TV-Kritik: Duell Ahlhaus vs. Scholz:Finaler Lapsus

Bissiges TV-Duell vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg: SPD-Favorit Olaf Scholz gefällt sich als Angeber, CDU-Bürgermeister Christoph Ahlhaus fährt lustvolle Attacken - am Ende patzt ein Kandidat.

Oliver Das Gupta

Kurz bevor die Hamburger Kontrahenten ins Studio gingen, hatten die Kicker von St. Pauli den Hamburger SV geschlagen - zum ersten Mal seit 34 Jahren. Das Hamburger Stadtderby zeigte: Im Fußball gibt es keine Underdogs mehr.

Rededuell zur Hamburg Wahl

Wer ist hier der Underdog? Hamburgs Erster Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) und Olaf Scholz (SPD).

(Foto: dpa)

In der Politik schon. Beim anschließend stattfindenden TV-Duell der Bürgermeisterkandidaten heißt der Underdog Christoph Ahlhaus - der Mann, der als Erster Bürgermeister die Freie- und Hansestadt regiert. Es ist das Kuriosum dieses Bürgerschaftswahlkampfes, dass der Amtsinhaber über keinen Amtsbonus verfügt, es ist eher ein Amtsmalus. Mit Ahlhaus und seiner CDU rechnet eigentlich niemand mehr: Mehr als 20 Prozentpunkte rangiert sein SPD-Herausforderer Olaf Scholz vor den Christdemokraten.

Als "das entscheidende Fernsehduell" kündigte NDR-Chefredakteur und Moderator Andreas Cichowicz das Streitgespräch an. Das ist angesichts der erwähnten Stimmungslage nicht ganz zutreffend, viele Hamburger erwarten von dem Schlagabtausch ohnehin kaum etwas, schließlich wähnen nicht wenige das politische Charisma der Opponenten irgendwo zwischen Aktentasche und Klarsichthülle.

Aufschlussreich sind die 60 Minuten dennoch: Das liegt daran, dass Olaf Scholz bisweilen gereizt reagiert und obendrein zentrale Anliegen seines grünen Wunschpartners abserviert: Stadtbahn und Citymaut nein, Elbvertiefung ja. Trocken sagt Scholz, er werde dabei bleiben - die Grünen müssen sich bei Koalitionsverhandlungen vermutlich warm anziehen.

Inhaltlich liegen die Kontrahenten von CDU und SPD viel näher zusammen als Rot-Grün. Das gilt sowohl bei den erwähnten grünen Lieblingsthemen als auch bei der inneren Sicherheit, beim Wohnungsbau, der Förderung der Wirtschaft und des Hafens im Besonderen sowie der Schuldentilgung. Ginge es allein um Inhalte müssten Schwarze und Rote gemeinsam regieren. In Hamburg wird das nichts, das macht Scholz klar. Ahlhaus sagt zu der aus CDU-Sicht einzigen realistischen Machtperspektive nichts.

"Mit der Ehrlichkeit hapert es"

Dass das Duell sehenswert ist, liegt vor allem am Underdog, dem Bürgermeister. Außenseiter Ahlhaus schlüpft nämlich in die Rolle, die eigentlich dem Herausforderer zugedacht ist: Der angezählte Bürgermeister schnoddert Scholz eins ums andere mal an. "Unredlichkeit", diagnostiziert Ahlhaus und "Unfug". Wenn es konkret werde, "eiere" Scholz herum, und überhaupt: "Mit der Ehrlichkeit hapert es." Geradezu lustvoll wirkt der stämmige Bürgermeister bisweilen bei seinen Attacken.

Und Scholz? Der bemühte bei Wahlkampfauftritten stets hanseatisches Understatement. Nüchtern, zurückgenommen, leise, fast staatsmännisch: das war die Rolle, die der einst als monotoner Redner mit dem Spottnamen "Scholzomat" versehene Sozialdemokrat verinnerlicht hatte. Der SPD-Mann setzt auf norddeutsche Bescheidenheit. "Es gibt sicherlich eine verbreitete Mentalität, nicht so viel von sich herzumachen", sagte er vor wenigen Tagen in einem Interview mit sueddeutsche.de. "Die ist mir in Fleisch und Blut übergegangen."

Verbalscharmützel mit dem Moderator

Beim TV-Duell zeigt Scholz, dass er auch anders kann. Bisweilen lässt er sogar etwas Angebertum aufblitzen: Ganz unbescheiden behauptet er zweimal, die sinkende Kriminalitätsrate eingeleitet zu haben - in seinen drei Monaten als Innensenator vor zehn Jahren. Die Idee zum "Schulfrieden", mit dem das monatelange Gezerre um die Bildungsreform beendet wurde, reklamiert er ebenso für sich. Dank der von ihm als Bundesarbeitsminister eingeführten Kurzarbeit habe er "eine Million Menschen vor der Arbeitslosigkeit gerettet", trompetet der stellvertretende SPD-Chef an anderer Stelle.

Gereizt liefert sich Scholz mehrfach auch Verbalscharmützel mit dem Moderator, dem er schon mal rät, die Mathematik zu bedenken, "wenn man mit Prozentzahlen herumwirft". Dazwischen aber fällt er wieder in seinen nüchternen Wahlkampfsprech zurück.

Fernsehduelle helfen in der Regel dem Oppositionskandidaten, denn sie begegnen vor laufenden Kameras dem Amtsinhaber auf Augenhöhe. Beim Hamburger Streitgespräch ist das anders: Der Bürgermeister baut seiner Niederlage vor. Mehrfach prophezeit er, wie ein Bürgermeister Scholz agieren wird, zum Ärger für die Grünen und zur Enttäuschung für die Bürger. Der Christdemokrat fügt seinen Worten dann noch an, "wenn Scholz gewählt werden würde". Das alles klingt bisweilen wie Vor-Schadenfreude.

Christoph Ahlhaus musste in den vergangenen Tagen viel einstecken: Als "Mann ohne Eigenschaften" wurde der gebürtige Heidelberger in Medien bezeichnet, ebenso "Anti-Hanseat" und "Übergangsbürgermeister". In dem TV-Duell zeigt er sich bissig - nicht nur gegenüber Scholz. Wie schon im sueddeutsche.de-Interview räumt er Fehler der CDU-geführten Senate unter Ole von Beust ein, ohne seinen Vorgänger beim Namen zu nennen. Insgesamt schlägt er sich passabel.

Bis die Schlussminuten anbrechen. Im Grunde zeigt der Norddeutsche Rundfunk da eine Wiederholung. Am gleichen Ort beharkten sich vor drei Jahren Ole von Beust und Michael Naumann. Das Duell zwischen dem christdemokratischen Bürgermeister und dem sozialdemokratischen Schöngeist lief auf ein Patt hinaus - bis Naumann sein Schlussstatement völlig verbaselte und die "Kinder- und Jugend- und Studiengebühren" abschaffen wollte. "Oh Gott", stöhnte Naumann damals.

Nebulöse Trümpfe

Einen solchen Total-Blackout leistet sich Ahlhaus zwar nicht. Angesprochen auf die CDU-Aktivitäten in den letzten Tagen vor der Wahl wirkte er allerdings plötzlich etwas weltfremd. Nebulös schwadronierte der Bürgermeister davon, dass die Christdemokraten "immer Trümpfe" hätten, die sie "ausspielen", wenn sie es für richtig hielten. Im einminütigen Schlussappell an die Wähler preist der frühere Innensenator dann den Rückgang der Straftaten um "18.000, nein, 90.000".

Dieser Versprecher wird viele Hamburger aufhorchen lassen. Innere Sicherheit gilt als das letzte Hoffnungsthema der CDU, doch noch zu punkten. Angesichts der jüngsten Berichte über von der CDU geschönte Kriminalstatistiken ist ein solcher Zahlensalat ein Eigentor, das die Konservativen noch mehr Stimmen kosten dürfte.

Mit solchen Patzern bleibt Ahlhaus der Underdog. Er macht Scholz den Sieg nur noch leichter.

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