Übermedien-Journalist Frederik von Castell:"Man muss das journalistische Gehirn einschalten"

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Die Nachrichtenagentur AP fiel zuerst auf die Geschichte des Schäferhundes herein - so verbreitete sie sich um die Welt. (Foto: Screenshot/Twitter/AP)

Ein Schäferhund als Besitzer einer Villa? Übermedien-Journalist Frederik von Castell deckte die Ente auf. Ein Interview über leicht zu entlarvende Meldungen und den Umgang mit Fehlern.

Interview von Clara Meyer

Ein Schäferhund tobt mit Goldkette um den Hals durch den Garten seiner Villa in Miami. Richtig, seiner Villa. Als Erbe einer verstorbenen Gräfin soll Gunther IV. das reichste Tier der Welt sein und möchte nun mit Hilfe eines glamourösen Maklerspots sein paradiesisches Zuhause verkaufen. Die Geschichte erhält erst internationale Aufmerksamkeit, dann entpuppt sie sich als Ente. Der Besitzer von Gunther, Maurizio Mian, erzählte das Märchen 30 Jahre lang, um seine Immobilien zu vermarkten. PR-Agenturen und Boulevardmedien fielen scharenweise darauf rein. Frederik von Castell von Übermedien deckte die Lüge auf.

SZ: Herr von Castell, ein Schäferhund, der in einer Villa residiert, die auch schon Popkönigin Madonna bewohnte, das klingt ziemlich verrückt. Wer hat sich das ausgedacht?

Für mich kommt das klar von Maurizio Mian, Gunthers Besitzer. Die Maklerin aus dem Video hat in einem Interview mit der New York Post gesagt, sie hätte von nichts gewusst. Ob das stimmt, sei mal dahingestellt. Sie hätte vielleicht selbst drauf kommen können, die Geschichte zu überprüfen. Es gibt auch juristische Zweifel, ob das überhaupt möglich ist. Aber in den USA ist ja viel denkbar.

Wie wurden Sie darauf aufmerksam, dass es sich beim reichsten Hund der Welt nur um einen PR-Stunt handeln könnte?

Ein Kollege vom Spiegel, Hannes Schrader, ist auf die Geschichte gestoßen und hat uns gegenüber erhebliche Zweifel geäußert. Unser Job bei Übermedien ist es ja unter anderem, solche Hinweise zu sammeln und zu überprüfen, ob unsauber gearbeitet wurde. Leider war das bei Gunther der Fall.

Der Hund wurde bereits in den Neunzigern als Ente entlarvt. Selbst der Spiegel zählte sie 2017 als Fake News auf. Wie konnte sie überhaupt zurück in die Berichterstattung gelangen?

Der grundsätzliche Fehler liegt in der Falschmeldung der Agentur AP News, eine Kollegin dort ist darauf reingefallen. Auf deren Meldung haben sich dann die Medien berufen. Man kann das hart beurteilen und sagen, die Journalisten haben keinen guten Job gemacht. Jedoch ist es eine gängige Praxis, Agenturen als privilegierte Quelle zu nutzen, dafür bezahlt man sie ja auch. Was mir Bauchschmerzen bereitet, ist, dass keiner die Geschichte gegengecheckt hat. Das hätten sowohl die deutschen Kollegen von AP, aber spätestens auch die Kollegen von der Bild, Brisant und RTL machen müssen.

Warum hätte die Geschichte den Redakteuren auffallen müssen?

Einfach, weil sie so absurd ist. Da klingeln doch sämtliche Alarmglocken. Das gehört für mich zum journalistischen Handwerk. Als Journalist neigt man manchmal zu denken: Die Geschichte ist so spektakulär, die muss ich bringen. Das heißt nicht, dass man eine falsche Geschichte veröffentlichen würde. Aber man vertraut der Agentur blind. Mein persönliches Verständnis von Journalismus ist ein anderes, ich hätte bei so einem Fall sofort gesagt: Das muss ich überprüfen.

Kann man Ihre Recherche damit als Kritik an boulevardjournalistischer Arbeit verstehen?

Das kann man bei meiner Arbeit, glaube ich, grundsätzlich tun. Ich würde mir wünschen, dass ein Umdenken stattfindet. Man soll Agenturen weiterhin vertrauen, sie leisten in der Regel sehr gute Arbeit. Aber: Man muss trotzdem immer das journalistische Gehirn einschalten. Dieser Fall ist wirklich ein gutes Beispiel, um zu demonstrieren, wie sich eine Geschichte verselbständigen kann. Sie wurde nur nachrecherchiert, weil sie so spektakulär ist. Vielleicht muss man sich aber grundsätzlich fragen: Wäre ein bisschen mehr Vorsicht, nicht sehr, sehr angebracht?

Deckte die Hund gewordene Ente auf: Frederik von Castell von "Übermedien". (Foto: privat)

Sie haben Gunthers Medienpräsenz für beendet erklärt. Glauben Sie nicht, dass in ein paar Jahren der nächste Journalist darauf reinfällt?

Wir haben jetzt zum ersten Mal in Gunthers Medienkarriere einen Kill bewirkt, also den Rückzug einer Agenturmeldung. Ich hoffe, dass wir mit unserer Berichterstattung einen Teil dazu beitragen, dass mehr Menschen sorgfältiger arbeiten. Denn diese Geschichte war wirklich keine aufwendige Recherche. Ein einfaches Googeln vorab hätte die Ente vermeiden können.

Wird es für die Agentur oder die Redaktionen weitere Konsequenzen geben?

Ich glaube, nein. Aber ich hoffe, dass jeder daraus lernt. Jeder Journalist macht Fehler. Der Umgang damit ist wahnsinnig wichtig. Dazu zählt für mich die Richtigstellung. Außer von AP News und ihren deutschen Kollegen habe ich noch keine gesehen. Man müsste eigentlich immer das maximale Bestreben haben, die gleichen Leute, die man mit einer falschen Nachricht erreicht hat, auch mit der Richtigstellung zu erreichen.

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