Süddeutsche Zeitung

Günther Jauch zu Flüchtlingen:"Wollen Sie eine Rückschiebelawine bis nach Lesbos?"

Die Diskussion bei Jauch zeigt, dass der am Sonntag gefundene Konsens von CDU und CSU brüchig ist.

Von Julian Heißler

Schon der römische Dichter Horaz kritisierte in seiner "Ars Poetica" im Jahre 19 vor Christus jene Erzähler, die nur wenig von dem halten, was sie versprechen. Wäre die große Koalition des Jahres 2015 zur Selbstkritik in der Lage, sie hätte Horaz' Kritik an diesem Allerheiligen-Tag auf sich beziehen können. Denn mit Getöse war für den Feiertag ein Treffen der drei Parteichefs angekündigt worden, um im Dauerstreit über den Umgang mit den Hunderttausenden Flüchtlingen einen Durchbruch zu erzielen. Doch bis auf ein Positionspapier der Union kam nichts heraus, und wie wenig das wert ist, zeigte sich anschließend unmittelbar in Günther Jauchs ARD-Talkshow.

Am Vormittag hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel nach nur zwei Stunden das Spitzentreffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem bayerischen Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) verlassen. Die Spitzen der Unionsparteien verhandelten allein weiter. Trotzdem dauerte es noch fünf Stunden, bis sie sich auf die gemeinsame sechsseitige Absichtserklärung einigen konnten, die allerdings sofort Fragen aufwarf.

Das Wort "Obergrenze" kam Julia Klöckner nicht über die Lippen

Gut also, dass nur kurz Zeit später zwei Vertreter der Union bei Jauch saßen, um die Vereinbarung zu erläutern. Doch das gelang nur unzureichend. Zwar lobten sowohl der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber als auch die stellvertretende CDU-Chefin Julia Klöckner das Papier - doch in der entscheidenden Frage waren sie sich nicht einig.

"Seehofers Ultimatum: Begrenzt Merkel jetzt den Flüchtlingszustrom?", wollte die Redaktion im Sendetitel wissen. Stoiber antwortete mit einem kräftigen Ja, die Merkel-Vertraute Klöckner ließ die Frage lieber offen. Das Wort "Obergrenze" kam ihr nicht über die Lippen.

An anderer Stelle waren sich die beiden Konservativen hingegen einig. Sie lobten die umstrittenen Transitzonen, die ebenfalls in der Absichtserklärung der Union festgehalten sind. In speziellen Auffangzentren an der deutschen Grenze sollen die Asylanträge von Bewerbern mit geringer Erfolgsaussicht künftig schneller bearbeitet werden, so die Pläne.

Das Problem: Der Koalitionspartner spielt nicht mit. Das bekräftigte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner, den Moderator Günther Jauch kurzfristig aus Kiel zuschalten ließ.

Die Entscheidung tat dem Gespräch gut - denn die Sendung litt gerade zu Beginn unter der großen Zahl an Unionsvertretern. Neben Klöckner und Stoiber saß noch Michael Spreng in der Runde. Der Journalist und Politikberater hatte im Jahr 2002 Stoibers Wahlkampf geleitet.

Als Stimme aus der Praxis schaltete die Redaktion später noch den Passauer Landrat Franz Meyer zu, ein weiteres CSU-Mitglied. Einzig der Deutsche-Welle-Journalist Jaafar Abdul Karim, laut Redaktion "die Stimme der arabischen Jugend und der Flüchtlinge", kam ganz ohne Verbindung in die Union aus.

Karim kritisierte den Transitzonen-Vorschlag scharf. Flüchtlinge würden solche Auffangzentren schlicht umgehen, so der Journalist. Außerdem vertrügen sie sich nicht mit dem Ideal der Menschenrechte, für das Deutschland doch stehe.

Stegner sah es ähnlich. Transitzonen seien nichts anderes als "Haftlager", so der SPD-Vize. Die Flüchtlinge wären dort "Schikanen" ausgesetzt. Mit den Sozialdemokraten sei das nicht zu machen. Auch dieser Streit wird weitergehen. Am Donnerstag wollen sich die Vorsitzenden der Koalitionsparteien erneut treffen. Der Druck zu einer Einigung zu kommen, ist immens.

Denn gerade in der Union verknüpfen viele riesige Hoffnungen mit den Zonen. Das zeigte sich am Beispiel Stoibers. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident erwartet nichts weniger, als dass durch die Zentren das Dublin-System wiederhergestellt wird.

"Die Spreu vom Weizen trennen"

Dass Dublin derzeit nicht funktioniert, hatte die Bundeskanzlerin bereits vor Wochen eingestanden. Stoiber pocht dennoch auf die Regeln. Schon an der Grenze müsse die "Spreu vom Weizen" getrennt werden, so der CSU-Mann.

Wer kein Recht auf Asyl habe oder aus einem sicheren Herkunftsland komme, der müsse eben zurück. "Wollen Sie wirklich eine Rückschiebelawine bis nach Lesbos?", fragte Politikberater Spreng. Stoiber blieb dabei.

CDU-Vize Klöckner versuchte der Frage hingegen auszuweichen. Das ließen Jauch und Spreng ihr jedoch nicht durchgehen. Ja, stimmte sie schließlich zu, wer aus einem sicheren Herkunftsland käme, müsse auch wieder zurück.

Allerdings bräuchte es dafür auch einen europäischen Mechanismus, der die Flüchtlinge in alle EU-Staaten verteilt. Eine solche Quotenregelung ist allerdings nicht in Sicht.

All diese kleinen Unterschiede im Unionslager sorgten dafür, dass die Sendung trotz der vielen Gäste von CDU und CSU nicht langweilig wurde.

Zu unterschiedlich fielen die Erwartungen aus, die Christdemokraten und Christsoziale mit den gestern gefassten Beschlüssen verbinden. So zeigte "Günther Jauch", dass zwischen die Schwesterparteien in der Flüchtlingsfrage mehr passt als sechs Blatt Papier.

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