Hart aber fair:Plasberg-Talk zu Köln: Abscheulichkeit trifft politische Agenda

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Zu Gast bei "Hart aber fair" sind NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft.

(Foto: dpa)

Eine Frau erzählt vom Silvesterabend in Köln. Ministerpräsidentin Kraft entschuldigt sich. Und zwei Gäste von Frank Plasberg führen ihren Kleinkrieg.

TV-Kritik von Johanna Bruckner

Brigitte Büscher ist eine Pflichtstation für Moderator Frank Plasberg in jeder Hart aber fair-Sendung. Am Stehpult der "Zuschaueranwältin" wird es menschlich, hier geht es nicht um vorgefertigte Politiker-Statements, sondern um spontane Äußerungen normaler Bürger. Büscher ist die Frau für Facebook, Twitter, und ja, fürs Telefon. "Uff", sagt sie, als Plasberg nach einer guten halben Stunde an ihren Tisch kommt. "Heute ist es wirklich so, dass die Emotionen - ich will jetzt nicht sagen: mit den Zuschauern durchgehen -, aber man merkt schon, dass bestimmte Gefühle Vorrang haben: Wut, Sorge, Hass."

Die Zuschaueranwältin spricht an diesem Abend nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Gäste im Studio. "Die Schande von Köln - was sind die Konsequenzen?" lautet der Titel der ersten Hart aber fair-Ausgabe 2016. Hunderte Frauen wurden in der Silvesternacht auf dem Domplatz Opfer sexueller Übergriffe, die Täter waren, so Stand heute, wohl größtenteils Asylsuchende oder Personen, die sich illegal in Deutschland aufhalten. Sie sollen mehrheitlich aus nordafrikanischen Ländern stammen. Der Plasberg-Talk ist eine der ersten Gesprächsrunden zum bestimmenden Thema des noch jungen Jahres, was nicht an der mangelnden Brisanz liegt, sondern daran, dass viele Formate noch in der Weihnachtspause sind. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn auch die Geschehnisse der Neujahrsnacht in Köln und anderen deutschen Großstädten wurden erst mit Verzögerung öffentlich.

Plasberg darf sich über eine umso prominentere Besetzung freuen, neben der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sind Kristina Schröder und Renate Künast zu Gast. Die CDU-Politikerin war einst als Ministerin unter anderem für Frauen zuständig, die Grünen-Politikerin ist Rechtsexpertin ihrer Partei. Komplettiert wird die Runde durch den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, und den Journalisten Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung.

In nüchterner Sprache dokumentierte Ungeheuerlichkeiten

Auch bei den Talkshow-Profis kochen an diesem Abend die Emotionen hoch, doch nicht unbedingt an den Stellen, an denen man es als Zuschauer erwarten würde. Zum Beispiel, als ein Einspieler verdeutlicht, was unter "Übergriffen" verstanden werden muss. Die Off-Stimme zitiert aus dem Bericht des NRW-Innenministeriums zur Silvesternacht: "Schlag ins Gesicht" - "Handy entrissen, mehrere geschädigte Frauen, bei allen versucht, Finger in Scheide einzuführen, misslang wegen Strumpfhose" - "einer Geschädigten wurde Finger eingeführt" - "begrabscht, Griff an Po und Scheide" - "Geschädigte von zwei Männern umringt, dann an Brüsten und Schritt angefasst" - "Vergewaltigung durch Gruppe, fassten in den Genitalbereich und führten Finger in Scheide ein".

27 Seiten lang ist der Bericht, allein 13 Seiten nimmt die Auflistung der Delikte ein. Diese in nüchterner Sprache dokumentierten Ungeheuerlichkeiten machen den Schrecken, den die betroffenen Frauen durchleben mussten, noch eindrücklicher als das Einzelgespräch zu Beginn der Sendung. Plasberg interviewt Anja Meier, die in der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte war. Es ist dem Moderator anzurechnen, das er seinen Gast nicht dazu drängt, zu erzählen, was genau ihr dort widerfahren ist.

"Man hatte das Gefühl, das man von diesen Männern, die einen angesprochen haben, in ein Fangnetz getrieben wurde", sagt Meier, die in Wahrheit anders heißt. Von 50 oder mehr Männern seien sie und ihre Freundinnen umzingelt gewesen. "Wir hatten in erster Linie das Gefühl, dass die uns beklauen wollten." Erst als die Männer gemerkt hätten, dass es nichts zu holen gab, sei es zu den sexuellen Übergriffen gekommen. Ob sich ihr Verhältnis zu Flüchtlingen nach jener Nacht verändert habe, fragt Plasberg. Nein, antwortet die junge Frau, "die Menschen, die hierhin kommen, suchen Sicherheit. Diese Sicherheit hat für uns Frauen an diesem Abend nicht existiert."

Plasberg spricht allein mit Meier, die Diskussionsrunde beginnt erst danach - und das ist gut so. Denn Grünen-Politikerin Künast macht wenig später deutlich, dass sie vor allem hier ist, um ihre persönliche Agenda zu platzieren. Die lautet: Wann immer es geht, Polizeigewerkschafter Wendt die Schuld zuzuschieben. So folgt auf den erwähnten Einspieler prompt der Angriff: "Herr Wendt, eigentlich ist doch das der Augenblick, wo man sich überlegen muss, wie desaströs ein Polizeieinsatz gelaufen ist." Die Politikerin, die zwischendurch immer wieder fordert, dass in Deutschland eine ernsthafte Diskussion über sexualisierte Gewalt gegen Frauen überfällig sei, verschiebt die Debatte selbst. Und verlegt sich lieber auf Zwischenrufe jenseits der Höflichkeit: "Jetzt machen Sie hier den großen Macker!" Gemeint ist natürlich Wendt.

"Wir konnten sie nicht schützen"

Am Ende ist es der Journalist Prantl, der für die Aufzählung der Abscheulichkeiten die richtigen Worte findet: "Das ist schlichtweg entsetzlich und widerwärtig." Der Moderator zeigt sich, nun ja, irgendwie dankbar. "Und das muss ein Mann sagen!", kommentiert Plasberg.

Eine Frau wartet mit einer aufrichtig wirkenden Entschuldigung auf. "Das tut mir richtig weh", sagt NRW-Ministerpräsidentin Kraft. "Wir konnten sie nicht schützen. Das darf nicht passieren." Mehr als 100 Beamte seien in der Silvesternacht auf dem Domplatz gewesen, weit mehr als im Vorjahr, aber: "Als die Nacht anders verlief, wurde nicht nachgefordert." Die Lage-Einschätzung an diesem Abend sei "falsch" gewesen. Nur gegen einen Vorwurf verwehrt sich Kraft: den, dass die Politik versucht habe, etwas zu vertuschen.

Das sieht Polizeigewerkschafter Wendt ganz anders. Der gibt auch insofern den Konterpart zu Künast, als dass er wie die Grünen-Politikerin nur auf die richtigen Stichworte zu warten scheint, um seine Positionen loszuwerden. Wobei es in diesem Land ja gar nicht so einfach ist, zu sagen, wie es nun mal ist - findet Wendt. "Jeder Beamte weiß, dass es eine politische Erwartungshaltung gibt, die gezüchtet wird." Seine Stimme wird laut bei diesem Thema.

Soll heißen: Polizisten schönen zur Wahrung des sozialen Friedens Berichte zu straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten. Wie diese alltäglichen "Taschenspielertricks" (O-Ton Wendt) funktionieren, wird in einem weiteren Einspieler erklärt. In Polizeistatistiken tauche mitunter eine Sexualstraftat als Körperverletzung auf - nur damit die Quote an Sexualstraftaten bei Flüchtlingen nicht höher sei als in der Normalbevölkerung.

Zu viele Themen auf dem Zettel

Nun wird auch Ex-Ministerin Schröder wach. "Es heißt jetzt immer: Die Täter müssen verurteilt werden, unabhängig von Nationalität und Herkunft. Das ist doch eine Binse, die uns nicht weiterbringt!" Aber, so die CDU-Politikerin: "Ich habe ein gutes Gefühl, dass da in den letzten Tagen was aufbricht." Das klingt einigermaßen zynisch, aber die Opfer sind zu diesem Zeitpunkt ohnehin längst abgehakt. Und was ist mit den Konsequenzen aus Köln, um die es zumindest laut Sendungstitel gehen soll?

Plasberg gibt sich alle Mühe und begeht doch den Kardinalfehler vieler Talkshowmoderatoren: Er hat sich einfach zu viele Themen auf den Zettel geschrieben. Das deutsche Sexualstrafrecht (Prantl: "Im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung müssen wir uns fragen: Wo sind Lücken? Und es gibt diese Lücken."). Die Gefahren von Zuwanderung aus Macho-Kulturen (Schröder: "Das ist doch blanke Frauenverachtung von Hunderten Menschen in mehreren Städten!"). Integration (Kraft: "Wir müssen Integration arbeiten. Das geschieht nicht einfach."). Rechtspopulismus (Plasberg: "Die Silvesternacht wirkt wie ein Jungbrunnen für die alten Parolen der AfD."). Die Flüchtlingsobergrenze (Künast: "Wir stehen vor einer der schwierigsten Situationen, die wir je hatten - schwieriger als die Wiedervereinigung.").

Die Runde streift jedes Thema und kommt doch nicht substanziell voran. Und so möchte man es am Ende mit Zuschaueranwältin Brigitte Büscher halten: uff.

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