Griechischer Staatssender:Die alte Tante kommt zurück

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Die draußen und die drinnen waren mal ein Team - und sollen es auch wieder werden. Demonstranten am 11. Mai vor dem Athener Sitz des Senders NERIT. (Foto: Louisa Gouliamaki/AFP)
  • Der griechische Staatssender ERT wurde im Jahr 2013 geschlossen, um Kosten zu sparen. Jetzt soll er wieder auf Sendung gehen.
  • Premierminister Alexis Tsipras hatte in seinem Wahlkampf versprochen, dass ERT seinen Sendebetrieb wieder aufnehmen würde.
  • In Griechenland und im Ausland befürchten viele eine Rückkehr zu Klientelismus und staatlicher Einflussnahme auf den Sender.

Von Luisa Seeling

So richtig geliebt hatten die Griechen ihn nicht, ihren Staatsrundfunk. Der Sender ERT galt als schwerfällig und unmodern. Doch als die Samaras-Regierung ihn im Juni 2013 handstreichartig abschaffte, schoss seine Beliebtheit in die Höhe.

ERT wurde zum Symbol für rücksichtslose, undemokratische Sparpolitik. Viele Griechen wollten ihre "alte Tante" zurück - und nun ist sie wieder da, wenn auch vorerst nur auf dem Papier.

Eigentlich hätte ERT Mitte Mai den Sendebetrieb wieder aufnehmen sollen. Der im Januar gewählte Regierungschef Alexis Tsipras wollte so eine "große Ungerechtigkeit" korrigieren, ein entsprechendes Gesetz wurde mit den Stimmen der Regierungsparteien verabschiedet.

Doch im Rundfunkhaus in der Athener Vorstadt Aghia Paraskevi ist alles wie vorher, als hätte es dieses Gesetz nie gegeben. Mitarbeiter betreten den Sechzigerjahre-Betonkasten, eilen in die Studios und beginnen mit ihrem Tagwerk: nämlich das Programm von NERIT zu bestreiten, dem von der Samaras-Regierung gegründeten Ersatzsender. Wann ERT wieder übernimmt, weiß hier keiner so genau. Es ist eine Herausforderung, einen einmal abgeschafften Sender wieder in die Spur zu setzen - in logistischer, aber auch in menschlicher Hinsicht.

"Notfalls stürmen wir!"

Am Eingangstor haben sich an dem Tag, der eigentlich ihr zweiter erster Arbeitstag hätte werden sollen, frühere ERT-Mitarbeiter zu einer Kundgebung versammelt. Etwa 300 Leute sind gekommen, viele von ihnen Gewerkschaftsmitglieder.

Manche tragen Shirts mit dem Logo von ERTopen - einer Art Piratensender, gegründet von Ex-ERT-Leuten, die ohne Bezahlung weitermachten. Auch Panagiotis Hasapis, 43, trägt so ein Shirt. Grimmig blickt der TV-Techniker auf das Rundfunkgebäude. "Verräter", so nennt er seine früheren Kollegen, die nun für NERIT arbeiten. Dann zeigt er auf das Tor: "Da wollen wir rein. Notfalls stürmen wir!"

Das Kämpferische ist ein bisschen Pose, schließlich ist das Ziel von ERTopen - nämlich ERT zurückzubekommen - erreicht. Es geht wohl eher darum, Präsenz zu zeigen. Klar ist: Hasapis wird seinen Job zurückbekommen, so wie mehr als 1500 weitere ERT-Mitarbeiter, die 2013 ihre Arbeit verloren hatten.

Das ist eine gute Nachricht für ihn, er musste zuletzt klempnern, um über die Runden zu kommen. An Hasapis' Wut auf die NERIT-Leute im Gebäude ändert das aber nichts. Er erinnert sich genau an den 11. Juni 2013. Um 23.11 Uhr wurden die Bildschirme schwarz. Die konservative Regierung von Antonis Samaras hatte ERT abschalten lassen, 2600 Menschen verloren ihre Arbeit.

Samaras begründete den Schritt mit "Verschwendung" und "Vetternwirtschaft" bei ERT, und tatsächlich war die Anstalt reformbedürftig. Doch vor allem stand der Premier unter dem Druck der Troika, er hatte Stellenabbau im öffentlichen Dienst versprochen.

Mit der Schließung löste er wochenlange Proteste aus. Tsipras, damals noch in der Opposition, sprach von einem "Staatsstreich". Im Wahlkampf Anfang 2015 versprach er, ERT wiederzueröffnen.

Tsipras hielt Wort, oder besser: Er versucht es. Der Gegenwind kommt auch aus seinem eigenen Lager. Tsipras und sein Medienminister Nikos Pappas wollen, dass ERT deutlich schlanker wird. Das Budget soll künftig bei jährlich 60 Millionen Euro liegen - bis 2012 waren es noch 300 Millionen gewesen. ERT wird 300 Mitarbeiter weniger beschäftigen als zuletzt und niedrigere Gehälter zahlen. Auch das Programmangebot wird wohl schmaler ausfallen als vor 2013.

Tsipras steht von allen Seiten unter Druck

Einige Syriza-Abgeordnete wünschen sich aber eine Rückkehr zum Status Quo vor der Schließung. Die nötigen Stimmen für seine Wunschkandidaten für die Posten des Präsidenten und des Generaldirektors bekam Tsipras an diesem Montag nur äußerst knapp zusammen, nach einer zehnstündigen Sitzung.

Doch Tsipras steht nicht nur innerparteilich unter Druck. Er muss auch zeigen, dass er es ernst meint mit der Unabhängigkeit des Senders. Fünf von sieben Vorstandsmitgliedern, auch Präsident und Generaldirektor, nominiert der Medienminister. Deshalb fürchten viele, dass ERT wieder zum Sprachrohr der Regierung wird.

Christos Katsioulis von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen schreibt, bei der ERT-Wiedereröffnung feiere "der alte griechische Klientelismus fröhliche Urständ, alle relevanten Entscheidungen werden von Staatsminister Nikos Pappas getroffen".

Viel wird in den kommenden Wochen von den Mitarbeitern selbst abhängen. Davon, ob die Wunden heilen, die in den vergangenen zwei Jahren geschlagen wurden. Und ob die im Rundfunkhaus und die davor sich wieder zusammenraufen können.

Als ERT geschlossen wurde, spaltete sich die Belegschaft: Manche wurden arbeitslos, andere wechselten den Job oder gingen in den Vorruhestand. Die Leute von ERTopen machten unbezahlt mit ihrem Piratensender weiter. Und dann gibt es noch die Gruppe, die bis heute im Rundfunkhaus arbeitet - nämlich jene Mitarbeiter, die sich entschieden, erst für den staatlichen Übergangssender DT und danach für den von der Samaras-Regierung gegründeten Sender NERIT zu arbeiten.

"Überläufer" werden sie von den Leuten vor dem Haus genannt: Aus ihrer Sicht war NERIT "Samaras-TV". Aus früheren Kollegen und Freunden waren Gegner geworden.

Unter den Anfeindungen hatte auch Prokopis Doukas zu leiden. Der 52-Jährige war einer der prominentesten ERT-Moderatoren. Beim Interims-Sender DT war er Nachrichtenchef, dann heuerte er bei NERIT an, wo er eine Radioshow moderiert. "Für die" - er deutet in Richtung der Kundgebung vor dem Gebäude - "bin ich ein Superverräter."

Treffen der Widersacher in der Kantine

Ja, die Schließung von ERT sei ein Tiefschlag für die Demokratie gewesen, sagt er. Doch Hardliner in der Belegschaft trügen eine Mitschuld daran, dass anschließend die Suche nach einem Kompromiss scheiterte. "Sie wollten den Sender so wiederhaben, wie er war, ohne Abstriche", sagt Doukas. Er machte nicht mit - und wurde heftig angegangen von früheren Kollegen. "Die Art, wie dieser Kampf geführt wurde, war einfach nicht in Ordnung", sagt er.

Im neuen, alten Sender sollen die Leute von NERIT und die von ERTopen wieder unter einem Dach zusammenarbeiten, gemeinsam das Land mit Nachrichten versorgen. Und das nach all den Verwerfungen. Geht das überhaupt?

Die Kundgebung immerhin findet ein versöhnliches Ende. Irgendwer lässt die Demonstranten ins Gebäude. Sie schütteln die Fäuste, einer hält eine markige Rede. Anschließend strömen alle in die Kantine, wo sie auf alte Kollegen treffen. Misstrauisches Beäugen, Schweigen. Nach ein paar Minuten: ein erstes Lächeln, Schulterklopfen. Und dann wird gegessen.

© SZ vom 29.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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