"Guardian"-Chef vor Innenausschuss:Entschlossen, weiter zu veröffentlichen

Seit Juni veröffentlicht der "Guardian" NSA-Dokumente von Edward Snowden. Die britische Regierung findet, das gefährde die nationale Sicherheit, und lässt den Chefredakteur vom Innenausschuss befragen. Alan Rusbridger aber ist die Ruhe selbst - und kontert.

Von Christian Zaschke, London

Alan Rusbridger breitete einige Bücher aus, goss sich ein Glas Wasser ein und steckte sich einen Stift quer zwischen die Zähne. Das sah durchaus lustig aus, zumal Rusbridger den Stift eine Minute lang im Mund behielt, es wirkte, als habe er den Stift vergessen, während ihm gerade etwas Wichtiges eingefallen war.

Der Chefredakteur des Guardian musste am Dienstag vor dem parlamentarischen Innenausschuss erscheinen, um sich für die Berichterstattung seines Blattes in der Snowden-Affäre zu rechtfertigen. Es war ein so ungewöhnlicher wie ernster Anlass, insbesondere Medien in den USA hatten sich sehr kritisch dazu geäußert, dass der Chef einer Zeitung vom britischen Parlament vorgeladen wurde. Rusbridger hingegen war die Ruhe selbst, nach einer Weile nahm er den Stift aus dem Mund, dann beantwortete er mehr als eine Stunde lang die Fragen des Ausschusses.

Ein Geschenk für die Feinde Großbritanniens

Anlass der Vorladung war, dass der Guardian seit Juni mehrere Enthüllungsgeschichten auf Grundlage von Dokumenten des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden veröffentlicht hat - sehr zum Missfallen der britischen Geheimdienste. Der Chef des Inlandsgeheimdienstes MI5 hat kürzlich gesagt, der Guardian mache mit seinen Enthüllungen den Feinden Großbritanniens ein Geschenk, die Chefs der Dienste MI6 und GCHQ äußerten sich ähnlich. Snowden hatte für den amerikanischen Dienst NSA gearbeitet und dem ehemaligen Guardian-Mitarbeiter Glenn Greenwald Mitte des Jahres Zehntausende Dokumente mit geheimen Informationen übergeben. Auf Grundlage dieser Dokumente enthüllte der Guardian unter anderem, dass die NSA und der britische Dienst GCHQ den Datenverkehr im Internet flächendeckend überwachen.

Die britische Regierung hat bereits im Juni einen hochrangigen Vertreter zu Rusbridger geschickt, um ein Ende der Berichterstattung zu fordern. Der Guardian entschied sich trotzdem dazu, weiterhin Snowden-Material zu veröffentlichen. Das Blatt stellte jedoch sicher, dass Kopien der Dokumente außer Landes geschafft wurden, so dass die Veröffentlichung gesichert bliebe, selbst wenn die Regierung juristisch gegen den Guardian vorginge. Im Juli drückte die Regierung ihr Missfallen noch etwas deutlicher aus und verlangte die Herausgabe des Materials. In Anwesenheit von zwei GCHQ-Mitarbeitern zerstörten Guardian-Journalisten daraufhin fünf Rechner in London, auf denen das Material gespeichert war. GCHQ hatte auf der Zerstörung bestanden, obwohl Rusbridger auf die Existenz der Kopien hingewiesen hatte.

Stiller Star Rusbridger

Die Parlamentarier wollten am Dienstag von Rusbridger wissen, ob er zustimme, dass sein Blatt die nationale Sicherheit gefährde. Rusbridger verneinte. Er wies darauf hin, dass jede Veröffentlichung sorgsam geprüft werde. Zudem habe der Guardian rund hundert Mal Kontakt zu Regierungsstellen aufgenommen, um eventuell mit der jeweiligen Veröffentlichung verbundene Risiken auszuschließen.

Innerhalb des Ausschusses herrschte eine klare Teilung. Die konservativen Abgeordneten sind gegen die Veröffentlichungen, sie befragten Rusbridger scharf und vorwurfsvoll. Die Abgeordneten von Labour und Liberaldemokraten waren ihm eher wohlgesonnen. In den etwas absurderen Momenten sollte Rusbridger darüber Auskunft geben, ob er sein Land liebe ("Ja"), und ob er, wenn er im Zweiten Weltkrieg in Besitz des geheimen Enigma-Codes gelangt wäre, diese Information an die Nazis weitergegeben hätte ("Nein").

Viel Kritik in den USA

Rusbridger ist im Zuge der Enthüllungen eine Art stiller Star geworden. Besonders internationale Medien wollten wissen, wer dieser 59 Jahre alte Mann mit der Wuschelfrisur und der schwarzen Brille ist, der, wie der New Yorker in einem elf Seiten umfassenden Portrait treffend feststellte, aussieht wie ein netter Bibliothekar. Seine Mitarbeiter sagen, die äußere Erscheinung des Chefs täusche darüber hinweg, wie hart und entschlossen er sein könne. Der Investigativ-Reporter Nick Davies sagt: "Er verfügt über ein wirklich nützliches Stück Ausstattung, das nicht viele Chefs ihr eigen nennen: ein Rückgrat."

Dass Rusbridger vor dem Ausschuss erscheinen musste, hat besonders in den USA viele Kritiker auf den Plan gebracht. Der Journalist Carl Bernstein, berühmt geworden durch die Enthüllung der Watergate-Affäre, die 1974 zum Rücktritt des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon führte, hat einen offenen Brief an Rusbridger geschrieben. Die Vorladung des Guardian-Chefs nennt er darin einen "Versuch von höchsten Stellen, den Fokus von der Politik und der exzessiven Geheimniskrämerei der Regierungen in den USA und in Großbritannien auf das Verhalten der Presse zu lenken".

Das amerikanische Komitee für Pressefreiheit hat direkt an das britische Parlament geschrieben, zwölf große Medienhäuser haben das Schreiben unterzeichnet, darunter die New York Times, der New Yorker und die Washington Post. In dem Brief heißt es: "Es ist unklug und kontraproduktiv, die Berichterstattung über die Snowden-Dokumente reflexhaft mit dem Verweis auf Sicherheitsbedenken zu kontern und Medien der Unterstützung von Terroristen zu bezichtigen, wenn sie ihrer Pflicht nachkommen, die Öffentlichkeit zu informieren." Die Amerikaner ziehen das Fazit: "Für den Rest der Welt sieht es dieser Tage so aus, dass die Pressefreiheit im Vereinigten Königreich bedroht ist."

Der Guardian, sagte Rusbridger am Dienstag, werde weiterhin mit der gebotenen Sorgfalt Snowden-Material veröffentlichen. Bisher habe das Blatt erst ein Prozent seiner Informationen öffentlich gemacht. Insgesamt, sagte er freundlich, liegen dem Blatt 58 000 Dokumente vor.

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