Süddeutsche Zeitung

Streit bei "The Intercept":Einer gegen alle

Der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald behauptet, das von ihm mitgegründete Investgativportal "The Intercept" habe ihn zensieren wollen - als Teil einer Presseverschwörung. Das Portal weist das in deutlichen Worten zurück.

Von Philipp Bovermann

Der Blogpost, in dem der Journalist Glenn Greenwald ankündigt, die von ihm mitgegründete Enthüllungsplattform The Intercept zu verlassen, liest sich wie einer der Artikel, die er dort veröffentlicht hat - wie ein Enthüllungsbericht. Einer seiner Artikel, so schreibt er, sei "zensiert" worden. Ihm sei, damit der Text erscheinen könne, eine Bedingung auferlegt worden: Er hätte alle Stellen streichen sollen, an denen er sich kritisch über Joe Biden äußert, "den Kandidaten, den alle in diesen Akt der Deckelung involvierten, in New York ansässigen Redakteure von The Intercept vehement unterstützen".

Glenn Greenwald ist der Journalist, dem sich einst Edward Snowden anvertraute, als er den Skandal um die NSA-Überwachung publik machte. Spätestens durch diese Zusammenarbeit wurde der ehemalige Rechtsanwalt Greenwald, der als Blogger begann und sich dann als Kolumnist einen Namen machte, einer der bekanntesten Enthüllungsjournalisten der Welt. Seine früheren Kollegen bei dem von Ebay-Gründer Pierre Omidyar finanzierten The Intercept, das als eine der ersten Adressen für investigative Recherchen über die US-Regierung und die Geheimdienste gilt, beschuldigt er nun scharf. Sie seien von einem "Virus" infiziert, "das buchstäblich jede Mitte-links-Mainstream-Organisation, jede akademische Institution und jede Redaktion" befallen habe: ein Lagerdenken, in dem so weit publiziert und kritisch hinterfragt werde, wie es in das eigene ideologische Schema passe. The Intercept habe er 2013 als einen Ort für wahrhaft freien, undogmatischen Journalismus ersonnen. Nun werde es "rasend schnell zu einem weiteren Pressekanal mit ideologischen und parteilichen Loyalitäten, die von Establishment-Liberalismus bis zu weichem Liberalismus reichen, aber letztlich immer in der Unterstützung der Partei der Demokraten verankert sind".

Die Redaktion von The Intercept antwortete öffentlich auf den von ihrem scheidenden Mitgründer erhobenen "lächerlichen" Vorwurf, man habe sich, "mit der alleinigen, noblen Ausnahme von Glenn Greenwald", vom Gedanken an eine Biden-Präsidentschaft "verführen" lassen. Ein kurzer Blick auf die Publikationsgeschichte über den Präsidentschaftskandidaten genüge, um das zu widerlegen. Tatsächlich berichtete The Intercept im März, dass Biden "die Angewohnheit hat, Dinge zu erfinden". Auch gebe eine fundamentale Uneinigkeit darüber, was Zensur sei. Greenwald glaube, jeder mit einer anderen Meinung sei korrupt.

Greenwald knüpft mit seinen Vorwürfen nahtlos an die Kritik an, die er in dem angeblich zensierten Artikel erhebt; den von der Redaktion zur Überarbeitung an ihn zurückgegebenen Entwurf hat er parallel zu seiner öffentlichen Kündigung ins Netz gestellt. Das Stück trägt den Titel "Der wahre Skandal: Medien greifen auf Unwahrheiten zurück, um Joe Biden vor Hunters E-Mails zu beschützen".

Der Text ist lang und verfolgt zwei Stränge gleichzeitig: Es geht einerseits um kürzlich aufgetauchte E-Mails, die angeblich von der Festplatte eines kaputten Laptops stammen und nun belegen sollen, dass Joe Biden sein Amt als Vizepräsident unter Barack Obama zugunsten seines Sohnes Hunter missbraucht habe. Die New York Post hatte darüber berichtet, zahlreiche andere Medien hatten Zweifel an der Authentizität der Geschichte. Greenwald kritisiert, dass kaum Schritte seitens seiner Kollegen quer durch die Redaktionen unternommen worden seien, um den Präsidentschaftskandidaten hinreichend nachdrücklich zu befragen, nicht einmal dazu, ob es sich tatsächlich um Fälschungen handele. Er schreibt: "Eine Vereinigung der mächtigsten Organe des Landes, einschließlich der Nachrichtenmedien, haben außergewöhnliche Schritte unternommen, um diese Fragen zu unterdrücken und zu vergraben, anstatt zu versuchen, Antworten auf sie zu finden." In anderen Teilen des Artikels versucht Greenwald selbst, Antworten auf diese Fragen zu liefern, indem er den durch die fraglichen E-Mails nahegelegten vermeintlichen Skandal aufrollt.

Eben das sind die Teile des Artikels, die der The Intercept-Redakteur als problematisch bezeichnet und die er zur Streichung empfiehlt. Greenwald hat den Mailwechsel ebenfalls veröffentlicht. Der Redakteur empfiehlt eine deutliche Kürzung des Texts und dass Greenwald sich auf das konzentriere solle, was mit Chefredakteurin Betsy Klein besprochen worden sei: "eine Medienkritik über liberale Journalisten, die Biden nicht die Fragen stellen, die nachdrücklicher hätten gestellt werden sollen". In dieser Richtung gebe es durchaus valide Punkte, denen nachzugehen sei. Aber eben ohne die Voraussetzung, dass es "einen massiven Vertuschungsversuch der gesamten Medienlandschaft" gegeben habe, und ohne Behauptungen zu übernehmen, die sich nicht belegen lassen.

Greenwald antwortete auf diese Mail zunächst am Dienstag. Er gedenke, nichts Wesentliches an dem Artikel zu ändern, es gebe hier eine "wirkliche Geschichte". Dann, ohne seinerseits eine Antwort abzuwarten, verschickte er am darauffolgenden Morgen eine weitere E-Mail, in der er bereits Zensurvorwürfe erhebt. Seine Kündigung folgte am Donnerstag.

Er stellt sich sich darin als radikal unabhängiger, nur seinem Gewissen verpflichteter Journalist dar, der sich niemals der "Zensur" durch Redakteure gebeugt habe. Aber während er selbst innerhalb der Redaktion ins Abseits gedrängt worden sei, hätte man seinen bekannten Name weiterhin benutzt, um Spenden zu sammeln und darauf die Schuld für Fehler abzuladen, die andere begangen hätten. Er verweist auf einen besonders verheerenden Patzer, der 2017 dazu führte, dass eine Informantin mit dem ungewöhnlichen Namen Reality Winner enttarnt wurde, nachdem sie The Intercept vertrauliche NSA-Dokumente zugespielt hatte. Die Redaktion schickte das Material einer Vertrauensperson, die auch für US-Geheimdienste tätig war. Nicht in Form von Zitaten, sondern als Fotokopie, worauf eine mit dem bloßen Auge kaum zu erkennende Signatur des von der Informantin verwendeten Druckers zu erkennen war.

Die Reaktion von The Intercept wird in ihrer Antwort auf Greenwald deutlich: Die Geschichte, die er um seinen Abgang geschaffen habe, strotze vor Verzerrungen und Ungenauigkeiten. "Sie alle sind lediglich dazu geschaffen, ihn als Opfer erscheinen zu lassen, anstatt als einen erwachsenen Mann, der einen Tobsuchtsanfall hat."

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