Süddeutsche Zeitung

"Hart aber fair" zu Griechenland:Zuspitzen bis zum Abwinken

  • Die ARD-Talkshow "Hart aber fair" spitzt den Konflikt zwischen Deutschland und Griechenland in der Schuldenkrise zu, ohne einen Ausweg zu zeigen.
  • Moderator Frank Plasberg schlachtet die Äußerungen des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis zu dessen Mittelfinger-Geste aus.
  • Die Talkgäste übertreffen Plasberg in den Disziplinen "Einordnen" und "Informieren".

Von Paul Katzenberger

Pünktlich zur Leipziger Buchmesse brachte Peer Steinbrück in der vergangenen Woche sein neues Buch: "Vertagte Zukunft" heraus. Darin schreibt der frühere Bundesfinanzminister unter anderem: "Der Qualitätsjournalismus muss überleben." Die Aufgaben des Qualitätsjournalismus, wie Steinbrück sie definiert, sind unter anderem: "Auswählen, Einordnen, Zuspitzen und Informieren."

Als sich der SPD-Politiker in einem Foto-Interview mit dem SZ-Magazin kurz vor der Bundestagswahl 2013 mit dem Stinkefinger ablichten ließ, da erfüllte die Qualitätspresse ihre Aufgabe der Zuspitzung - und Steinbrück hatte eine wochenlange Debatte am Hals, ob er sich als Kanzler im Griff haben würde. Er verlor die Wahl bekanntermaßen mit Pauken und Trompeten.

Nun hat wieder ein europäischer Finanzminister ein Problem mit seinem ausgestreckten Mittelfinger, und wieder bemüht sich das deutsche Qualitätsfernsehen mit Bravour um seine Aufgabe der Zuspitzung.

Ohne Zweifel ist das Buch eines früheren Kanzlerkandidaten ja auch ein gutes Vademekum, doch schon vor Frank Plasbergs aktuellem Montags-Talk "Hart aber fair" stand nach der Jauch-Runde vom Vortag zu befürchten, dass der Moderator unter Steinbrücks Ratschlägen möglicherweise zu selektiv auswählen würde. Denn schon die Überschrift der Sendung ("Pleite, beleidigt und dreist - hat Griechenland dieses Image verdient?") gab nicht unbedingt zu der Vermutung Anlass, dass es hier neben der Zuspitzung möglicherweise auch um "Auswählen", "Einordnen" und "Informieren" gehen könnte.

"Hat der sich nicht selbst am meisten geschadet?"

Entsprechend legte Plasberg los: Er tat alles dafür, um der Runde bei "Pleite, beleidigt und dreist" einzuheizen. Zu schön war die Vorlage, die ihm Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis am Vortag bei Jauch gegeben hatte, als er die Echtheit eines Videos bestritt, das ihn im Jahr 2013 bei einer Rede in Zagreb zeigt, in der er sinngemäß sagt, die Griechen hätten den Deutschen im Januar 2010 den Stinkefinger zeigen sollen.

"Hat der sich nicht selbst am meisten geschadet?", fragte Plasberg seine Gäste. Bis heute habe es keinen Beweis für die Fälschung gegeben. "Können Sie jemandem vertrauen, der mit der Wahrheit so schwurbelig umgeht?"

Da war die Empörung des Moderatoren dann doch zu dick aufgetragen, sogar einer wie Julian Reichelt sah sich gehalten, leicht auf Distanz zur inszenierten Rage des Moderators zu gehen. Er wolle diesen Vorfall nicht überbewerten, so der Bild.de-Chefredakteur, um dann doch zu versichern, dass Varoufakis' Verhalten nahelege, wie fahrlässig dessen Umgang mit den Realitäten sei.

Einmal kurz empören

In diesem Stil durften sich die weiteren Gäste von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann ("Das erweckt kein Vertrauen"), über Nationalökonom Hans-Werner Sinn ("Griechenland ist insolvent") und Politik-Berater Michael Spreng ("Die griechische Regierung ist auf dem falschen Weg") einmal kurz empören. Und wenn Linkspartei-Chefin Katja Kipping oder der griechische Sonderbotschafter Jorgo Chatzimarkakis versuchten, Zweifel an dieser Form der Interviewführung zu artikulieren, dann wurden sie von Plasberg abgebügelt.

Währenddessen prangte auf den Bildschirmen im Hintergrund ein überlebensgroßer Varoufakis - mit ausgestrecktem Mittelfinger, während der Moderator genüsslich die nächste Einspielung ankündigte: "Darf ich die jüngste Reaktion Wolfgang Schäubles nachreichen?" Natürlich! Warum auch nicht? Ist doch lustig, zum x-ten Mal einen wutschnaubenden Bundesfinanzminister vorgeführt zu bekommen, der in Richtung der Griechen feststellt: "Sie haben alles Vertrauen zerstört."

Für die Zuspitzung gab's 'ne glatte Eins, aber wie sah's mit "Einordnen", "Auswählen" und "Informieren" aus?

Dafür reichte es mit Anstrengungen nur zu "ausreichend", wahrscheinlich eher zu "mangelhaft". An einer einer glatten "Sechs" in diesen Disziplinen schrammte die Sendung nur vorbei, weil die Gäste dann doch zu sachlichen Zustandsbeschreibungen in der Lage waren, die freilich wenig Neuigkeitswert besaßen: Oppermann referierte noch einmal die politischen Risiken, die mit einem Grexit einhergingen und verwies auf die marode Verwaltungsstruktur Griechenlands.

Alle bis auf Reichelt waren sich einig, dass die jahrelangen Kampagnen der Bild-Zeitung gegen die Griechen ("Pleite-Griechen", "Griechen-Raffkes", "Gierige Griechen") daneben seien. Die kollektive Empörung über die Ausfälle des griechischen Verteidigungsministers Panos Kammenos (Plasberg: "Flüchtlinge als Waffe") war noch einmal groß, und Athens Verquickung der historischen Schuld Deutschlands gegenüber Griechenland mit den Euro-Schulden Griechenlands gegenüber Deutschland wurde von allen Gästen als unglücklich dargestellt.

All diese Themen sind im deutschen Talkshow-Fernsehen bis zum Abwinken durchgekaut worden, doch die interessantere Frage, wie ein gangbarer Ausweg aus dem deutsch-griechischen Dilemma gefunden werden könnte, die blieb auch an diesem Abend weitgehend unbeantwortet.

Immerhin deklinierte Hans-Werner Sinn an plastischen Beispielen durch, warum aus seiner Sicht die einzige Lösung des Problems im Grexit läge, weil das Land durch die Abwertung der Währung wieder wettbewerbsfähig würde. Seine einfache Gleichung: Mit der Drachme kämen auch wieder Touristen. "Griechenland hätte sofort einen Bauboom" und: "Die Leute essen wieder ihre eigenen Tomaten." Derzeit importierten sie so etwas aus Holland.

Solche Experten gibt es

Das klingt zu schön, um wahr zu sein und tatsächlich hat Sinns Grexit-Vorschlag einen Haken: Als Professor muss er das politische Risiko nicht tragen, das ohne jeden Zweifel in einem Aufbrechen des Euro-Raumes läge, nicht zuletzt für eine Exportnation wie Deutschland. Das griechische Bankensystem stünde zudem sofort vor dem Kollaps und die soziale Katastrophe, von der das Land ohnehin massiv betroffen ist, würde sich zunächst verschärfen.

Es hätte der Sendung daher gutgetan, wenn Sinn ein Gegenüber gehabt hätte, das den politisch nach wie vor gewünschten Verbleib Griechenlands im Euro-Raum auch mit ökonomischen Argumenten hätte untermauern können.

Solche Experten, die nicht nur für eine verbale Abrüstung, sondern auch für echte inhaltliche Kompromisse auf beiden Seiten werben, gibt es: etwa den Berliner Ökonomen Henrik Enderlein. Der hält den griechischen Wunsch einer fiskalischen Stimulanz der Konjunktur, der dem Land auch nach fünf Jahrens brutalen und destruktiven Sparens verweigert wird, für ebenso berechtigt, wie den Wunsch der Euro-Länder nach einer Generalinventur des griechischen Staates: weg von Korruption und Kleptokratie, hin zu einer effizienten Steuerverwaltung und funktionierenden Katasterämtern.

Der Weg dahin ist mühsam. Er wird aber nicht dadurch leichter, dass hierzulande ein Stinkefinger im Augenblick das interessanteste Thema in diesem Kontext zu sein scheint.

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