Presseschau:"Der britische Löwe brüllt für Boris und den Brexit"

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Medienvertreter warten vor Downing Street Nummer 10, dem Sitz des britischen Premieministers (Foto: AP)

Johnson habe "seine Wette gewonnen" finden die einen, die anderen sehen noch einige Probleme auf den alten und neuen Premierminister zukommen. Ein Blick in die internationale Presse.

Am Morgen nach der Wahl in Großbritannien titelt der Daily Telegraph mit der Zeile "Johnsons historischem Sieg". Die Schlagzeile der Spätausgabe des Express lautet: "Der britische Löwe brüllt für Boris und den Brexit". Und der Daily Mirror überschreibt seine Titelseite am Freitag mit der Zeile "Albtraum kurz vor Weihnachten".

Genau dieses Bild greift auch der Guardian auf. "Der Albtraum ist geschehen. Der schlechteste Mann ist zum Premierminister gewählt worden. Die härtesten Zeiten stehen bevor. Boris Johnson, der in jeglicher Hinsicht ungeeignet für dieses Amt ist, übernimmt das Zepter, ausgestattet mit einer absoluten Mehrheit. Brexit war die gefährliche Waffe, die Johnson genutzt hat um seine letzten beiden Vorgänger zu entthronen und sich selbst eine ihre Stelle zu setzten. Rücksichtlos, mit dem einzigen Ziel seine persönlichen Ambitionen durchzusetzen, hat er uns gefangen in dem schlimmsten Brexit, den man sich vorstellen konnte."

Die Times ist beeindruckt von Johnsons Sieg: "Boris Johnson ist ein außergewöhnliches politisches Manöver gelungen. Er übernahm die Führung der Konservativen in einem Moment, in dem seine Partei zwischen der Brexit-Partei und den Liberaldemokraten kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen schien. Jetzt hat er einen großen Sieg errungen. Er und Dominic Cummings haben ihr Timing und ihre Botschaft richtig hinbekommen. Sie waren auch skrupellos darin, ihre Koalition zusammenzuschweißen. (...) Sie verließen sich auch auf ihr Glück, der größte Teil davon war Jeremy Corbyn."

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Von Alexander Mühlauer

Ein Kommentator des Telegraphs überschreibt seine Einordnung der Wahl mit der Frage: "Wird Boris Johnson der letzte Premierminister des Vereinigten Königreichs sein?". Es gebe, heißt es weiter, "schon Voraussagen, wonach der Zerfall dieses Landes ein Teil seines unschönen Vermächtnisses sein wird. Aus wahlstrategischen Gründen könnte der Verlust Schottlands für die Konservativen recht günstig erscheinen, haben sich die Tories doch immer mehr in eine englisch-nationalistische Partei verwandelt. Allerdings kann man sich schwer vorstellen, dass sich jemand mit Johnsons eifrigem Sinn für historische Bedeutsamkeit solch ein Vermächtnis wünscht."

Die französische Tageszeitung Le Monde zollt der Leistung Johnsons Respekt: "Man mag ihn oder man hasst ihn (...). Aber Boris Johnson hat seine Wette meisterlich gewonnen. Seine Konservativen haben am Donnerstag einen historischen Sieg verbuchen können. (...) Die Labour Partei hingegen, die zweite politische Kraft des Landes, kassiert ein wahrhaftiges Debakel (...). Sie büßt schwer für ihren so vagen Standpunkt in Sachen Brexit (...) und vor allem für das schlechte Bild ihres Chef Jeremy Corbyn, dem vorgeworfen wurde, nicht ernsthaft gegen den Antisemitismus in seiner Partei vorzugehen."

Dem italienische Corriere della Sera ist eine gewisse Melancholie anzumerken: "Europa verliert London, dieses Mal wirklich. Die älteste Demokratie der Welt war in der Nacht zum 23. Juni 2016 in ein Labyrinth eingetreten. Dreieinhalb Jahre der Verhandlungen und Überlegungen; eine vorgezogene Wahl, die nichts gelöst hatte; der Sturz Theresa Mays; das Eintreten Boris Johnsons. Die wahre Nacht des Brexits ist diese hier."

Mit der Überschrift "Skrupellos an der Macht" kommentiert die Zeit den Wahlausgang. "Boris Johnson hat gewonnen, das Gezerre ist endlich beendet. Zu hoffen ist, dass Johnson jetzt - als Premierminister mit Mandat - einen gemäßigteren Kurs einschlägt", heißt es.

"Johnson triumphiert - aber zu welchem Preis?", fragt die Frankfurter Allgemeine Zeitung und schreibt: "Für Johnsons Austrittsvertrag wird es jetzt eine klare Mehrheit geben. Das Vereinigte Königreich wird die EU somit Ende Januar verlassen, gut dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum vom Sommer 2016. Für beide Seiten beginnt damit eine neue Zeitrechnung. Für das Königreich dürfte die neue Ära weniger verheißungsvoll ausfallen als von den Propagandisten des Austritts verheißen. In einer Welt geopolitischer Konkurrenz großer Mächte ist es keine gewagte Prognose, dass nicht unbedingt derjenige einen Bonus bekommt, der sich auf Solotour begibt."

Die Neue Züricher Zeitung aus der Schweiz überschreibt ihre Wahlanalyse mit dem Titel "Boris Johnson triumphiert - doch das Brexit-Drama geht nur in die nächste Runde". Der Brexit, so die NZZ, sei keineswegs "ofenfertig", wie Johnson behaupte: "Im Februar wird zunächst die vereinbarte Übergangsfrist beginnen, und das Drama geht dann sogleich in die nächste Runde: Es folgen die komplexen Verhandlungen über das künftige Verhältnis Großbritanniens zur EU. Ein Abkommen muss in der kurzen Frist bis Ende 2020 erreicht werden - eine Verlängerung hat Johnson bereits ausgeschlossen. Falls bis dann kein Vertrag vorliegt, droht erneut der Absturz in ein "no deal"-Szenario. Man wäre mit anderen Worten wieder zurück auf Feld eins."

Auch der österreichische Standard sieht noch schwere Zeiten auf Johnson zukommen: "Viele angestammte Labour-Wähler in der Mitte und im Norden Englands haben den Torys diesmal ihre Stimme geliehen. Um sie dauerhaft an seine Partei zu binden, muss Johnson umsetzen, was er versprochen hat: ein umfassendes Investitionsprogramm für die vernachlässigten Regionen des Landes; dauerhaftes Detailinteresse an den öffentlichen Institutionen, an Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen, auf die der Großteil der Bevölkerung angewiesen ist. Das läuft seinen Ideen von größerer Distanz zu Brüssel und großer Nähe zu Donald Trumps Washington zuwider und könnte einem weicheren Brexit den Weg bereiten."

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