Griechenland schließt Rundfunkanstalt:"Das alles endet heute Abend"

Griechenland hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeschaltet. Die Regierung behauptet, das sei Teil des Sparprogramms. Fassungslosigkeit, Tränen und Zweifel sind die Folge: Eindrücke der letzten Nacht im Sendezentrum von Athen.

Von Alex Rühle, Athen

Um 23.11 Uhr wurde den Griechen am Dienstag schwarz vor Augen. Jedenfalls all jenen, die das Programm der drei öffentlich-rechtlichen Fernsehsender verfolgten. Sie hatten am frühen Abend gehört, wie der Regierungssprecher völlig überraschend die sofortige Schließung des staatlichen Rundfunks ERT bekanntgegeben hatte.

Sie hatten gesehen, wie daraufhin die Mitarbeiter ihr Gebäude für besetzt erklärten und die Moderatoren die Zuschauer aufriefen, zur Zentrale des ERT in der Athener Vorstadt Agia Paraskevi zu kommen. Sie hatten gesehen, wie Künstler, Wissenschaftler, Intellektuelle in die Studios strömten und in einer Mischung aus Entsetzen, Wut und Fassungslosigkeit gegen den Beschluss protestierten. Sie hatten noch gehört, wie der Linguistikprofessor Giorgos Babiniotis von einem Anschlag auf die Meinungsfreiheit sprach und die Nachrichtensprecherin Stavroula Christoflia sagte: "Einfach alles abzuschalten - so etwas haben sie nicht einmal während der Diktatur gewagt."

Und dann, um 23.11 Uhr, haben sie alle nur noch schwarz gesehen: Es gab kein Bild mehr. Nach 75 Jahren wurde der Betrieb eingestellt.

Ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit

"Es wird eine neue TV- und Radio-Institution geben", hatte Regierungssprecher Simos Kedikoglou in dem Sender, der nur wenige Stunden später abgeschaltet wurde, angekündigt. "Es kann keine heiligen Kühe geben, die nicht geschlachtet werden können, wenn überall gespart wird." Kedikoglou brandmarkte das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen als klassisches Beispiel "unglaublicher Verschwendung" mit Kosten von 300 Millionen Euro im Jahr und siebenmal mehr Personal als vergleichbare Anstalten. "Das alles endet heute Abend", sagte Kedikoglou.

Konkret bedeutet "das alles" die Schließung der drei landesweit ausgestrahlten Fernsehprogramme sowie sieben landesweit ausgestrahlter und 19 regionaler Radiosender. Und es bedeutet die sofortige Entlassung von 2656 Mitarbeitern. Kedikoglou sagte, sie alle könnten sich freilich gern wieder bewerben für das neue staatliche Fernsehen: Es werde gerade ein Konzept für einen kleineren TV- und Hörfunk-Sender mit rund 1000 Mitarbeitern ausgearbeitet.

Eine unglaubliche Verschwendung?

Nun hat Griechenland ganz bestimmt zu viele Beamte, daran hat sich auch im vierten Jahr der griechischen Dauerkrise wenig geändert. 100 000 Stellen wurden durch Verrentung oder freiwillige Kündigungen abgebaut; doch noch immer gibt es 900 000 Beamte und Staatsangestellte, wie der Internationale Währungsfonds Anfang Juni feststellte. Nun hat Griechenland auf Drängen seiner internationalen Geldgeber gerade zugesagt, bis Ende des Jahres 2000 Staatsbedienstete zu entlassen. Bis Ende 2014 soll es gar 15 000 Beamte weniger geben. Insofern könnte man sagen: harter Schnitt, aber effektiv.

Zumal die konstante Kritik an ERT bestimmt nicht unberechtigt ist: Der Sender war lange Zeit ein unproduktiver, aufgeblähter Laden. Auch ist die Frage erlaubt, ob ein so kleines Land wie Griechenland tatsächlich 19 staatliche regionale Radiosender braucht; allein Thessaloniki mit seinen 800 000 Einwohnern hat deren drei.

Das Hauptmanko aber hatte die Politik verschuldet: Jede Regierung installierte neue eigene Leute, die dann Gefälligkeitsjournalismus abzuliefern hatten. Sicher war das einer der Gründe dafür, dass die Hauptinformationssendung des ERT-Nachrichtenkanals NET zuletzt nur noch sechs Prozent Marktanteil erreichte.

Simos Kedikoglou, der am Dienstag so wohlfeil über den skandalösen Wasserkopf schimpfte, hat in seiner Zeit als Minister selbst 36 sogenannte Berater eingestellt. In erster Linie waren das gut aussehende Beraterinnen, darunter die Tochter eines Staatssekretärs und eine Provinzjournalistin aus seinem eigenen Wahlkreis.

"Jetzt ist nichts mehr sicher"

Giannis Darras, ein altgedienter Moderator und Redakteur, steht gegen 22 Uhr abends in einem der neonlichtkahlen Gänge des Sendezentrums. Das Programm läuft noch, eine Moderatorin sagt gerade: "Sie werden live miterleben, ob es uns in zwei Stunden noch gibt." Durch die offenen Fenster hört man die brodelnde Menge, die sich draußen vor den Türen des Senders versammelt.

Griechenland, ERT

Ehemalige Mitarbeiter in der Sendezentrale von ERT

(Foto: REUTERS)

Darras ist viel nüchterner. Ruhiger. Aber er kann es einfach nicht fassen, dass diese Schließung als Teil des Sparprogramms verkauft wird: "Wir finanzieren uns durch Werbeeinnahmen und Rundfunkgebühren, das heißt, die 300 Millionen, die der Sender pro Jahr kostet, werden nicht vom Staat, sondern von den Bürgern bezahlt." Das stimmt, alle Griechen zahlten bislang zusammen mit der Stromrechnung eine obligatorische Rundfunkabgabe. Die jeweilige Höhe bemaß sich nach dem Energieverbrauch und betrug rund ein Zehntel der Rechnung für Elektrizitätskosten. "Insofern", so Giannis Darras, "entsteht dem Staat keinerlei fiskalischer Nutzen aus der Schließung. Aber jetzt sind all diese Sender futsch. Zwei Orchester. Und das größte Rundfunkarchiv des Landes. Vor allem aber zeigt Samaras, dass jetzt nichts mehr sicher ist."

Und was ist mit der "unglaublichen Verschwendung", von der die Rede war? Darras sagt, er arbeite sieben Tage die Woche, fünf beim Fernsehen, zwei beim Radio, und verdiene nach 28 Jahren knapp 1000 Euro. "Aber fragen Sie mal die Tochter des Staatssekretärs, die mir von Herrn Kedikoglou plötzlich in meiner Sendung zur Seite gestellt wurde, obwohl sie nie zuvor journalistisch gearbeitet hat. Die hat das Zehnfache verdient."

Darras muss dann los, es gibt Unruhe unter den Mitarbeitern, weil angeblich die Polizei kommt, also nur noch eine Frage: Wird er nachts hierbleiben? "Wissen Sie, ich habe eine Tochter. Und wenn ich der morgen erklären muss, dass wir jetzt kein Geld mehr haben, will ich ihr wenigstens in die Augen schauen können." Da ihm seine Tränen peinlich sind, dreht er sich abrupt um und geht weg.

Staatlich verordneter Blackout

Von draußen wehen jetzt wieder die Stimmen der Demonstrationsredner herein. Einer sagt in Anlehnung an die Unruhen in der Türkei, dieses Gebäude sei "der griechische Taksimplatz", und Alexis Tsipras, der Chef der linken Oppositionspartei Syriza spricht von einem "Staatsstreich". Klar ist das parteipolitische Rhetorik, in seiner Durchführung hatte die Schließung aber tatsächlich was von einem Staatsstreich. Samaras' Partei Nea Dimokratia drückte die Entscheidung nicht nur gegen den Willen der Koalitionspartner durch, die Pasok und die Demokratische Linke wurden zu der ganzen Sache nicht mal angehört.

Zwischen der Ankündigung und dem Abschalten lagen nur wenige Stunden: Von 23 Uhr an wurde landesweit eine Sendezentrale nach der anderen abgeschaltet, um 23.11 Uhr wurden auch in Athen die Bildschirme schwarz. Gleichzeitig gab es im ganzen Rundfunkgebäude keine Internetverbindungen mehr. Die Mitarbeiter starrten auf schwarze Bildschirme - oder auf die Bildschirme der Privatsender, deren journalistische Mitarbeiter in einem Solidaritätsakt von 19 bis 24 Uhr in Streik getreten waren. Das hatte aber nur zur Folge, dass dort überall irgendwelche Konserven gezeigt wurden und im Moment des staatlich verordneten Blackouts lustige Menschen auf Wasserrutschen und Teenies beim ersten Kuss gezeigt wurden.

Gameshows statt Nachrichten

Die öffentlich-rechtlichen Kanäle verstummt, die privaten senden alte Gameshows und Daily Soaps - keine guten Aussichten für einen demokratischen öffentlichen Austausch in den kommenden Wochen.

Am Mittwochmorgen traten dann alle griechischen Journalisten in den Streik. Seit sechs Uhr Ortszeit gibt es in den Radio- und Fernsehsendern keine Nachrichten mehr, am Donnerstag werden keine Zeitungen erscheinen. Dimitris Trimis, der Präsident des Verbandes der Athener Zeitungsredakteure (ESIEA) kündigte an, den Streik fortzusetzen, bis die Regierung ihren Beschluss zurücknimmt.

Auf der einen Seite ist das ein starkes Zeichen. Auf der anderen erfahren die Griechen so all die neuen Nachrichten gar nicht mehr: Dass der Indexbetreiber MSCI Griechenland soeben als erstes entwickeltes Land vom Status eines Industrie- auf den Status eines Schwellenlandes herabstufte. Dass Samaras' Koalitionspartner ankündigten, das Gesetz zur ERT-Schließung, das nun irgendwie nachträglich durchs Parlament geschleust werden sollte, nicht unterzeichnen zu wollen, weshalb Neuwahlen wahrscheinlicher werden könnten. Und dass die EU-Kommission auf den ganzen Vorgang mit Kopfschütteln und Entsetzen reagierte: Sie habe keinesfalls im Rahmen der Sparmaßnahmen auf die Schließung des Staatsrundfunks ERT gedrängt, teilte EU-Währungskommissar Olli Rehn mit, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei wichtig für jede Demokratie.

Schade, dass es jetzt gar keine Plattformen gibt, auf denen man darüber diskutieren könnte, wie in diesen Zeiten in solch einem Land eine funktionierende Demokratie aussehen könnte.

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