Süddeutsche Zeitung

"Günther Jauch" zur Ukraine-Krise:"Heftig im Herzen, schwach im Verstand"

Günther Jauch lässt über die Ukraine-Krise debattieren, und lädt mit Wolf Biermann und Matthias Platzeck zwei Gäste ein, die kürzlich Schlagzeilen produzierten. Der eine rudert zurück, der andere gibt den Unruhestifter.

Von Paul Katzenberger

Da war er wieder: der Wladimir Putin, von dem niemand so genau weiß, wer dieser Mann eigentlich ist. Vor einer Woche strahlte die ARD in der Talkshow "Günther Jauch" ein Interview aus, das der NDR-Journalist Hubert Seipel mit dem Kreml-Chef geführt hatte. Wer konnte danach von sich behaupten, sie oder er wisse nun, was Putin im Schilde führe?

Auch die Medien waren sich in ihrer Einordnung auffallend uneins. Von erwartbaren Aussagen der Springer-Presse abgesehen ("Kreml-TV") zeigten sich liberale Blätter von dem Interview enttäuscht ("braves Frage-Antwort-Spiel"), während andere Erkenntnisse gewonnen haben wollten: Seipel sei es gelungen, einen Dialog abseits vom pseudokritischen Allerlei zu entwickeln, so das Handelsblatt. Die FAZ schrieb: "Im Gespräch mit Hubert Seipel konnte Putin ganz in Ruhe sein Argumentationsmuster entwickeln."

Dechiffriert ist Putin deswegen noch lange nicht. Was westliche Politiker wie Angela Merkel inzwischen zur Verzweiflung treibt, für westliche Fernsehmacher aber immer noch ein lohnendes Sujet darstellt.

Schlagzeilenträchtige Sendungsgäste

Günther Jauch schob seinem Interview-Coup von letzter Woche also nun eine Sendung hinterher, in der geklärt werden sollte, wie mit dem mysteriösen Staatsmann im Osten zu verfahren sei: "Wie sollte der Westen auf Putins Handeln reagieren - nachgiebig oder eisern?", lautete die Frage, die die vier geladenen Gäste beantworten sollten: der Polit-Rentner Matthias Platzeck, der Barde Wolf Biermann, der EU-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff und die frühere ARD-Russland-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz.

Letztere äußert sich seit Ausbruch der Ukraine-Krise regelmäßig in Talkshows zum Thema, weswegen man die Sorge haben konnte, dass diese Jauch-Sendung keine allzu neuen Erkenntnisse erbringen würde. Denn die Argumente zwischen den "Eisernen" und den "Nachgiebigen" im Umgang mit Russland wurden schon dutzendfach ausgetauscht.

Trotzdem vertraute Günther Jauch auf dieses altbekannte Strickmuster, was wohl an den Schlagzeilen lag, für die zwei seiner Gäste in jüngster Zeit gesorgt haben. Matthias Platzeck, der neben Krone-Schmalz die Fraktion der "Russland-Versteher" bildete, war in der vergangenen Woche mit der Forderung zitiert worden, die Annexion der Krim durch Russland im Westen anzuerkennen. Diese Aussage hatte der frühere SPD-Vorsitzende zwar kurz darauf relativiert, doch als Quotenbringer taugt er allemal.

Im Lager der "Russland-Kritiker" war mit Wolf Biermann neben Lambsdorff ein Mann bei Jauch, der nach seiner verbalen Backpfeife im Bundestag für die Fraktion der Linkspartei auch für Krawall in Bezug auf Putin gut sein könnte. Schließlich hatte er den Kreml-Herrscher schon mal als "blutige Nachgeburt des Stalinismus" bezeichnet.

Doch sieht man von mancher Befindlichkeit ab, brachten auch Platzeck und Biermann als frische Stimmen in der Ukraine-Debatte keine wirklich neuen Gedanken ins Spiel. Wie sollten sie das auch tun? Selbst im Kreml soll inzwischen kaum noch einer wissen, was Putin genau will.

Und so wurde auch in dieser Talkshow allzu Bekanntes zum Thema hin- und hergeschoben: Es habe sich bei den Ereignissen auf der Krim um eine Annexion und einen Bruch des Völkerrechts gehandelt, argumentierte Lambsdorff wenig überraschend und plädierte für Härte: "Wenn man mit einem Bären tanzt, dann hört man nicht auf, wenn man müde ist, sondern wenn der Bär müde ist", zitierte er eine alte Weisheit in Bezug auf Russland.

Kritik am Westen

Krone-Schmalz hielt dem Westen zum x-ten Mal die Fehler vor, die er ihrer Meinung nach im Umgang mit Russland lange vor der Ukraine-Krise gemacht habe. Denn in seiner ersten Amtszeit habe Putin die Fühler nach Westen ausgestreckt und im eigenen Land die Zivilgesellschaft aufbauen wollen. Diese Avancen seien ignoriert worden, weswegen wir nun eine Mitverantwortung für die Toten in der Ukraine trügen. Die Journalistin forderte zudem mehrfach einen Perspektivwechsel: "Der KSZE-Prozess ist ja lange her."

Mit ihrer Sicht nahm Krone-Schmalz den Westen einmal mehr stark in die Pflicht, Beistand erhielt sie - wenig überraschend - von Platzeck, der den Europäern eine Schwarz-Weiß-Sicht vorhielt: "Das Böse wohnt für uns immer in Moskau und das Gute in Brüssel."

Vor allem nutzte der frühere Ministerpräsident Brandenburgs seinen Auftritt aber dazu, sein kürzliches Plädoyer für eine völkerrechtliche Regelung der neuen Situation auf der Krim weiter zu entschärfen. Er sei da sehr verkürzt wiedergegeben worden, beteuerte der SPD-Mann wohl auch mit Blick auf Parteikollegen, von denen behauptet wird, sie seien wegen ihm verstimmt gewesen.

Besonders irritiert könnte Außenminister Steinmeier gewesen sein. Der bekam in der Sendung von Platzeck nun ein besonders dickes Lob ausgesprochen: Er sei unendlich froh, dass mit Steinmeier ein derart unermüdlicher Diplomat Außenminister sei, betonte er. Denn "wenn 100 Gesprächsversuche erfolglos waren, dann ist es die Aufgabe der Diplomatie, die Klinke zum 101. Mal zu drücken."

Das hörte sich fast schon schwülstig an, doch immerhin hatte Platzeck auch einige Wahrheiten im Gepäck, die sich schwer entkräften ließen, und für die er mehrfach Beifall vom Studio-Publikum bekam. Etwa für die Erkenntnis, dass Frieden nur mit Russland und nicht gegen Russland zu erreichen sei.

"Was sind das für Anfänger?"

So viel Vernunft konnte sich auch Lambsdorff nicht entziehen, der einräumte: "Kurzfristig kommen wir da nicht raus." Gleichwohl verteidigte er als Einziger in der Runde die westlichen Sanktionen gegen Russland und geriet damit in einen bemerkenswerten Gegensatz zu Biermann, der seine Abneigung gegen Putin zwar sehr deutlich machte ("kein kalter, sondern ein heißer Krieger"), die Sanktionspolitik des Westens allerdings so deutlich kritisierte wie kein anderer in der Runde: "Wir kommen vom Schlimmen ins noch viel Schlimmere", polterte er. "Was sind das für Anfänger?" Selbst Nordkorea sei nicht durch Sanktionen in die Knie zu zwingen.

Doch damit blieb bei Biermann am ehesten die Frage im Raum stehen, wie er sich eine Lösung des Konfliktes mit Russland vorstellen kann. Denn Sanktionen gegen das Land will er nicht und Verhandlungen mit dem Land beurteilt er skeptisch.

Selbst Lambsdorff will weiter mit Putin reden, wenn auch "vom Boden der Verwurzelung im Westen", doch nicht einmal das bewertete Biermann in der Sendung als zielführend. Denn er traue das den westlichen Verhandlungsführern nicht mehr zu: Es brauche nun einen Metternich, Talleyrand oder Brandt, selbst den "schrecklichen de Gaulle" würde der Liedermacher für fähiger halten als François Hollande oder David Cameron.

Was will man da noch sagen? "Ich bin zu heftig in meinem Herzen und zu schwach in meinem Verstand", resümierte Biermann am Ende Sendung und gab damit der Diskussion zwischen Hardlinern und Moderaten ungewollt eine passende Beschreibung.

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