"Hart aber fair":Fleisch-Mafia auf dem Grill

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Bei "Hart aber fair" ging es wieder um die Abgründe der deutschen Fleischindustrie. (Foto: WDR/Dirk Borm)

Mehr als 1500 Corona-Infizierte bei Tönnies, aber so richtig will zumindest in der Sendung von Frank Plasberg keiner was falsch gemacht haben. Und ein Pfarrer spricht für die, die nicht eingeladen wurden.

Von Quentin Lichtblau

7000 Tönnies-Mitarbeiter, verteilt auf 1300 Wohnungen. Zahlen, für die es nicht mal ein Coronavirus bräuchte, um zu dem Schluss zu kommen, dass das Wort "Sozialstandard" beim Schlachter in Nordrhein-Westfalen womöglich keine allzu große Rolle spielt. Diese 7000 Menschen stehen nun in ihren winzigen Wohnungen unter Quarantäne.

Tönnies ist nicht nur der größte Schlachtbetrieb Deutschlands. Sondern mit derzeit 1553 infizierten Mitarbeitern auch der derzeit größte Corona-Hotspot Deutschlands, wenn nicht sogar Europas. "Tönnies stand mal für ein Fleisch-Imperium, heute für einen Corona-Gau", fasst es Frank Plasberg zu Beginn von "Hart aber fair" am Montagabend zusammen. Sein Thema: "Massenerkrankung in der Fleischfabrik - Gefahr fürs ganze Land?". Geladen sind NRW-Arbeits- und -Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, Christian von Boetticher von der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie, SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und Journalist Michael Bröcker.

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Die im Titel noch mit einem Fragezeichen versehene Gefahr ist für Lauterbach evident. Betroffene waren einkaufen, hatten ihre Kinder zur Schule geschickt, hätten die Region verlassen, Richtung Rest-Deutschland und ganz Europa. Dass sich das Virus bisher fast nur im "Dunstkreis" der Tönnies-Mitarbeiter verbreitet hätte, wie Karl-Josef Laumann (CDU) sagt, glaubt Lauterbach, der unter anderem Epidemiologie studiert hat, nicht.

Ähnlich wie Ministerpräsident Laschet aber hält Laumann einen signifikanten Übersprung auf Menschen außerhalb der Mitarbeiterschaft für unwahrscheinlich, wiederholt dessen Zahl von 19 Fällen ohne Tönnies-Verbindung. Er stimmt Lauterbach dann aber zu, dass es Stichproben-Tests brauche, um aussagekräftige Schlüsse zu ziehen.

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Zumindest müssten sich die infizierten Mitarbeiter, die aus Polen, Bulgarien und Rumänien kommen, nicht auch noch Sorgen um ihre medizinische Versorgung machen, sagt Laumann. Es sei wichtig, ihnen zu erklären, was es mit den Quarantäne-Regeln auf sich habe. Ansonsten aber befänden sie sich an dem perfekten Ort für eine Corona-Infektion, mit einem "sehr guten Gesundheitssystem". Die Bundeswehr sei vor Ort, das Rote Kreuz, die Malteser "und viele andere Hilfsorganisationen". Angesichts dieser Logistik könne man lokal von einem soliden Lockdown sprechen.

Da richten sie die Augen auch schon auf den Lebensmittel-Lobbyisten von Boetticher. Hat Billigfleisch den Ausbruch erst möglich gemacht? Boetticher erklärt erst mal, dass die Nahrungsmittelindustrie in der Krise Höchstleistungen vollbracht habe, um die Lebensmittelsicherheit zu garantieren. An den lächerlich billigen Preisen für Fleisch aber seien die fünf großen Handelskonzerne schuld. Außerdem hätten Kartellamt und Politik hier verschlafen.

Es müsse ja jetzt auch erst herausgefunden werden, wie sich das Virus bei Tönnies tatsächlich verbreitet habe. Das wiederum sei die Aufgabe von Profis. Plasberg wirft ein, "es würde vielleicht helfen, wenn man nicht drei Leute in einem Zimmer übernachten lässt". Boetticher weist einen Zusammenhang zwischen dem Ausbruch und den erbärmlichen Arbeits- und Wohnbedingungen der Mitarbeiter zurück - dafür gebe es noch keinerlei seriösen Beleg.

Katrin Göring-Eckardt und der CDU-Mann Laumann liefern sich auch noch ein kleines Scharmützel um die Schuld-Frage. Laumann erinnert daran, dass es damals die rot-grüne Bundesregierung war, die Werkverträge, welche zu einer Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Standards geradezu einladen, erst ermöglicht habe. Die hätte er doch mittlerweile längst abschaffen können, feuert Göring-Eckardt zurück - worauf der beteuert, seit Jahren nichts anderes versucht zu haben.

So richtig schuld ist hier also niemand an irgendwas. Journalist Bröcker glaubt zumindest, dass Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze keine Garanten mehr sein dürften, dass sich die Politik nicht einmischt. Das "System Tönnies ist am Ende", konstatiert er. Er prophezeit, dass das Unternehmen "dieses Jahr nicht überleben wird". Tönnies stehe beispielhaft für eine Industrie, die Rumänen, Bulgaren und Polen ins Land geholt hat, um sie hier unmenschlich zu behandeln.

Stellvertretend für diese Menschen spricht dann noch der zugeschaltete Peter Kossen, katholischer Pfarrer aus Lengerich. Der kämpft seit Jahren an der Seite der Fleischindustrie-Arbeiter für bessere Arbeitsbedingungen. Deren Job sei gefährlich, auch ohne Corona, sagt er. Er kenne Leute, die mehr als 250 Stunden im Monat arbeiten und deren Löhne noch durch Abzüge wie Matratzen-Miete oder den Transport zur Arbeit kleingerechnet werden.

Ihm wird ein Zitat von Clemens Tönnies eingespielt. Der Unternehmer zeigt sich darin einsichtig und beteuert, Dinge "ändern" zu wollen. Kossen glaubt ihm nicht: "Man kann mit der Mafia die Mafia nicht verändern." Es brauche ein Verbot der Werkverträge, damit sich die Verantwortlichen nicht länger hinter zig Subunternehmern verstecken könnten. Die Arbeit gehöre reguliert, Menschen dürften nicht länger arbeiten, bis sie umfallen, egal ob wegen Corona oder Erschöpfung.

Vielleicht bliebe den Arbeitern bei Tönnies und anderen Schlachtbetrieben dann auch Zeit, um am öffentlichen Leben in Deutschland teilzunehmen, meint Kossen. Ein guter Impuls - vielleicht würde dann auch mal einer von ihnen in eine Polit-Talkshow eingeladen.

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