Süddeutsche Zeitung

"Hart aber fair":Von Tabus und Verschwörungstheorien

Bei Frank Plasberg diskutieren die Gäste, was am "Lügenpresse"-Vorwurf dran ist. Die Diskutanten bleiben besonnen - die Anschuldigungen eines Polizisten wiegen schwer.

TV-Kritik von Deniz Aykanat

Kleiner Einblick in den Arbeitsalltag der Social-Media-Redaktion einer großen deutschen Tageszeitung: Artikel müssen auf Facebook gepostet, Eilmeldungen über WhatsApp verschickt, das Wichtigste vom Tag kompakt über Twitter vermeldet werden. Und natürlich: Leser-Feedback muss beantwortet und Diskussionen moderiert werden.

Gerade das ist in den vergangenen Monaten zunehmend schwieriger geworden. Man braucht nur das Wort "Flüchtlinge" in eine Artikelüberschrift zu schreiben, um von derartigen Hasstiraden überrollt zu werden, dass die Social-Media-Redakteure kaum noch hinterherkommen. Dabei scheint es egal zu sein, ob der betreffende Artikel Flüchtlinge positiv oder negativ darstellt, oder ob es sich ganz einfach um trockene, sachliche Berichterstattung handelt. An Letzteres glauben viele Leser scheinbar ohnehin nicht mehr.

Gibt es in Deutschland Tabus in der Berichterstattung?

Tragen Journalisten und Polizisten durch ihren bisherigen Umgang mit dem Thema dazu bei, dass bestimmte Themen in Deutschland zum Tabu erklärt werden? Oder sind das alles nur Verschwörungstheorien, mit denen sich sogenannte Wutbürger zu Opfern stilisieren?

Diesen Fragen will die "Hart aber Fair"-Diskussionsrunde mit Frank Plasberg nachgehen. Als Gäste sind geladen: Alexander Gauland, stellvertretender Parteisprecher der AfD, Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen, Axel-Springer-Journalist Claus Strunz, die Leiterin des ARD-Politikmagazins "Panorama", Anja Reschke, und "Prinzen"-Sänger Sebastian Krumbiegel, der sich gegen Rechtsextremismus engagiert.

Als wäre die Stimmung nicht ohnehin schon angespannt genug, haben die Übergriffe in Köln nun noch einmal Öl ins Feuer gegossen. Polizei und Medien wird vorgeworfen, Informationen zu verheimlichen. Viele in Deutschland glauben, dass sie darüber getäuscht werden, wie es tatsächlich um die Flüchtlinge steht und mit welcher Häufigkeit sie kriminell werden, kurz: ob die Asylsuchenden eine Gefahr darstellen. Zu Recht?

Eigentlich ist im Pressekodex klar geregelt, wann eine Nennung der Herkunft eines Straftäters geboten ist und wann nicht. Einfacher macht das die Arbeit aber nicht. Die Stimmung ist so aufgeheizt, dass es nicht mehr reicht, die Richtlinien des Presserats heranzuziehen. Längst ist die Diskussion in die Sphären des Hochemotionalen abgedriftet. Muss man sie nun auch auf dieser Ebene führen?

Muss man die Debatte so emotional führen?

AfD-Sprecher Alexander Gauland würde diese Frage offensichtlich mit Ja beantworten. Den Begriff der Lügenpresse findet er zwar überzogen, aber: "Viele Menschen empfinden so. Wir sollten von den öffentlich-rechtlichen Medien erzogen werden. Wir sollten die Flüchtlingspolitik der Regierung gut und richtig finden."

ARD-Kommentatorin und Journalistin des Jahres Anja Reschke will diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen. Sie zählt auf, aus wie vielen migrantischen Brennpunkten der Republik sie schon Dokumentationen mitgebracht hat. Vor Köln und auch schon vor dem vermehrten Zuzug von Flüchtlingen. Sie erwähnt das später noch mal und auch ganz zum Schluss der Sendung, als eigentlich schon alle ihr Schlusswort abgeliefert haben.

Wahrgenommen werden diese Beiträge aber offenbar nicht. Nicht von Gauland und vermutlich auch nicht von den Bürgern, die sich jeden Montag in Dresden zu Pegida-Demos versammeln. Das aber ist genau das Problem: eine selektive Wahrnehmung. Man pickt sich heraus, was in das eigene Weltbild passt. Genau das ist aber auch der Vorwurf, den Gauland den Medien macht: "Die Öffentlich-Rechtlichen propagieren, das was Merkel macht, gut zu finden. Das Fernsehen ist einseitig und unvollkommen."

Der Vorwurf, der Regierung nach dem Mund zu reden, lastet nicht nur auf den Öffentlich-Rechtlichen, sondern auf den Medien allgemein. Ob Berichterstattung nun an manchen Stellen tendenziös ist, liegt zum Teil im Auge des Betrachters. Was Axel-Springer-Journalist Claus Strunz allerdings unerträglich findet, ist, wie der Lügenpresse-Begriff einen ganzen Berufsstand verunglimpft. "Das ist ein ekelhaftes Etikett."

Wer von Lügenpresse spricht, der ist an einer echten Auseinandersetzung nicht interessiert. Diejenigen, die Lügenpresse skandieren, geben vor, die einzige kritische Stimme in einem Chor von Schafen zu sein, die einer politischen Elite hinterherlaufen. "Dieser Vorwurf will aber selber Meinung produzieren", wirft Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt ein.

Die Diskussionsteilnehmer, selbst AfD-Sprecher Gauland, von dem man auch andere Töne gewohnt ist, diskutieren besonnen. Das war in der aufgeheizten Post-Köln-Debatte nicht zu erwarten. Es ist ein Gespräch, wie es öfter nötig wäre in Zeiten wie diesen, die durchzogen sind von Populismus und scheinbar einfachen Wahrheiten. "Keiner will das Grau hören. Jeder malt sich sein eigenes Schwarz und sein eigenes Weiß", sagt Journalistin Reschke.

Woher kommt aber nun das Misstrauen gegenüber Presse, Polizei und Politik? Es ist nicht wahr, dass die Medien in Deutschland nur Jubel und Lobpreisungen über Flüchtlinge oder die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung veröffentlichen. Zeitungen und Medien sind voll von den scharfen Geschossen der CSU, die jeden Tag mit neuen Ideen zu Abschiebezentren, Null-Toleranz und "Wer betrügt, fliegt"-Losungen aufwartet.

Göring-Eckardt weist zurecht darauf hin, dass es auch vor der Flüchtlingskrise schon Diskurse gab, die nicht von linken Eliten dominiert wurden. "Es wird Stimmung gemacht, die vorgibt, dass Stimmung gemacht wird. Das erinnert an die Phase Thilo Sarrazin. Auch damals wurde schon behauptet, dass man nicht darüber sprechen dürfe. Dabei war Sarrazin auf allen Kanälen", sagt die Grünen-Fraktionschefin.

Fakt ist aber auch, dass die Polizei lange Zeit Zahlen zu kriminellen Migranten aus der Maghreb-Region nicht veröffentlichte. Moderator Frank Plasberg blendet die Aussage eines Polizisten ein, der anonym bleiben will. Es sei nicht erwünscht gewesen, entsprechende Zahlen zu erheben, da man befürchtete, dass die Rechten dadurch an Zulauf gewännen. Es ist eine Anschuldigung, die schwer wiegt. Andererseits: Kann man das der Polizei vorwerfen? Wenn schon vor Köln fast täglich eine Flüchtlingsunterkunft brannte und rechtsextreme Straftaten massiv zunehmen?

Wie das Henne-Ei-Problem

Die Frage, wer die Debatte in Deutschland vergiftet hat, ist wie die nach der Henne und dem Ei. Gauland sagt, die AfD habe den Begriff Lügenpresse nicht erfunden. "Das rufen die Menschen von sich aus auf der Straße. Das ist eine Art Hilferuf."

Die Pegida-Bewegung hat ziemlich schnell nach ihrer Formierung die große rassistische Keule ausgepackt. Es stimmt aber auch, dass sie von der Presse blitzschnell abgeurteilt wurde: Mit denen könne man ja nicht reden. Vermutlich hat auch das viele erst in die Arme von Pegida und Parteien wie der AfD getrieben. "Wenn man als Pack bezeichnet wird, will man sich wehren. Die finden keinen anderen Weg, als Lügenpresse zu rufen", so Gauland.

Auch zu dieser Zeit aber gab es schon Stimmen, die der Willkommenskultur in Deutschland vehement widersprachen. Es ist also auch ein Teil der Wahrheit, dass sich viele den einfachen Wahrheiten von Pegida und Co bereitwillig hingegeben haben. Die sogenannten besorgten Bürger wollen austeilen, können aber nicht einstecken. Wer sich harten Argumentationen ausgesetzt sieht und nicht mehr weiter weiß, dem kommt der Vorwurf der Lügenpresse gerade recht. Lügenpresse schlägt alle anderen Argumente tot.

Im Internet kursieren Videos von Köln - sie zeigen Kairo

Die Medien werden als Lügenpresse beschimpft, angeheizt auch durch gefälschte Videos, die im Internet kursieren. Sie sollen die brutalen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht zeigen - und stammen nachgewiesenermaßen vom Kairoer Tahrir-Platz während des Arabischen Frühlings. "Man darf sich als Journalist nicht nur von Emotionen leiten lassen", sagt Strunz. Gleiches sollte aber auch für andere gelten.

Ein "Hart aber Fair"-Zuschauer schreibt auf Facebook: Wer für die Willkommenskultur sei, werde als "Bahnhofsklatscher" lächerlich gemacht. Der Begriff ist angelehnt an das Bild klatschender Menschen, die Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof begrüßten. Ein anderer Zuschauer antwortet ihm: "Und wer nicht am Bahnhof steht und klatscht, ist ein Nazi."

Wie also aus diesem Teufelskreis ausbrechen? Strunz schlägt zum Ende der Sendung vor, sich eines Zitates des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein zu besinnen: "Sagen, was ist." Schwierig, wenn jeder nur noch die Informationen glaubt, die er glauben will.

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