"Germany's Next Topmodel": Casting-Tour 2011:Wenn Heidi ruft

Model-Casting als Massenabfertigung: Kaum ist "Germany's Next Topmodel" gefunden, muss auch schon das nächste her. Für die willigen Aspirantinnen gibt es immer einen Markt - auch wenn es gar nicht um die wirklich besten Models geht. Unsere Autorin hat sich in München dem Casting-Wahn gestellt.

Michaela Förster

München, Bahnhofsgegend: Eine Dönerbude reiht sich an die nächste, Menschenmassen schieben sich über die schmalen Gehsteige. In dieser Stadt gibt es kaum einen Ort, der weniger spektakulär ist. Von der berühmten Schickeria ist weit und breit nichts zu sehen. Hier im Hotel Maritim findet eines der Castings für die siebte Staffel von Germany's Next Top Model (GNTM) statt. Frei von jeglichem Glamour. Statt rotem Teppich und Security, weisen enttäuschte Mädchengesichter den Weg zum Hotel. Zu den Profiteuren des Casting-Wahns ist es allerdings auch nicht weit.

GNTM Finalists Zugspitze Photocall

Die Finalistinnen der letzten Staffel bei Germany's Next Top-Model: Jana, Amelie and Rebecca (von links nach rechts) posieren auf der Zugspitze.

(Foto: Getty Images)

Um 14 Uhr geht es mit der Veranstaltung los - die Bewerberinnen stehen in der Hofeinfahrt zivilisiert in einer Reihe. Hinter der kniehohen Eisenkette hat sich eine Schlange gebildet, die so auch vor jeder beliebigen Disco stehen könnte: Ob klein oder groß, alt oder jung, dürr oder gerade noch so schlank - alle wollen Deutschlands nächstes Topmodel werden oder zumindest mal "die Heidi" sehen. Skurril: Zwei Bewerberinnen wollen in riesigen Pappmasché-Zylindern als Palmen punkten.

Obwohl Germany's Next Topmodel schon seit 2006 vom echten Topmodel Heidi Klum ins deutsche Fernsehen gebracht wurde, strömen junge Mädchen immer noch in Scharen zu den Castings. Der Heidi-Hype ist ungebrochen: Allein für die fünfte Staffel 2010 sollen mehr als 21.000 schriftlich Bewerbungen bei GNTM eingegangen sein, fast 2000 weitere junge Frauen stellten sich der Jury persönlich vor.

Wie in der vergangenen Staffel setzen die Macher diesmal wieder auf reine Massencastings. Die Tour macht Station in 21 deutsche Städten und dauert noch bis Ende August. Bleibt die Resonanz wie im Vorjahr, dürften auch in der siebten Staffel wieder rund 13.000 Bewerberinnen die Chance nutzen, Deutschlands nächstes Topmodel zu werden. Heidi ruft und "ihre Mädchen" kommen.

Dem Ruf der Model-Mama ist auch die 19-jährige Nina gefolgt: Mit ihren 172 Zentimetern Körpergröße knackt sie knapp die Model-Mindestgröße. Warum gerade sie Germany's Next Topmodel wird? Die Antwort kommt mit leiser Stimme: "Wegen meinem Typ, ich habe helle Augen und dunkle Haare." Sie nehme die Sache aber eher sportlich - "mal seh'n".

Ein neues Gesicht muss her

Zielstrebiger tritt da Duy auf: Die hübsche Südländerin bringt nicht nur ein Gardemaß von 183 Zentimetern mit, sie hat bereits in Belgien Casting-Erfahrung gesammelt. Stolz berichtet ihr Freund Dimi, die 20-Jährige habe während ihres freiwilligen sozialen Jahrs in Belgien bereits bei "New Face 2011" teilgenommen und es bis ins Finale geschafft. Die schüchterne Nina oder die abgeklärte Duy - wer schafft es in die Show? Wir wissen: Am Schluss kann nur eine Germany's Next Topmodel werden.

Das aber bitte möglichst regelmäßig! Kaum ist die eine Show abgedreht, laufen im Fernsehen die Trailer für die nächsten Castingtermine. Und im Augenblick brauchen die Sendungsmacher recht dringend ein neues Gesicht. Denn Jana, Heidis Topmodel 2011, legte nach ihrem Sieg auf dem real existierenden Modelmarkt einen Fehlstart hin. Wichtige Termine sagte sie ab und geriet so in der Modelszene in Misskredit. Statt in seriösen Kampagnen sieht man ihr hochgelobtes Million-Dollar-Smile derzeit vor allem in der Klatschpresse. Doch the show must go on und so behelfen sich die GNTM-Strategen mit der zweitplatzierten Rebecca: In den Werbefilmen und Ratgeberclips ist sie es nun statt Jana, die die Mädchen zur Teilnahme ermuntert. Rebecca ist jetzt das Gesicht der Sendung.

Trotz dieser kleinen Ausfälle läuft bei GNTM alles aalglatt und routiniert ab: Während die Show anfangs noch Skandale schrieb, weil sie Mädchen in den Magerwahn getrieben haben soll und ihr die Vermittlung eines falschen Frauenbildes vorgeworfen wurde, ist das Aussortierspiel à la Heidi Klum heute kaum eine Schlagzeile mehr wert. Die letzte wirklich heiße Meldung lässt sich auf das Jahr 2010 datieren, als das Gerücht die Runde machte, Claudia Schiffer würde Heidi Klum bei GNTM ablösen. Doch die Aufregung war unbegründet: Heidi und ihre Model-Massenabfertigung gehören nach einer halben Dekade genau so ins Programm von Pro 7 wie der Tatort am Sonntag im Ersten.

So ritualisiert wie die Show laufen auch die Castings ab. Während der Wartezeit verteilt die Crew Einverständniserklärungen, mit denen die Bewerberinnen das aufgezeichnete Video- und Tonmaterial zur Verwertung freigeben. In der Lobby werden Zehnergruppen gebildet, die Personalien überprüft und nach einem kurzen Briefing beginnt der Casting-Akt.

Unaufgeregte Absage

Hinter Tür Nummer eins absolvieren die Bewerberinnen einen kurzen Walk vor der Kamera und liefern erstes wertvolles Videomaterial: Tippel-tippel bis zur Markierung, kleine Pose, scheues Lächeln, tippel-tippel wieder zurück, kleine Pose, Abgang - Nächste!

Model-Anfängerin Nina schreitet die wenigen Meter souverän ab und überrascht mit gekonnter Pose. Da hat doch jemand zu Hause geübt! Auch Duy kommt kein bisschen ins Stolpern und spielt mit ihrem kühlen Charme. Und was erwartet die beiden hinter Tür Nummer zwei? Doch sicher die Heidi und ihre Jurykollegen! Noch einmal die Haare gerichtet, am Oberteil gezupft und bereit für den großen Auftritt vor - Spannung - zwei unbekannten Damen und einem freundlichen Casting-Director. Enttäuschung!

Unaufgeregt und ohne großes Drama erfolgt dann die Absage: Nachdem jede Bewerberin sich mit Vornamen vorgestellt hat, heißt es für die meisten ganz lapidar: "Danke, es hat leider nicht gereicht." Diese unpersönliche Form der Kommunikation lässt bei vielen Enttäuschung in Verzweiflung umschlagen. Die exotische Lucy-Felicia - in den Augen des Laien ein typisches Model und Top-Kandidatin für die Show - sitzt nach ihrem Ausscheiden zusammengesunken vor dem Hotel. "Vielleicht ist meine Selbsteinschätzung auch ganz falsch - ich verstehe das nicht," nuschelt sie.

Was die Bewerberinnen nicht verstehen, ist das Showbusiness. Bei einer Doku-Sendung wie GNTM kommt es nicht darauf an, die Mädchen mit dem meisten Model-Potential zu zeigen. Die Losung lautet: "Entertainment". Was wären die vergangenen Staffeln ohne Kandidatinnen wie "Stinkefinger"-Tessa (3. Staffel), Denise "Ohne Tasche, keine Competition" (2. Staffel), Schusselchen Sarina (4. Staffel) oder die verrückte Wasserstoff-Barbie Gina-Lisa Lohfink (4. StaffeI) gewesen?

Die Sendung wird von den Kandidatinnen und ihrem Star-Appeal getragen - von Staffel, zu Staffel, zu Staffel. Stimmen die Charaktere, lässt sich das selbe Show-Prinzip endlos replizieren. Die Casting-Crew muss in wenigen Sekunden entscheiden: Wer hat das Zeug, Quote zu machen? Zack, zack! Denn nach zwei Stunden Casting stehen die Bewerberinnen immer noch bis zum Gehweg.

"Wir nehmen euch gerne!"

Mittlerweile hat ein Unwetter die Wartenden unter die Überdachungen gescheucht. Wer es beim Casting nicht schafft, muss vor die Tür - in den Regen. Wer weiter kommt, darf im Trockenen bleiben - Fotos werden gemacht und ein kurzes Videointerview abgedreht.

Duy steht im Regen. Die Casting-Crew hat nach kurzer Wartezeit beschlossen, dass sie nicht in die Show passt. Die smarte Verpackungstechnikstudentin verdrückt sich die Tränen - so ein knappes Scheitern kratzt am stärksten Selbstbewusstsein. Stille Freude hingegen bei Nina: Sie hat es geschafft. Im September erfährt der Modelfrischling, ob und wie ihr Weg zu Germany's Next Topmodel weitergeht.

Das Geschäft mit den Casting-Shows brummt also immer noch und der Pool an Bewerberinnen scheint unerschöpflich. Diese Masse der willigen Möchtegern-Models bleibt nicht ungenutzt: Um die Castings herum hat sich ein wahrer "Zweitverwertungsmarkt" entwickelt. Die Hotelangestellte, die gerade Wartende auf eine mögliche Ausbildung im Hotelfach anspricht, ist nur der harmlose Anfang.

Auf dem Weg hinaus warten Modelscouts diverser Agenturen, um die Mädchen abzufangen, die unsicher über das Kopfsteinpflaster staksen. Die Seriosität der Flyer und Angebote nimmt vom Eingang zum Ausgang hin rapide ab. Am Gehweg winkt schließlich die Teilnahme an der Wahl zur "Miss Galaxy". Mit dem Charme eines schmierigen Versicherungsvertreters ruft der Promoter den Mädchen hinterher: "Wir nehmen euch gerne!"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: