Süddeutsche Zeitung

"Hart aber fair" zu Brüssel:Therapiegruppe Plasberg

Der Versuch, das Unfassbare greifbar zu machen: Frank Plasberg lädt nach dem Terror von Brüssel zu einer Extra-Ausgabe "Hart aber fair". Es wird eine pessimistische Runde.

TV-Kritik von Paul Katzenberger

Die Anschläge von Brüssel sind erst wenige Stunden her. Der Schock sitzt noch tief. Da hebt die ARD schon eine Talkshow zum Thema ins Programm: Frank Plasberg, ansonsten nicht um Zuspitzungen verlegen, meldet sich zu später Stunde mit einem eilends angesetzten "Hart aber fair-Extra", um mit seinen Gästen unter der Überschrift "Angriff auf das Herz Europas - Schutzlos gegen den Terror?" zu diskutieren.

Was kann eine solche Sendung leisten? Um einen Wettkampf der Meinungen kann es an diesem tragischen Tag nicht gehen, das weiß auch der Moderator, der sichtlich bemüht ist, diese Frage gleich in seinem Eingangsstatement zu klären: "Wir wollen reden", sagt Plasberg, "das ändert erstmal nichts, hilft aber vielleicht die eigenen Ängste, die eigenen Gefühle zu verstehen."

Die Gäste erzählen von ihren Gefühlen

Eine Sendung mit kurativer Wirkung soll dieses "Hart aber fair-Extra" also aus Sicht Plasbergs sein, und als eine Art Therapiegruppe startet die Runde auch: Die Gäste erzählen von ihrem eigenen Empfinden an diesem schlimmen Tag - im gegenseitigen Bekenntnis zur eigenen Angst erkennt sich sicher auch mancher Zuschauer wieder. Für ihn sei es ein Tag mit viel Sorge gewesen, berichtet etwa der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet: "Da hätte jeder sein können, viele Menschen aus Deutschland sind über Brüssel in den Urlaub geflogen."

Rudolf Dreßler kann an diesem Abend aus erster Hand berichten - er hat den Terror als deutscher Botschafter in Israel während der zweiten Intifada miterlebt. "In dem Moment, wo es einen hautnah berührt, weil in vier Kilometern Entfernung eine Bombe hochgeht, ... da ist man nicht nur geschockt, sondern im Trauma." Rolf-Dieter Krause, der sich als ARD-Studioleiter in Brüssel sehr nah am Ort des Geschehens aufhielt, spricht ebenfalls von "Schock". Die U-Bahnstation Maelbeek, in der die Bombe hochging, sei seine Station auf dem Weg zur Arbeit. "Da sind zehn Minuten vorher Kollegen rausgegangen."

Die Gedanken der grünen Europa-Abgeordneten Terry Reintke, die während des Anschlags in der Station Maelbeek zehn Gehminuten entfernt im Europa-Parlament saß, galten zunächst ebenfalls den Kollegen: "Da fragt man sich natürlich, ob da Menschen darunter waren, die mit mir arbeiten."

Den eigenen Empfindungen folgt das Bekenntnis zur offenen Gesellschaft

Das sind Worte der Trauer und Betroffenheit, die man an einem solchen Tag einfach mal so stehen lassen könnte, doch die Runde denkt auch jetzt schnell einen Schritt weiter. Das liegt zunächst an dem Bekenntnis, das Reintke und Dreßler zur offenen und freien Gesellschaft abgeben, die auch in Zeiten der Gefahr bewahrt werden müsse: "Ich wollte mir mein normales Leben nicht wegbomben lassen", sagt der ehemalige Israel-Botschafter.

Der Journalist Bruno Schirra packt diesen Gedanken gleich in einen noch größeren gesellschaftlichen Kontext, denn seine Kontakte zum sogenannten "Islamischen Staat" haben ihn offensichtlich stark desillusioniert. Europa werde lernen müssen, mit Menschen in den eigenen Reihen weiterzuleben, die jede Humanitas verloren hätten. Denn Dschihadisten, die im Krieg mit der europäischen Lebensweise stünden, fänden sich nicht nur in Syrien oder im Irak. "Die finden Sie in Pforzheim, in Saarbrücken, in Köln, in Duisburg-Marxloh. Das sind Leute, die sich auf ihrer Mission befinden, und für die nur noch eines gilt: nihilistisches Töten. Ich bin da zwangsläufig Pessimist geworden."

Das klingt grausam, doch glücklicherweise ist Armin Laschet zugegen, der zuletzt in kaum einer TV-Diskussionsrunde zur Flüchtlingsfrage fehlte, um für die pragmatischen Lösungsvorschläge seiner Parteichefin Angela Merkel zu werben. Auch an diesem denkwürdigen Abend hat er sogleich eine Antwort parat: Der Datenaustausch unter den Sicherheitsbehörden müsse europaweit verbessert werden. "Europol könnte es, aber fünf Länder machen mit und 23 machen nicht mit, weil jeder seine Daten für sich behält. Mehr Sicherheit wird man nur hinbekommen, wenn die Sicherheitsbehörden ihre Daten austauschen."

Dem will niemand in der Runde widersprechen - selbst der schwarzmalerische Bruno Schirra und der ebenfalls pessimistische ARD-Terrorismus-Experte Holger Schmidt schließen sich Laschets Meinung an - allein, es fehlt der Glaube, dass selbst in der akuten Stunde der Not die politische Einsicht in diese Notwendigkeit wachsen könnte.

Einen "rechtsfreien Raum" wie in Molenbeek gebe es in Deutschland nicht

ARD-Veteran Rolf-Dieter Krause etwa hat schon zu viele Rückschläge auf diesem Gebiet miterlebt, als dass er noch zuversichtlich sein könnte: "Ach wär's doch so. Es ist ja nicht die erste Bluttat. Ich weiß nicht, wie oft ich europäische Politiker schon darüber habe reden hören, dass man bei der Terrorbekämpfung enger zusammenarbeiten muss. Schon als der Kanzler Helmut Kohl hieß, war das eins der großen Argumente. Wieviel Warnschüsse brauchen wir denn noch, dass da Vernunft auf Seiten der Politik eintritt?"

Das klingt sehr viel mehr nach einer Illusion als nach der versprochenen Hilfe, die eigenen Gedanken zu verstehen. Doch Plasberg hat noch einen womöglich angstlösenden Aspekt für den deutschen Zuschauer in petto: Könnte es nämlich nicht so sein, dass der Anschlag in Brüssel sehr viel mit der spezifischen Situation im Stadtteil Molenbeek zu tun hat? Das sei schließlich ein fast rechtsfreier Raum, wie es ihn in Deutschland nicht gebe: viele Einwohner aus Nordafrika, jeder dritte Molenbeeker ohne Job. Bezirksbürgermeisterin Françoise Schepmans sprach nach den Anschlägen von Paris, an denen bereits mehrere Islamisten aus Molenbeek beteiligt waren, von einer "gewaltvollen Radikalisierung" des Stadtteils, wie der Einspieler belegt.

Auch diesem "Erklärungsversuch von vor Ort" will in der Runde kaum jemand widersprechen. In Molenbeek sei sehr lange weggeguckt und nicht konsequent genug durchgegriffen worden, erklärt ARD-Gewaltforscher Holger Schmidt: "Belgien hat im Verhältnis zur kleinen Bevölkerung mehr gewaltbereite Personen, als das in Deutschland der Fall ist - bei einem gleichzeitig nicht leistungsfähig genug aufgestellten Sicherheitsapparat."

In Deutschland sind die Zustände also noch nicht ganz so schlimm. Doch ob dieses Argument ausreicht, um den Ressentiments zu begegnen, die nach den Brüsseler Anschläge am rechten politischen Rand in Deutschland sofort neu angefacht wurden, muss an diesem Abend deutlich bezweifelt werden. Die AfD-Europapolitikerin Beatrix von Storch kommentierte die Brüsseler Anschläge am Dienstag auf Twitter höhnisch mit "hat aber alles nix mit nix zu tun". Der Abscheu in der Runde darüber ist groß (Dreßler: "menschenverachtend", Laschet: "zynisch"), doch ob der Zuschauer deswegen nun ruhiger schläft? Es wirkt eher so, als er noch sehr viel mehr lernen muss, um in diesen verrückten Zeiten seine Gefühle besser zu verstehen.

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