Guttenberg und die Medien:Die Selbsttäuschung

Kein anderes Blatt hat so intensiv über den ehemaligen Verteidigungsminister und seine Frau berichtet wie "Bild". Im tiefen Fall des Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg bündeln sich auch Fragen über Macht und Ohnmacht der Medien.

Hans Leyendecker

Als "Randfiguren der holzverarbeitenden Industrie" bezeichnete Willy Brandt, der erste SPD-Kanzler, das Metier, das er als politischer Journalist mal ausgeübt hatte. Sein Nachfolger Helmut Schmidt, der als junger Mensch zum Hamburger Echo wollte, aber nicht genommen wurde, wetterte als Regierungschef über die "Wegelagerer" und "Indiskretins" in Bonn. Später wurde er Herausgeber der Zeit. Und Karl-Theodor zu Guttenberg, der ein paar Monate als freier Journalist für die Welt arbeitete, erklärte bei seinem Rücktritt, die "Mechanismen im politischen und medialen Geschäft" könnten "zerstörerisch sein".

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Wer mit "Bild" im Aufzug nach oben fahre, der fahre mit "Bild" auch im Aufzug nach unten, heißt es gerne. Im Fall Guttenberg könnte es ausnahmsweise so sein, dass "Bild" im Aufzug mit nach oben fahren wollte und jetzt möglicherweise mit nach unten muss.

(Foto: AFP)

Beide Berufsgruppen üben aufeinander eine merkwürdige Anziehungskraft aus, und manchmal drohen die Grenzen sogar zu verwischen. Im tiefen Fall des Freiherrn zu Guttenberg bündeln sich auch Fragen über Macht und Ohnmacht der Medien, vor allem am Beispiel der Bild-Zeitung, aber auch anderer publizistischer Betriebe. Hat Bild verloren, weil das Boulevardblatt bis zuletzt auf Guttenberg setzte? Oder hat Bild gewonnen, weil Leser nicht nur den Freiherrn, sondern auch Treue schätzen? Hat die seriöse Presse, das meint Blätter wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) oder die Süddeutsche Zeitung, verloren, weil am Ende der beliebteste deutsche Politiker seinen Hut nahm? Oder hat die seriöse Presse gewonnen, weil sie, gemeinsam mit der grenzenlosen Netzgemeinde der Wissenschaftler, Erkenntnissen über dubioseste Täuschereien zum Durchbruch verhalf?

Richtig informieren bedeute verändern, erklärte einst Spiegel-Gründer Rudolf Augstein, und er kam zu dem Fazit: "Wenn Einfluss auf die Geister Macht ist, dann hat der Journalist auch Macht."

Fast alle Medien haben über Jahre in unterschiedlich starken Dosierungen Bella-Figura-Geschichten über die blendenden Auftritte Guttenbergs gefertigt, der angeblich so anders war als die anderen. Der Fall Guttenberg steht allerdings nicht für den alten Hofjournalismus mit den vielen Schranzen, sondern für die postmoderne Mediendemokratie mit dem üblichen Mainstream und den Moden und Stimmungen, die den heutigen Politbetrieb durchdringen und manchmal sogar beherrschen.

Kein anderes Blatt aber hat so häufig und intensiv über Guttenberg und dessen Frau Stephanie berichtet wie Bild. Europas größte Boulevardzeitung agierte zeitweise wie ein Leibwächter des Paares, das die Herzen vieler Leute bewegte und bewegt. Öffentlich erklärten Bild-Vertreter, dass Guttenberg wohl eines Tages Kanzler werde, das Zeug dazu habe er jedenfalls. Zu der "enormen Wucht der medialen Betrachtung meiner Person" habe er selbst "viel beigetragen", erklärte Guttenberg selbstkritisch anlässlich seines Rücktritts.

Machen Medien Kanzler? Gestalten sie Politik? Und dürfen sie das? Rudolf Augstein, der mal kurze Zeit FDP-Bundestagsabgeordneter war und dann wieder in den Journalismus zurückkehrte, betonte, der Journalist habe "nicht das Mandat, Wahlen zu gewinnen und Parteien zu promovieren. Er gerät auf die Verliererstraße, wenn er versucht, Kanzler und Minister zu machen (...), kurz, wenn er der Versuchung unterliegt, Politik treiben zu wollen".

Augstein hat mit seinem Blatt für einige Veränderungen in der Gesellschaft und manchmal auch für Berufsveränderungen von Politikern gesorgt, aber er warnte Journalisten immer davor, ihr Tun zu überschätzen. Das galt für alle Medien, für alle Genres, einschließlich der Leitartikler und der Investigativen. Wer mit Bild im Aufzug nach oben fahre, der fahre mit Bild auch im Aufzug nach unten. "Diese Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen", hat der Springer- Vorstandschef Mathias Döpfner das Prinzip der Boulevardzeitung mal beschrieben. Dieses Bild gilt insbesondere für die Mitglieder des Showbetriebes.

Im Fall Guttenberg könnte es ausnahmsweise so sein, dass Bild im Aufzug mit nach oben fahren wollte und jetzt möglicherweise mit nach unten muss. Fest steht das noch nicht. Angesichts der Besonderheiten des Fahrstuhlfahrers kann es eines Tages noch anders kommen. "Nach dem gescheiteren Verteidigungsminister wird es wohl für einige Zeit keinen Politiker mehr geben, der sich so bereitwillig in die Hände des Blattes begibt", schrieb an diesem Freitag ein Redaktionsblog über Bild und den Ex-Minister. Hat er sich in die Hände begeben? Oder gab es nur zu viel Nähe? Vermutlich war das, was passiert ist, eine der großen Selbsttäuschungen in diesem bunten Metier, in dem Illusionen nicht selten als Realität ausgegeben werden. Ob Bild wirklich richtige Politik macht, wie manche Politiker und auch Journalisten fest glauben, ist eine alte Streitfrage.

Springers politische Visionen

Einst trafen sich im konservativen Kronberger Kreis Strategen der Union mit Springer-Generälen und trugen ihr Wahlkampfkonzept vor. Nach der Wahl gab es dann Manöverkritik durch Verlagsleute. Mit Ausnahme des Wahljahres 1998 hat die Bild-Zeitung immer Kandidaten der Union unterstützt. Seltsamerweise hat das die Bild-Leser selten davon abgehalten, das zu wählen, was sie wählen wollten.

Wer will schon etwas Neues hören?

Als Bild noch weit mehr Auflage als heute hatte, kämpfte das Blatt gegen die Ostverträge der damaligen sozialliberalen Koalition - erfolglos. "Bild dir meine Meinung", hat im politischen Betrieb noch nie funktioniert. Ähnliches gilt auch für die seriösen Blätter: Manche Leser wollen allzu gern in der Meinung bestätigt werden, die sie schon immer hatten. Probleme kann es geben, wenn ihr Blatt ganz neue Einsichten liefert. Es gilt der Spruch eines berühmten Kommunikationswissenschaftlers: Es sei schon schwierig, Leute zu finden, die etwas Neues zu sagen hätten. Schwieriger noch sei es, Leute zu finden, die etwas Neues hören wollten. Das gilt auch für Bild.

Vor ein paar Jahren legte der Hamburger Geisteswissenschaftler Karl Christian Führer eine interessante Studie über "Erfolg und Macht" des Blattes in den 50er Jahren vor. Er beschäftigte sich intensiv mit den Schreib-Anweisungen des Verlagsgründers Axel Cäsar Springer an den damaligen Bild-Chefredakteur Rudolf Michael, der mit Kampagnen wie gegen das "Hundeschlachten" gute Auflage gemacht hatte. Springer lobte die Berichterstattung über eine Katze, die angeblich einen blinden Hund "adoptiert" hatte und sicher über die Straße brachte, forderte aber auch, in politischen Fragen wie dem Kampf gegen die Atombewaffnung Deutschlands "ruhig aggressiver zu werden". Bild müsse "bei voller Wiedergabe des Lebens echte Ziele haben".

Springer hatte große politische Visionen, und beim Kampf für die Deutsche Einheit behielt er recht. Heute beschert Bild dem Springer-Verlag sehr hohe Gewinne in dreistelliger Millionenhöhe und verliert doch gleichzeitig deutlich an Auflage. Es geriert sich wie ein Blatt, das Leitmedium in Politik und Wirtschaft sein möchte, und ist doch ein Gossenblatt geblieben.

Der Spiegel hat in dieser Woche der Bild-Zeitung eine kritische Titelgeschichte gewidmet, was lobenswert war, weil es in diesem Gewerbe keine Kumpaneien geben darf, aber ein bisschen wurde die Bedeutung von Bild auch übertrieben. All die Floskeln der Bild-Macher über die Mitte der Gesellschaft, die das Blatt angeblich repräsentiert, müssen gar nicht erst groß widerlegt werden. Es handelt sich um PR-Gesülze. "Die Eigenwilligkeit der Marke geht so weit, dass sie selbst ihre Schöpfer zu unterjochen vermag", schrieb der Springer-Verlag 2002 über Bild.

Nicht nur im Fall Guttenberg, auch in Sachen Bild hat ein Internet-Medium einiges zur Aufklärung beigetragen: bildblog.de kümmert sich seit Jahren aufopfernd um Fragen nach der Wahrhaftigkeit und Richtigkeit in dem Boulevardblatt, mittlerweile in allen Medien. Wenn es das Internet nicht gäbe, wäre auch ein anderer Beitrag nie erschienen. "Auf fast allen Seiten" bediene Bild "die niedrigsten Instinkte seiner Leser" hat ein früherer Kommentator der zum Springer-Verlag gehörenden Welt am Sonntag vor gut drei Jahren in seinem Blog geschrieben. Wenn "man ein bisschen zynisch ist, auf miniberöckte Vorzimmermiezen großen, auf Ernsthaftigkeit eher wenig Wert" lege, könne man bei Bild Karriere machen.

Der Verlag tadelte danach die "Entgleisung eines einzelnen Mitarbeiters". Der Eintrag verschwand. Doch im weiten Netz bleibt, wie auch Guttenbergs Fall zeigt, nichts ganz verschwunden, und die angebliche Macht der vorgeblich Mächtigen ist sehr begrenzt. Rudolf Augstein hat für diesen Befund gelegentlich den schönen Begriff von der "halben Ohnmacht" verwendet.

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