Harald Schmidt als Opernführer:Rausch der Gleichzeitigkeit

Diesmal ohne Playmobilfiguren: Harald Schmidt gibt für den SWR bei der "Don-Giovanni"-Inszenierung in Stuttgart den leibhaftigen Opernführer. Dabei kommt eine lauer Sommerabend mit Elvis-Einlage und eine steile These heraus: "Don Giovanni ist der Dominique Strauss-Kahn der Musikgeschichte."

Gustav Seibt

Harald Schmidt kann vieles gut, eine seiner schönsten Begabungen aber ist es, Bühnenhandlungen in drei Sätzen zusammenzufassen. Das weiß jeder, der sich noch an seinen "Rigoletto" in fünf Minuten erinnern kann, den er in seinen besten Tagen bei Sat 1 mit Playmobil-Figuren nachstellte. Da kam der Witz aus der Position beim "Unterschichten-Fernsehen" (Harald Schmidt), das kurz mal nach oben schielte zur Hochkultur.

Public Viewing der Oper Don Giovanni

Harald Schmidt vor der Stuttgarter Staatsoper, wo er die Handlung in einfachen Worten erklärt: Don Giovanni "ist der Dominique Strauss-Kahn der Musikgeschichte"; bei ihm lernt Donna Anna, "dass es mehr geben kann als Kuscheln und Gespräche".

(Foto: dpa)

2006 machte sich das öffentlich-rechtliche Kulturfernsehen das zunutze und engagierte Schmidt für eine ARD-Übertragung von "Figaros Hochzeit" aus Salzburg, wo das Teuerste vom Teuren der Hochkultur auftrat, die Sängerin Anna Netrebko. Auch das war ganz schön, nur dass Schmidt im Smoking eine Spur zu arrogant rüberkam und fast Teil eines Klassensystems zu sein schien, das sich mit kostspieligen Premierenkarten feinkennerisch amüsiert, wenn sich Dienstboten einen tollen Tag mit Mozartarien machen. "Diesmal keine Playmobilfiguren!", waren die absehbaren Kommentare, und leider war auch die Inszenierung nicht richtig gut.

Der langwierig vorangekündigte "Don Giovanni" aus der Stuttgarter Staatsoper war Gott sei Dank wieder etwas Anderes. Ja, Harald Schmidt, im Hauptberuf inzwischen vom Privatfernsehen ins Pay-TV abgewandert, konnte auch hier vorbereitend und einleitend den Opernführer für die Ahnungslosen geben: Don Giovanni "ist der Dominique Strauss-Kahn der Musikgeschichte"; bei ihm lernt Donna Anna, "dass es mehr geben kann als Kuscheln und Gespräche"; Zerlina "ist eine junge moderne Frau, die bereit ist, durch Kopulation den sozialen Aufstieg zu befördern." Dann bringt Don Giovanni Donna Annas Vater um und lädt hinterher die Leiche zum Abendessen ein. "Das ist der Fehler."

Das Setting, das sich der übertragende SWR, Arte und 3sat zusammen mit der fabelhaften Stuttgarter Oper ausgedacht haben, war aber in Wirklichkeit viel anspruchsvoller. Da wurde nicht nur eine Premiere abgefilmt und mit einem leibhaftigen Opernführer begleitet wie in Salzburg. Gleichzeitig lief ein Public Viewing draußen am See vor dem Opernhaus. Während auf 3sat das Bühnengeschehen frontal und herkömmlich zu sehen war, lief auf SWR Harald Schmidt mit einer Reportagekamera durch das Opernhaus, unterbrach die Übertragung zwischen den Höhepunkten für Gespräche hinter der Bühne, auf den Fluren, ja draußen im Foyer, später bei den in der Sommernacht Lauschenden.

Das Bühnengeschehen wurde dabei zu dem melodiösen fernen Gebrumm, das für jeden Theatermenschen der berauschendste Klang der Welt ist: Das riesige Spielwerk Oper, das Kraftwerk der Gefühle ist im Gang, es stampft und arbeitet, und wir sind mitten im Maschinenraum, jeder dreht an seinem Rad, macht die ihm zugeteilte große oder kleine Bewegung, damit über viele Stunden das Wunder gelingt: das Wunder des Zusammenspiels von Darstellung, Gesang und Orchesterbegleitung in einer hochdramatischen Aktion.

Gut 200 Personen sind vom Orchestergraben bis zur Beleuchtung oben an so einem mehrstündigen Abend Sekunde für Sekunde gemeinsam tätig. Was Hochkulturfremde vielleicht nicht ahnen: Die menschliche Zivilisation produziert wohl an keinem zweiten Ort ein solches Höchstmaß von aktuellen Gemeinschaftsgefühlen, wie sie während einer großen Opernaufführung bei den Mitwirkenden entstehen.

Augenblick, du bist so schön

Kurzum: für den Zuschauer, der das zu Hause, dazu im Internet, verfolgte, wo noch ein halbes Dutzend Live-Kameras (Orchestergraben, Inspizientenpult, Bühnenansicht von oben) anzuklicken waren, die maximale Anforderung ans Multitasking. Wenn der Ton im Internet ausfiel - der Ansturm muss enorm gewesen sein - musste er eben bei 3sat wieder angestellt werden. Problem: Die 3sat-Übertragung kam zwei Sekunden später als der SWR-Live-Stream, was eigentlich nur gut war, wenn man Lust hatte, Antony Hermus, den Dirigenten des Abends, zu kontrollieren.

Public Viewing der Oper Don Giovanni

Public Viewing in der Abendstimmung: Augenblick, du bist so schön.

(Foto: dpa)

Den Rausch der Gleichzeitigkeit konnte die multimediale Anlage der Übertragung dann tatsächlich in vielen Momenten fast gänsehauterzeugend übermitteln: Da sitzt der Darsteller des Don Giovanni (Shigeo Ishino) schon wieder in der Maske, weil ihm eine Narbe auf die Wange geschminkt werden muss. Er ist konzentriert erleichtert, denn die Champagner-Arie und die Zerlina-Verführung mit "La ci darem la mano" liegen bereits hinter ihm - der Beifall war hochzufriedenstellend.

Inzwischen schildert Donna Anna (Simone Schneider) auf der Bühne erregt-dramatisch den Mord an ihrem Vater, dem Komtur. Don Ottavio, ihr etwas streberhafter Verlobter (Atala Ayan plausibel mit Nerd-Brille und Nadelstreifenanzug), muss sie und sich selbst beruhigen mit der wundervollen Kantilene "Dalla sua pace". Im Orchestergraben singt der Dirigent anfeuernd mit. Draußen am See wird das Licht abendlich mild (es geht auf 21.30 Uhr), auf dem Rasen ruht und kuschelt das Publikum, während eine Entenfamilie ihre Bahn durch den See zieht. Augenblick, du bist so schön.

Nicht alles war gleich schön. Bei "Reich mir die Hand, mein Leben" hatte man einen Sänger ins Outdoor-Publikum entsandt, der die Menschen zum Mitsingen animieren sollte - es misslang, so italienisch sind die Stuttgarter nun mal nicht. Schön war es, wenn Harald Schmidt sich professionell kundig und respektvoll den Arbeitenden näherte. Matthias Hölle, der Sänger des Komtur, ist der wundervolle Typ des alterfahrenen Ensemble-Mitglieds, eine Säule von Mann, seit 40 Jahren auf der Bühne.

Er muss nach der Mord-Szene zu Beginn zwei Stunden warten, bis er wieder dran ist, um Don Giovanni als Statue in die Hölle zu rufen. "Nachher gilt es richtig", sagt Hölle mit ruhigem Bass. Wie macht er das, will Harald Schmidt wissen, diese lange Zeit zu überbrücken? Einfach herumsitzen geht nicht, erfahren wir, der Sänger muss seine Spannung bewahren und hält seine Stimme im Einsingzimmer warm. Man ahnt, dass eine enorme Seelenstärke auch noch dazu gehört.

Triumph des bürgerlichen Mittelmaßes

Harald Schmidt moderiert Live Übertragung einer Oper

Jossi Wieler (links, mit Harald Schmidt), Intendant der Oper Stuttgart, ist mit "Don Giovanni" ein Bravourstück gelungen.

(Foto: dpa)

Seelenstark, die Ruhe im Auge des Sturms, muss auch die Chefinspizientin sein, Frau Böttgen, die über ihrem mit Zetteln vollgeklebten Klavierauszug sitzt oder mit Headset durch den Bühnenraum läuft und die Leute nach vorn schickt: "Die Herren Leporello, Ottavio, Masetto bitte jetzt!" Schnelldurchlauf: Die Pause mit Publikumseindrücken war verquasselt langweilig. Immerhin: Der gute alte Hanns-Josef Ortheil durfte noch einmal Reklame für seinen schönen Don-Giovanni-Roman machen. Harald Schmidt sprach auch noch mit den Garderobieren, der Maske, dem Leporello-Sänger André Morsch, der eine Elvis-Einlage bot.

Nach der Pause fiel dann der Ton im SWR-Stream wieder aus, eine gute Gelegenheit, noch mehr auf die Inszenierung von Andrea Moses zu achten: einer der besterzählten "Don Giovannis" der letzten Zeit, auch dank einer minutiösen Personenregie. Moses lässt die Frauen das Heft in die Hand nehmen, jede sucht und findet ihre Ideale in dem Verführer, dessen magische Kraft im Eingehen auf die Sehnsüchte der Verführten besteht.

Donna Elvira will die bedingungslose Hingabe, Donna Anna das Feuer der Leidenschaft, Zerlina den Glanz des superreichen Machos, und gegen solches Schillern kommen der starre Komtur, der cholerische Prolet Masetto, der korrekte Don Ottavio erst einmal nicht an. Das in einem heutigen Milieu, halb Bürgertum, halb Halbwelt, angesiedelte Geschehen wirkt am Ende leicht trivialisiert, denn der Komtur ist nur verletzt, nicht tot, er kann mit Blutfleck im Smoking und Pistole Don Giovanni zur Selbsterschießung zwingen.

Doch der bürgerliche Realismus, den das Bühnenbild, ein drehbares, vielgliedriges Hotel, bestens trägt, nimmt dem Schluss viel von seiner moralisierenden Peinlichkeit. Also stirbt, wer Böses tat: Es ist der Triumph des bürgerlichen Mittelmaßes, des kleinen Glücks, über das Versprechen der ganz großen Lust. Jossi Wieler hat sein erstes Stuttgarter Intendantenjahr mit Bravour abgeschlossen.

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