Traditionszeitschriften von G+J:Notruf Hafenkante

Traditionszeitschriften von G+J: "Stoppt die Profitgier": G+J-Mitarbeiter fürchten den Ausverkauf.

"Stoppt die Profitgier": G+J-Mitarbeiter fürchten den Ausverkauf.

(Foto: Marcus Brandt/dpa)

Nach Übernahme durch RTL: In Hamburg protestieren die Mitarbeitenden gegen Ausverkaufspläne der Zeitschriften von Gruner + Jahr. Die Verhandlungen gehen unterdessen offenbar weiter.

Von Anna Ernst, Hamburg

Am Kiosk sieht es rosig aus, heile Welt im Frauenzeitschriftenregal. "Ich lebe meinen Traum", titelt die Brigitte. Die Guido zeigt Designer Kretschmer in einem Kuscheltier-Greifautomaten und schreibt: "Gönn Dir!" Jenseits der gedruckten Hochglanzoptik aber sieht es anders aus. Bei denen, die die fröhlichen Zeilen schrieben, bei den Redakteurinnen und Redakteuren jenes Hamburger Verlagshauses, das einst den stolzen Namen Gruner+Jahr trug, ist die Stimmung gedrückt - so gedrückt, dass auch die beste Geschichte mit Tipps, "wie ihr euch überrascht und verwöhnt" und wie "aus Wünschen Wirklichkeit" wird, gerade nicht mehr wirklich hilft.

Über dem Verlagssitz Am Baumwall nahe der Elbphilharmonie hängen die Wolken am Mittwoch in einem dichten Grau. Seit Wochen bangen die Angestellten hier um die Zukunft - ihre eigene und die der Zeitschriften, für die sie arbeiten. Bertelsmann, der Mutterkonzern aus Gütersloh, hatte den Traditionsverlag Anfang vergangenen Jahres mit RTL fusioniert. Seitdem ist der Name Gruner + Jahr komplett verschwunden - am Gebäude prangen riesige Werbeplakate für den RTL-Streamingdienst. Mittlerweile hat die Werbung an den Fassaden Konkurrenz bekommen durch Protestbanner, die Mitarbeitende an den Balustraden befestigt haben. "Stoppt den Ausverkauf!" und "Rettet unsere Jobs!!!", steht darauf.

Der Bertelsmann-Chef Thomas Rabe setzt bekanntlich nur noch wenig Hoffnungen ins Zeitschriftengeschäft - obwohl bei Gruner + Jahr die Geschäftsberichte der vergangenen Jahre das Bild eines rentablen Verlags zeichneten: 2021 etwa lag der Gewinn vor Abzug von Steuern bei 134 Millionen Euro, im Jahr davor waren es 127 Millionen Euro. Trotzdem zeichnete sich nach der Fusion mit RTL ab, dass die Publizistik-Sparte aus Hamburg einen schweren Stand haben würde. Nach und nach waren im vergangenen Jahr Führungskräfte ausgeschieden. Aktuell läuft intern ein Prozess, der offiziell "Portfolioanalyse" genannt wird, bei dem geprüft werden soll, wie die Zeitschriftenredaktionen aus Hamburg mit dem Privatsender in Köln zusammenpassen. Nach SZ-Informationen aber gab es längst Kaufangebote, in der Branche ist gar die Rede von Bieterverfahren. Viele große Verlage brachten sich in Stellung, um Zeitschriften aus dem ehemaligen Gruner+Jahr-Portfolio zu kaufen. Unter anderem soll es um Marken wie die Brigitte, Gala, Barbara, Guidos Deko Queen, Beef, Schöner Wohnen und auch Geo gehen - also um das ganze publizistische Universum, für das Gruner + Jahr stand. Nur der Stern gilt weiterhin als sicher.

Die Verkaufsgespräche, von denen die Branche weiß, nennt man bei Bertelsmann "Spekulationen"

Zuletzt sollen die Gespräche ins Stocken geraten sein: Nach SZ-Informationen werden sie von Bertelsmann-CEO Thomas Rabe persönlich geführt - und lagen während seines Urlaubs vorübergehend auf Eis. Nun sollen sie aber weitergeführt werden, heißt es von einem Vertreter eines mitbietenden Medienunternehmens. Der Ausverkauf, so wird gehofft, könnte noch im ersten Quartal über die Bühne gehen. Bertelsmann hingegen schweigt zu Details weiterhin - und dementiert Verkaufsgespräche auch auf erneute SZ-Nachfrage. Man werde sich nicht "zu Spekulationen über einzelne Titel oder Maßnahmen äußern".

Auch die Mitarbeitenden in Hamburg werden im Ungewissen gelassen. Dort haben Redaktionen und Gewerkschaften die Weihnachtszeit genutzt und sich organisiert. Am Mittwoch sind Schätzungen der Gewerkschaft Verdi zufolge mehr als 200 Angestellte, Freie und Ehemalige vor das Gebäude gezogen und schwören sich in der Mittagspause mit Trillerpfeifen, Plakaten und Transparenten auf eine kämpferische Zeit ein. Aufgerufen zum Protest hatte die Gewerkschaft DJU, die zu Verdi gehört, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sowie die Vereinigung Freischreiber, die sich für die Interessen der freischaffenden Journalistinnen und Journalisten einsetzt. Die zentrale Forderung: Endlich erfahren, was eigentlich passieren soll. "Die Zeit der Stille, des Aushaltens, des Schönredens ist jetzt vorbei", ruft Verdi-Gewerkschaftssekretärin Tina Fritsche in ein Megafon.

G + J "ist ein Teil von Deutschlands publizistischer Identität", heißt es in einem Brandbrief an Familie Mohn

Mit einem Brandbrief haben sich in der vergangenen Woche bereits die Redaktionsbeiräte an die Bertelsmann-Eigentümerfamilie Mohn gewandt. Die Vertreter von Stern, Brigitte, Geo, P.M., Geolino, Eltern, Art und einer Redaktionseinheit namens "Quality Board" schickten am vergangenen Donnerstag ein zweiseitiges Schreiben an die mittlerweile 81-jährige Unternehmerin Liz Mohn, Witwe des Firmenpatriarchen Reinhard Mohn, sowie an ihren Sohn Christoph Mohn, der Vorsitzender des Aufsichtsrates ist und auch Sprecher der Eigentümerfamilie.

"Wir hoffen, Sie hatten unbeschwerte Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr. Das können wir als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gruner + Jahr leider nicht sagen", das lesen die Redaktionsbeiräte am Mittwoch aus dem Brief vor - unter lautem Beifall der Protestierenden. Nach den Berichten über die Verkaufsverhandlungen habe es die Redaktionen "erschüttert", dass RTL und Bertelsmann sich nicht schnell und eindeutig geäußert hätten, wie es weitergeht. "So geht man nicht mit Menschen um, die seit vielen Jahren mit großem Engagement für ihre Marken arbeiten", kritisieren die Redaktionsbeiräte. "Soll hier eine ganze Belegschaft zermürbt werden?" Trampeln, Pfeifen. "Notruf Hafenkante" steht auf einem Plakat, und so scheint den Menschen wirklich zumute zu sein.

Auch wenn es das Verlagshaus mit seinem traditionsreichen Namen in dieser Form seit der Fusion mit RTL nicht mehr gibt, lebe "der Geist von Gruner+Jahr" in der Belegschaft weiter. "Gruner + Jahr ist auch ein Teil von Hamburg, ein Teil von Deutschlands publizistischer Identität", steht in dem Brief. Bertelsmann-CEO Thomas Rabe habe noch im November die Stern-Redaktion besucht und ihr als einziger Redaktion des Verlages eine Zukunft bei RTL zugesichert - "zu den anderen Redaktionen kam er nicht". "Totenvogel!", brüllen Stimmen aus dem Hintergrund, immer dann, wenn der Name Rabe fällt.

Thomas Rabe lässt sich auch an diesem Tag nicht blicken. Von RTL und Bertelsmann sind keine Vertreter vor Ort, die Antworten geben könnten. Der zuständige RTL-Pressesprecher bleibt am Telefon auch am Tag des Protests wortkarg, man könne nur per Mail erneut das Statement schicken, das im Grunde schon bekannt sei: "Die Analyse des Titelportfolios läuft. Ergebnisse stehen noch nicht fest, sie sind für das erste Quartal 2023 geplant und werden dann entsprechend kommuniziert." Nach transparenter Unternehmenskultur in einem Kommunikationsunternehmen klingt das nicht.

In Hamburg hat sich eine Mitarbeiterin ein altes Cover der P.M. umgehängt. Klorollen sind darauf zu sehen und der Schriftzug: "Alles Scheiße". Die Ausgabe sei mittlerweile ein Jahr alt, sagt sie, aber "in gewisser Weise war das echt visionär".

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