Süddeutsche Zeitung

Harald Schmidt: Abschied von der ARD:Zum Abschied ein Herrenwitz

"Das ist doch mal ein Schluss": Harald Schmidt sagt mit einer leidenschaftslosen Sendung Lebewohl zur ARD. Dabei war er es einst, der die Messlatte für gute Late-Night-Unterhaltung so hoch setzte. Doch an wem soll man ihn heute messen?

Marc Felix Serrao

Alte Männer seien gefährlich, warnte einst der Dramatiker George Bernard Shaw. Ihnen sei egal, was mit der Welt passiert. Rolf Hochhuth, ebenfalls Dramatiker, ist vor kurzem 80 Jahre alt geworden. Gegen die Behauptung, die Welt sei ihm egal, würde er sicherlich laut protestieren. Aber so zuverlässig rücksichtslos und bollerig wie er ist sonst kaum einer im deutschen Kulturleben.

An diesem Donnerstag war Hochhuth zu Gast bei Harald Schmidt. Eine doppelt interessante Begegnung - wegen des Gastes und wegen des Termins. Diese Ausgabe der Late-Night-Show war die letzte im Ersten. Nach einer Sommerpause wird Schmidt, 53, von September an wieder bei Sat1 auftreten, dem Sender, der ihm Mitte der neunziger Jahre jene erste Bühne baute, auf der er das alte deutsche Fernsehen in den Jahren danach so radikal veränderte wie kaum ein anderer. Hochhuth und Schmidt, ein Alter und ein Abschiednehmer, das konnte was werden. Dachte man. Es wurde auch etwas, aber nur in den letzten zehn Minuten, als Hochhuth kam.

In der ersten halben Stunde glich die Show am ehesten der überfälligen Trennung eines Paares, bei dem die Liebe bereits vor langer Zeit von einer gegenseitigen Entfremdung aufgefressen worden war. "Die Weihnachtsgrüße sind Jahr für Jahr formeller geworden", hatte Schmidt schon im September 2010 in der Zeit gegiftet. Entsprechend kühl fiel nun sein Abschied aus. Er wartete bis ganz zum Schluss. Im September, liebes Publikum, seien er und sein Team dann wieder zur Stelle: "beim neuen Arbeitgeber". Punkt. Aus. Abspann. Eine Scheidung, wie sie sich ein Standesbeamter gar nicht leidenschaftsloser wünschen könnte.

Man kann so einen Abschied vielleicht vornehm finden. Allerdings war die Show vorneweg (die allermeiste Zeit über) nicht lebendiger, angefangen mit Schmidts Kommentaren zur Nachrichtenlage. Der frühere Wettermoderator Jörg Kachelmann ist wieder frei? Er feierte abends bestimmt mit seinen "30 engsten Freundinnen". Heute ist Vatertag? "In Amerika heißt es Terminator-Day." Alles eher zweite Liga.

Schnell und dreckig, das war mal Schmidts Erfindung - allerdings gepaart mit Bildung, kapitalismusfreundlicher, eher nicht linker Zeitgeistkritik und einem ausgeprägten Hass auf den Massengeschmack. Kein Late-Night-Talker ist hierzulande so lange auf Sendung. Keiner hat so wilde Ideen produziert, von der "Literaturwerkstatt" mit Playmobil bis zum "Nazometer", das bei Verstößen gegen die nachkriegsdeutsche Sprachhygiene loströtete. Eine einzigartige Mischung - die bei der ARD irgendwann zum Problem wurde.

Denn woran misst man einen Harald Schmidt - an der Konkurrenz? Welcher denn? Stefan Raab ist eine sympathische und zu Recht erfolgreiche Rampensau, aber ohne irgendeinen Tiefgang. Benjamin von Stuckrad-Barre, der zuletzt im Spartenkanal ZDF Neo auftreten durfte und noch um seine zweite Staffel verhandelt, wäre ein potentieller Nachfolger, allerdings wohl erst in ein paar Jahren, wenn er seine Zappeligkeit in den Griff bekommen hat.

Nein, eigentlich muss man Schmidt strenger messen - an Schmidt selbst. Und wer das tut, der kann diesen mauen Schlusspunkt nur bedauern. Es waren nicht nur die austauschbaren Herrenwitzchen über Kachelmann, Strauss-Kahn oder Schwarzenegger. Richtig schwach waren die launig aus dem Off kommentierten Einspielfilmchen. Der Fußballer Toni Kroos läuft gegen eine Glastür. Im Parlament der Ukraine prügeln sich zwei Abgeordnete. Sowas. Oliver Pocher, den viele furchtbar, vor allem furchtbar pubertär fanden, als er noch als Co-Moderator von Schmidt im Ersten auftrat, erzählt solche Gags auch. Oder Mario Barth.

Zum Glück waren da noch die letzten zehn Minuten - die einen denken ließen: Alles wird gut. Irgendwie. Rolf Hochhuth, die Anzugjacke lässig über die Schultern geworfen, nuschelte Provokationen in den Raum, dass es eine einzige Freude war. Am heftigsten war seine Verteidigung der ARD-Moderatorin Anne Will, die ihren sonntäglichen Sendeplatz bald für Günther Jauch räumen muss. Hochhuth lästerte nicht nur über den "konsensfrommen Herrn Jauch", er verglich die Macht derer, die bei der ARD ganz oben bestimmen, gleich mal völlig maßlos mit Goebbels. Wer seien die denn überhaupt, rief er ins Publikum. "Die Gremien", antwortete Schmidt - und nannte als Beispiele den Landfrauenverband und die Katholische Jugend. Da war er, der gute, alte, böse Schmidt.

Ganz am Ende erklärte der inzwischen sehr warmgelaufene Hochhuth, dass nur eine gewaltsame Revolution die verkorksten Verhältnisse in diesem Land verändern könnte. "Das ist doch mal ein Schluss", sagte Schmidt. Und: "Ich hoffe, Sie kommen dann wieder." Sie auch, Herr Schmidt.

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Quelle:
SZ vom 04.06.2011/beitz
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