Streamingdienst-Nutzer lieben Tierdokus. Sie ergötzen sich am Trubel um den Ex-Raubkatzenbesitzer Joe Exotic ( Tiger King) und bewundern gemeinsam mit Ex-Präsident Barack Obama Nilpferde beim Surfen ( Unsere wunderbaren Nationalparks). Jetzt können sie Ex-Villenbesitzer Gunther kennenlernen.
Gunther IV. ist ein Schäferhund, der angeblich reich geerbt haben soll und Ende 2021 das ehemalige Anwesen von Madonna verkaufen wollte. Ein Hund, der ein Anwesen verkauft? Klingt komisch, dachte sich Spiegel-Journalist Hannes Schrader, nachdem Medien weltweit, darunter auch das ARD-Magazin Brisant und die Bild, über Gunther berichtet hatten. Schrader teilte seinen Verdacht mit Frederik von Castell, Journalist beim Medienkritik-Magazin Übermedien. Dessen Recherche bestätigte: Seit Jahren fallen Medien auf eine Lüge rein.
Der italienische Pharmakologe Maurizio Mian, der selbst reich geerbt hat, dachte sich ein Märchen rund um sein Vermögen und seinen Hund aus: Gunther sei der geliebte Schäferhund einer deutschen Gräfin gewesen, die nach ihrem Tod 1991 ihr gesamtes Erbe ihrem Hund vermachte. Mian sei von ihr als rechtmäßiger Betreuer von Geld und Hund bestimmt worden. Castell deckte diese Geschichte als PR-Gag auf, mit dem Mian über dreißig Jahre mediale Aufmerksamkeit für seinen Hund generiert hatte. Die Enthüllung führte zu einem Rückzug der Meldung, ein Novum in Gunthers Medienkarriere: "Die Geschichte ist falsch", bekannte die Nachrichtenagentur Associated Press, auf deren Falschmeldung die Journalisten vertraut hatten.
"Ich habe mich in den Hund verliebt, ehrlich."
Knapp eineinhalb Jahre später gibt es nun eine Doku über das PR-Märchen. Die Filmemacher Aurelien Leturgie und Emilie Dumay unterstützen mit dieser jedoch das Narrativ des reichen Hundes, anstatt es zu dekonstruieren: Selbst Castell, der 2021 im SZ-Interview noch die Journalisten kritisierte, welche die Agenturmeldung blind übernahmen, schreibt bei Übermedien, dass er dieses Mal fast selbst reingefallen sei. Denn in der Doku wird drei Folgen lang so glaubwürdig Gunthers Luxusleben gezeigt, inklusive vergoldetem Steak, Privatjet und Archivbildern der vermeintlichen Gräfin, dass er an seiner eigenen Recherche zu zweifeln begann.
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Viel zu nachlässig entwirren Leturgie und Dumay das Lügengespinst. Erst in der vierten und letzten Folge gibt Mian fast nebensächlich zu, dass es nie eine Gräfin gab. Der Hund gehörte ursprünglich seiner Jugendliebe Antonella ("Ich habe mich in den Hund verliebt, ehrlich"). Als Gunther 2005 verstarb, die vermeintliche Erbschaft aber längst in den Medien kursierte, ersetzte Mian ihn durch einen Hund aus der gleichen Blutlinie, Gunther V., später gründete er sogar ein Unternehmen, das weitere Ahnen züchtete. Alles, um die Lüge aufrechtzuerhalten. Mian profitierte dank der Geschichte nicht nur vom PR-Rummel, sondern konnte mit ihr laut eigenen Aussagen auch Steuerhinterziehung verschleiern und fragwürdige soziale Experimente durchführen, so viel offenbart die Doku.
"Mein Hund wurde als Zirkusclown benutzt", bedauert Antonella die Machenschaften ihres Ex-Partners. Es ist eine der wenigen Szenen in der Doku, in denen Mian kritisiert wird. Damit wiederholt sich ein Schema, das bereits von anderen Netflix-Produktionen wie Tiger King bekannt ist: Der Fall wird primär von einer Seite beleuchtet. Und Mian als Opfer seiner Depressionen inszeniert, der doch nur auf der Suche nach dem Glück sei: "Sobald man Realität und Fiktion vermischt, ist Freude möglich. Welches Geschöpf kann schon glücklicher sein als ein Hund?" Nicht nur Mian vermischt Realität und Fiktion, auch die Doku zieht keine klaren Grenzen. Wer nicht akribisch aufpasst, glaubt an das Märchen vom reichen Schäferhund.
Gunthers Millionen , vier Folgen, auf Netflix.
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