Süddeutsche Zeitung

Grimme-Nominierung für "Roche & Böhmermann":Wenn die Krönung zur Trauerverstärkung wird

Es wurde geraucht, getrunken und nebenbei dekonstruierten Charlotte Roche und Jan Böhmermann genüsslich sämtliche TV-Konventionen. Jetzt ist "Roche & Böhmermann" tot, und damit hat das Fernsehen - und das ZDF - mehr verloren als eine Talkshow. Das zeigt nicht zuletzt die Nominierung zum Grimme-Preis.

Von Hans Hoff

Deutsches Fernsehen ist, wenn alles so läuft wie immer. Ob "Wetten, dass...?", "Tatort", Plasberg, Illner oder Will, wichtig ist, dass nichts Unvorhergesehenes passiert, dass sowohl Gäste als auch Zuschauer vorher wissen, was am Ende zusammen mit viel heißer Luft herauskommt, nämlich nichts.

Genau deshalb ist die Talkshow "Roche & Böhmermann" auf ZDFkultur so ein Kleinod. Gewesen. Das muss man leider nachsetzen, denn die Akteure und die Menschen hinter der Kamera sind uneins geworden über die Fortführung. Als nach langen Gesprächen eine Einigung nicht mehr möglich schien, hat das ZDF am Montag eine Pressemeldung herausgegeben und das Ende von "Roche & Böhmermann" verkündet. Man sei mit den Protagonisten aber weiter im Gespräch, hieß es dann noch, was aber das übliche Sendergeschwätz ist und bedeutet, dass das Ende der Fahnenstange erreicht wurde.

Kurioserweise kam die Meldung vom Aus genau einen Tag vor der Bekanntgabe der Grimme-Preis-Nominierungen. Da stand die Sendung "Roche & Böhmermann" an diesem Dienstag in der Kategorie Unterhaltung ganz oben auf der Liste der für eine Auszeichnung infrage kommenden Kandidaten. Was eigentlich als Krönung kreativen Schaffens gedacht war, geriet unversehens zur Trauerverstärkung. "Roche & Böhmermann" ist tot, und damit hat das Fernsehen mehr verloren als nur eine Talkshow.

Wer nur eine einzige Folge dieser sehr besonderen Fernsehveranstaltung gesehen und verstanden hat, der musste sie umgehend in sein Herz schließen. Was für eine Freude war das, wenn man dabei zusehen konnte, wie die beiden Akteure einen Höllenspaß daran hatten, gängige TV-Konventionen genussvoll zu dekonstruieren.

Wer mundfaul ist, wird ignoriert

Charlotte Roche und Jan Böhmermann redeten über dies und das, und was die beiden grundverschiedenen Charaktere einte, war die Lust, etwas passieren zu lassen. Kein Gast konnte sich bei "Roche & Böhmermann" darauf verlassen, seinen Wortanteil vom Talkkuchen zu bekommen. Wer mundfaul da hockte, wurde auch schonmal ignoriert und im wahrsten Wortsinne sitzen gelassen. Ausgewogenheit ist etwas für Verlierer, schien das Motto zu lauten.

An ihrem Pokertisch, der von der Optik her einem gerade gelandeten Miniraumschiff glich, empfingen die Talkmaster Menschen, die sich das Interesse der Gastgeber verdienen mussten. Man war auf spannende Unordnung aus, es wurde geraucht, man trank harte Sachen oder tat wenigstens so, und wie nebenbei wurden Erkenntnisse zu Tage gefördert.

Als Obersubversiver erwies sich dabei Jan Böhmermann, den man schon vorher kennen konnte als Radioparodist des Fußballers Lukas Podolski. Bei der jungen WDR-Welle 1Live hat er Podolski imitiert und vorgegeben, dessen Tagebuch zu schreiben. Das hat er so perfekt böse gemacht, dass Podolskis Management mehrfach versuchte, das Projekt zu stoppen. Vergeblich. Als größten Erfolg gilt dabei gar nicht mal der juristische Sieg, sondern die Tatsache, dass Podolski heute noch ein Spruch zugeschrieben wird, der in Wahrheit von Böhmermann stammt. "Fußball ist wie Schach. Nur ohne Würfel", hieß der, und er wird immer wieder zitiert, wenn man Podolskis mentales Potential diskreditieren möchte.

Bei "Roche & Böhmermann" spielte Böhmermann in diesem Sinne weiter. Er parodierte, er flunkerte, er entlarvte. "Wir wollen doch jetzt nicht die Leute langweilen", wendete er ein, wenn es zu plätschern begann. War Schlüpfriges oder Ungelenkes im Angebot, beruhigte er onkelhaft. "Das schneiden wir hinterher raus", sagte er, aber natürlich blieb immer alles drin.

Man lernte schnell, dass man diesem Böhmermann nie trauen kann. Er betreibt das öffentliche Lügen als Kunst und entlarvt damit viele aus der Beckmann-Lanz-Kerner-Klasse, die immer so tun, als seien sie Wahrheitssucher. Die Bühnenfigur Böhmermann, die man sehr fein vom feinfühligen Privatmann unterscheiden sollte, interessiert sich für gar nichts außer sich selbst. Dass er das nie verheimlicht, macht ihn zur Ausnahmeerscheinung.

Mit dieser Art holte er stets das Beste aus seiner Partnerin heraus. Charlotte Roches Auftritte als kleines Mädchen lasen sich plötzlich anders, wenn Böhmermann als Kontrastmittel anwesend war. Dann konnte die Erfolgsschreiberin ihre Piepsstimme einsetzen, ohne allzu sehr zu nerven. Im Zusammenspiel war das stets erfrischend, weil es so wenig hat von der onkelhaften Art, die bei Shows wie "3 nach 9" betrieben wird. Roche federte im Gegenzug mit Zuneigung und Anerkennung das Barsche in Böhmermanns Wesen ab. Ohne sie wäre er nur ein böser Mann, der andere mit seiner überbordenden Ambition belästigt, ohne ihn wäre sie die kleine Maus.

Doch es waren nicht nur das Konzept und die Moderatoren, dazu kamen wundervoll auf altmodisch gestylte Einspielfilme, in denen ein dicklicher Von-gestern-Moderator in pastoralem Ton Unverschämtheiten über die anwesenden Gäste verbreitete, und diese waren so oft so baff, dass sie regelmäßig vergaßen, sich zu empören. Allein diese Filme allein wären schon eine Auszeichnung wert.

Die meinen es bitterernst

Doch leider ist nun Schluss damit, und das ist nicht nur ein Schlag für die Akteure und die Zuschauer, sondern auch für das ZDF. Das muss damit leben, dass sich in seiner Digitalsparte erst die Dinge entwickeln, und dann sind sie auf einmal weg. Kürzlich erst haben Joko & Klaas ZDFneo verlassen, und jetzt steht ZDFkultur ohne Roche und Böhmermann da. Das ist vor allem deshalb ein herber Rückschlag, weil der Minisender ja nach dem Willen einiger Fernsehgranden dazu ausersehen ist, in einem gemeinsamen Jugendsender mit der ARD aufzugehen.

Man weiß indes zumindest von Jan Böhmermann, dass er sich von so etwas nicht unterkriegen lässt. Vor ein paar Monaten hat er im Magazin "Journalist" seinen unbedingten Karrierewillen bekräftigt. "Wir wollen uns selber in die Bulldozer setzen", hat er da gesagt und damit auf all die Dinosaurier der Gottschalk- und Pflaume-Klasse angespielt, die noch die wichtigen Sendeplätze blockieren.

Denen sei gesagt: Nehmt euch in acht vor Roche und Böhmermann. Auch wenn die fortan einzeln auftreten. Die meinen es bitterernst. Die wollen nicht nur spielen.

Redaktioneller Hinweis: Hans Hoff ist der diesjährige Vorsitzender der Grimme-Nominierungskommission Unterhaltung

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1586353
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/vks
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.