sich" als "ehrlicher, deutscher Unternehmer" sprechen, "dann fahren Sie gut!"

Ob es sich bei diesen Ratschlägen um eine aufrichtige Hilfestellung handelt, weiß letztendlich nur Plasberg. Fest steht, dass man sich als Zuschauer vor Fremdscham gern hinter dem Sofa verkrochen hätte und sich abermals wünscht, dass Manten vorzeitig Feierabend machen kann.

Dem steht allerdings noch ein kompletter zweiter Themenblock bevor: das Wohl von Schweinen im 0,75-Quadratmeter-Kastenstand, Nackensteaks für vier Euro das Kilo, günstiger als ihre Herstellung.

Manten steht wieder vollkommen allein da - abgesehen vom etwas ulkigen Straubinger, der maximal unterkomplex betont, dass "der Markt" nun mal die Dinge regle und sich daran wohl auch nichts ändern lasse.

Vielleicht ist eine Talkshow einfach nicht der Ort, an dem man als Fleischindustrie-Lobbyist punkten kann. Anette Dowideit spendet dann allerdings noch indirekt Trost: Nach ihrer Einschätzung hat wenigstens Verbraucherschutzministerin Klöckner stets ein offenes Ohr für die Industrie.

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