Griechenlands Medien:Kontrolleur und Komplize

"Wir sollten zur Verantwortung gezogen werden": Griechenlands Medien haben in der Krise folgenschwer versagt.

Kai Strittmatter

Ein Journalist ist tot. Erschossen Anfang der Woche vor seiner Athener Wohnung. Von linksextremen Terroristen. Offenbar wegen der Berichterstattung seiner Webseite Troktiko (deutsch: Nagetier). Einen solchen Mord hat Griechenland seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr erlebt. In den Tagen seither wetteifern Politiker und Kollegen mit Nachrufen auf den 37-jährigen Sokrates Giolias, den "unbeugsamen Geist".

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Nicht nur die griechische Regierung hat mit Kritik zu kämpfen. Auch die Medien haben versagt.

(Foto: dpa)

Von allen Seiten wird der Mord als "Angriff auf Freiheit und Unabhängigkeit der Presse" verurteilt und werden Giolias' Verdienste um die Aufdeckung von Korruption und Misswirtschaft sowie seine Kritik am zynischen linken Terror gefeiert. Als Uneingeweihter könnte man fast den Eindruck bekommen, die Redner feierten da mit dem griechischen Journalismus ein letztes Refugium für Heldentum und Sauberkeit im Land, für den Kampf um eine bessere Zukunft inmitten des in Trümmern zerfallenden Ancien Régimes.

Der Eindruck wäre falsch.

Zum einen ist Troktiko selbst nicht unumstritten. Der Blog veröffentlichte neben Scoops auch Fehlinformationen. Vor allem aber: Er wurde mit seinen Enthüllungen deshalb populär, weil kaum ein anderes Medium im Land seinen Job tat. "Die griechischen Medien haben versagt", sagt Stelios Kouloglou, einer der bekanntesten Journalisten des Landes. "Sie sind in den letzten Jahrzehnten ihrer Aufgabe der Kontrolle von Staat und Macht nicht nachgekommen." Das findet auch Roy Panagiotopoulou, Professorin an der Fakultät für Massenmedien der Universität Athen: "Die Medien hier sind Teil des Establishments. Sie haben mitgemacht beim Spiel der Korruption und sie waren beteiligt an der Zerstörung des sozialen Gewebes im Land."

Und das schreibt die Zeitung Kathimerini: "Die Leute sind zornig über uns Journalisten, weil unsere Profession mitgeholfen hat, Griechenland zu dem zu machen, was es ist. Sie haben recht. Wir sollten zur Verantwortung gezogen werden." Das liberal-konservative Blatt druckte diese Sätze Anfang Mai, es war ein seltenes Aufblitzen der Selbstkritik in einem ansonsten selbstgerechten Metier. Wenn das Land heute am Rande des Abgrunds steht, so das Resümee von Kathimerini, dann auch deshalb, weil die Medien Komplizen waren im schmutzigen Spiel des alten Systems. Der Leitartikel endete mit dem Aufruf, die Presse solle sich endlich der Diskussion stellen über ihre fundamentalen Gebrechen. Bislang ist das nicht geschehen.

Auf den ersten Blick ist die griechische Medienlandschaft lebendig. 22 große Tages- und Sonntagszeitungen mit Sitz in Athen, 280 Lokalblätter. Zehn nationale Fernsehsender, dazu 135 in der Region. Für elf Millionen Einwohner. Griechenland hat Europas höchste Mediendichte pro Kopf. Wenn man aber genau hinsieht, bemerkt man als Erstes, dass kaum eine Zeitung, kaum ein Sender Profit macht."Fast alle arbeiten defizitär", sagt die Soziologin und Medienwissenschaftlerin Roy Panagiotopoulou.

Wie das geht? Eine Existenz gegen die Gesetze der Betriebswirtschaft? Das geht dann, wenn der Besitzer seinen Profit in anderer Währung eintreibt, wenn ihm seine Zeitung und sein Sender politischen Einfluss und Gefälligkeiten einbringen sollen. Wie viele wahrhaft unabhängige Presseorgane gibt es denn in der Medienlandschaft außerhalb des Internets? Roy Panagiotopoulou überlegt. "Ich arbeite hier schon Jahrzehnte", sagt sie dann. "Ich habe noch keine gesehen."

Der Verlust der Unschuld

Die griechischen Medien haben ihre Unschuld gleich zwei Mal verloren: Erst vergingen sich der Staat und die politischen Parteien an ihnen; dann fielen die an Weisung gewohnten Redakteure in die Hände von Wirtschaftskonzernen. Zerrieben zwischen diesen beiden Mächten, hatte unabhängiger Journalismus nie wirklich eine Chance. So funktionierte auch der Staatssender ERT nie öffentlich-rechtlich im deutschen oder britischen Sinne: Von Anfang an war ERT Beute und Sprachrohr der jeweils Regierenden.

Dann kam 1989. Privatsender wurden erlaubt - und wurden jenen in den Schoß gelegt, die schon die Zeitungsverlage besaßen. Eine fatale Entscheidung: Es entstanden Monopole ohne Korrektiv. Vor allem aber: Monopole, deren Interessen zuvörderst nicht verlegerischer Natur waren und sind. Die meisten griechischen TV-Sender und Zeitungen gehören Firmen, die gleichzeitig in der Schifffahrt, im Bausektor, in der Telekommunikation, in der Pharma- oder Ölindustrie tätig sind. Sie existieren, um den Interessen dieser Firmen zu dienen.

Dass die Verflechtung so eng ist, dass sie kritischem Geist kaum Raum lässt, hat viele Gründe. Griechenland ist klein. "Jeder kennt jeden", sagt Tasos Telloglou, ein Reporter der Kathimerini-Gruppe. "Man hört oft: Über den schreibe ich nicht, das ist doch ein Freund. Das ist auch ein kulturelles Problem."

Es ist aber mehr. Es ist ein Fehler im System - ein gewollter. Der Staat seinerseits kann auf vielerlei Weise Einfluss nehmen. So übernimmt er einen großen Teil der Rechnung. Beispielsweise alimentiert er die Versicherungszahlungen der Verlage mit Zuwendungen aus Steuermitteln. Staatsunternehmen schalten einen Großteil der Anzeigen.

Und auch 20 Jahre nach Einführung des Privatfernsehens arbeiten die Sender ausnahmslos mit bloß provisorischen Lizenzen - auch das gewollt, glaubt der Athener Medienwissenschaftler Dimitris Charalambis. So werde "die Abhängigkeit der elektronischen Medien von der jeweils regierenden Partei" festgeschrieben, schreibt er in einer Studie: Grundlage für jenen "Austausch von Gefälligkeiten", der die griechische Gesellschaft der letzten Jahrzehnte so charakterisierte und der sie in den Ruin getrieben hat.

Die Abhängigkeit ist wechselseitig. "Wenn sich die großen Konzerne hier gelegentlich ein oder mehrere Medienorgane zulegen, dann vor allem aus einem Grund", sagt die Soziologin und Medienprofessorin Roy Panagiotopoulou: "Weil sie den Staat und die Politiker damit erpressen können, ihnen die Verträge zu geben, die sie wollen." Das ist ein gutes Investment in einem Land, in dem der Staat bis heute größter Investor ist und ein Großteil der Wirtschaft des Landes am Tropf öffentlicher Aufträge hängt. "Recherche und Kritik an der Korruption war von beiden Seiten nie erwünscht", sagt Reporter Stelios Kouloglou. "Deshalb haben die griechischen Medien auch keinen großen Korruptionsskandal selbst aufgedeckt. Wir haben die Enthüllungen immer erst aus dem Ausland importiert, bestes Beispiel ist der Siemens-Skandal."

Natürlich gibt es auch in Griechenland gut ausgebildete, kritische Journalisten, die beiden hier zitierten - Stelios Kouloglou und Tasos Telloglu - gehören zu den bekanntesten Reportern des Landes und sind das beste Beispiel. Bloß: Sie haben es schwer. Sie stoßen oft an ihre Grenzen ("Reportage ohne Grenzen" hieß die populäre und preisgekrönte Sendung Kouloglous beim Staatssender ERT. Die Sendung wurde von der konservativen Regierung 2008 abgesetzt, Kouloglou gefeuert). Und sie zeichnen beide ein vernichtendes Bild des eigenen Berufsstandes.

"Ich habe Journalisten erlebt, die haben weit Schlimmeres getan als manche Verleger", sagt Tasos Telloglu. Er spricht von Selbstzensur, von Korruption. Es gibt in den Redaktionen der großen Zeitungen und Sender bis heute viele Journalisten, die einen Zweitjob haben: Sie stehen auf der Gehaltsliste von Banken, Firmen - oder von staatlichen Ministerien, Hunderte von ihnen. Und keiner weiß, wer sie sind. Es gibt Listen, sie sind geheim.

Die linke Pasok-Regierung holte nach ihrem Amtsantritt den Reporter Kouloglou zurück in den Sender ERT, in den Verwaltungsrat. "Ich schlug eine Transparenzoffensive vor", erzählt er: "Jeder Journalist sollte offenlegen, wo er sonst noch arbeitet." Vergebens. "Die anderen schauten mich an, als wollte ich ein Sowjetregime errichten."

Die Massenmedien sind mit schuld an der Misere

Viele Journalisten verteidigen die Nebenjobs mit ihrem niedrigen Verdienst. Tasos Telloglou lässt das nicht gelten: "Ein Polizist verdient auch bloß 1.000 Euro im Monat. Sollen wir ihn deshalb nebenher als Zuhälter arbeiten lassen?" Der Journalistenverband fällt vor allem dann auf, wenn er mal wieder zum Streik aufruft. "Und noch nie", sagt Stelios Kouloglou, "haben die auch nur eine Stunde für mehr Meinungsfreiheit gestreikt. Die streiken immer nur für mehr Geld."

Das Ansehen der griechischen Presse ist im Keller. Laut Umfragen der Organisation Transparency International halten die Griechen die Medien für fast genauso korrupt wie ihre Parteien. Die Zeitungen sind zwar kein solcher Krawallzirkus wie das Fernsehen des Landes, aber auch sie haben ein Imageproblem. Je nach politischem Standort wird man bei der Frage nach einer Qualitätszeitung schon Antworten bekommen, meist werden Kathimerini, Ta Nea, Elefterotypia oder To Vima genannt.

To Vima aber machte das letzte Mal von sich reden, als ihre Sonntagsausgabe eine halbseitige Geschichte über den enttäuschend und kühl verlaufenden Besuch des türkischen Premiers Tayyip Erdogan in Athen am Vortag druckte, Zitate und atmosphärische Details inklusive. Bloß: Der Besuch hatte nie stattgefunden an jenem Samstag - er war überraschend in letzter Minute verschoben worden. Das Blatt hatte den Staatsbesuch, Ausgang inklusive, einfach auf Verdacht vorgeschrieben. Wer kauft eine solche Zeitung noch? "Die Sonntagszeitungen verkaufen ohnehin nicht mehr ihre Geschichten", sagt Stelios Kouloglou. "Sie verkaufen nur mehr die als Geschenk beigelegten DVDs." Manchmal auch Taschen. Oder Teddybären.

Der Reporter Stelios Kouloglou reist gerade über die griechischen Inseln, hält Vorträge zur Lage der Presse in seiner Heimat. "Die Leute kommen in Massen", sagt er. "Sie sind sensibilisiert, sie wissen, dass die Massenmedien mit schuld sind an ihrer Misere." Er sagt, im Moment sehe er kaum Hoffnung. "Höchstens im Internet." Wie also steht es um Reflexion und Selbstkritik im Metier? "Existiert praktisch nicht", sagt Kouloglou. "Den Zeitungen geht's miserabel. Wenn du gerade vom siebten Stock in die Tiefe fällst, dann ist das nur selten ein Zeitpunkt für Selbstkritik. Dann versuchst du verzweifelt, einen Baum zu fassen zu kriegen."

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