Journalisten-Verhaftung in Russland:"Die Staatsmacht ist bemüht, den Fall runterzukochen"

Journalisten-Verhaftung in Russland: Iwan Golunow verlässt den Gerichtssaal in Moskau, nachdem er zu einem Hausarrest verurteilt wurde, der vorläufig bis zum 7. August gilt.

Iwan Golunow verlässt den Gerichtssaal in Moskau, nachdem er zu einem Hausarrest verurteilt wurde, der vorläufig bis zum 7. August gilt.

(Foto: AP)

Der Enthüllungsjournalist Iwan Golunow wurde wegen angeblichen Drogenhandels verhaftet, doch das Gefängnis bleibt ihm vorläufig erspart. Sergei Davidis von der Menschenrechtsorganisation Memorial spricht über die Hintergründe des Falls.

Interview von Paul Katzenberger, Moskau

Der russische Enthüllungsjournalist Iwan Golunow, der am vergangenen Donnerstag wegen angeblichen Drogenhandels festgenommen wurde, steht seit Samstag unter Hausarrest. Das regierungskritische Online-Portal Meduza, für das der 36-Jährige schreibt, vermutet seine Recherchen als Hintergrund der Ermittlungen. Wie die russische Zeitung RBK berichtete, bezogen sich Golunows jüngste Nachforschungen auf Verbindungen Staatsbediensteter zum Beerdigungsgeschäft und zur organisierten Kriminalität.

Eine Online-Petition für die Freilassung des Reporters hatte bis Montagnachmittag mehr als 140.000 Unterzeichner. Zum Wochenstart erschienen die Tageszeitungen Wedomosti, Kommersant und RBK mit identischem Aufmacher und der Erklärung "Ich bin - wir sind - Iwan Golunow", um gemeinsam gegen diesen neuerlichen Angriff auf die Pressefreiheit zu protestieren. Das gab es in Russland bislang noch nie. Auch der russische Präsident Wladimir Putin sei über den Fall informiert, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag. Die Ermittlungen hätten Fragen aufgeworfen. "Natürlich sind auch Fehler möglich. Überall arbeiten nur Menschen", sagte Peskow. Die SZ sprach mit Sergei Davidis, im Vorstand der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial für politische Gefangene zuständig, über den Fall.

SZ: Sind die Vorwürfe, die gegen Iwan Golunow erhoben werden, aus Ihrer Sicht berechtigt?

Sergei Davidis: Memorial hat den Fall bislang nicht offiziell bewertet. Denn bevor wir die Einschätzung abgeben, ob jemand ein politischer Gefangener ist, muss es dafür handfeste Belege geben, die einer gründlichen Überprüfung bedürfen. Aber es gibt meiner Meinung nach schon jetzt klare Anhaltspunkte dafür, dass die Verhaftung Iwan Golunows politisch motiviert ist.

Woraus schließen Sie das?

Zunächst einmal erscheint es als wenig glaubwürdig, dass ein investigativer Journalist plötzlich mit Drogen handelt und große Mengen Suchtmittel bei sich zu Hause aufbewahrt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Journalist vielmehr wegen seiner Recherchen ein Strafverfahren angehängt bekommt, ist in Russland deutlich höher. Denn die Leute, denen er mit seinen Nachforschungen in die Quere gekommen ist, haben es in der Hand, die Justiz gegen ihn in Stellung zu bringen. Leider müssen wir in Russland immer misstrauisch sein, wenn ein Journalist irgendeines Rechtsbruchs beschuldigt wird. In solchen Fällen muss die Straftat eindeutig belegt sein, bevor wir davon ausgehen können, dass ein Journalist das Recht tatsächlich gebrochen hat.

Die Behörden legen ja Beweismittel vor: Drogen, die sie bei Golunow und in seiner Wohnung gefunden haben wollen.

Es spricht sehr viel dafür, dass ihm diese Substanzen untergeschoben wurden. Das können wir im Augenblick nicht beweisen, aber in jedem Fall kann man sagen, dass bei seiner Verhaftung vieles nicht mit rechten Dingen zuging. Die Liste der Verfahrensverstöße durch die Behörden ist lang ...

... er wurde zum Beispiel ohne richterlichen Beschluss länger als 48 Stunden in Gewahrsam gehalten ...

... das und vieles mehr. So wurden etwa keine Proben von seinen Händen und Nägeln genommen, um zu untersuchen, ob er in Berührung mit Drogen gekommen ist. Es wurde physische Gewalt gegen ihn angewendet und eigenartigerweise wusste die Polizei sofort, wo genau sie in seiner Wohnung nach Drogen suchen muss, um sie in kürzester Zeit zu finden. Und so weiter und so fort.

Seine Auftraggeber von "Meduza" haben inzwischen mitgeteilt, dass sie glauben, seine Verhaftung stehe in Zusammenhang mit seinen jüngsten Recherchen. Ist das Ihrer Meinung nach ein mögliches Szenario?

Sergei Davidis

Menschenrechtler Sergei Davidis: "Hinter Golunows Verhaftung steht nicht die russische Regierung, sondern Leute, die auf ungesetzliche Art und Weise sehr viel Geld verdienen, und die diesen Journalisten stoppen wollten."

(Foto: Andrew Rushailo-Arno)

Wir haben nicht die Informationen, über die Meduza verfügt. Aber es ist durchaus denkbar. Bei der Gerichtsanhörung am Samstag brachte Golunow ja vor, dass er glaubt, dass es in Wahrheit um seine Nachforschungen im Moskauer Bestattungswesen geht (Die Branche gilt in Russland als extrem korrupt, Anm. d. Red.). Sein Artikel zu dieser Thematik sollte in dieser Woche veröffentlicht werden. Dazu könnte der Zeitpunkt seiner Verhaftung also durchaus in einem kausalen Zusammenhang stehen.

Ist Golunows Verhaftung auch als Schlag gegen "Meduza" zu verstehen? Das regierungskritische Portal ist für den Kreml unbequem, auch weil es sich der Zensur durch die Verlegung der Redaktion nach Lettland entzogen hat.

Der russischen Staatsmacht ist Meduza sicher ein Dorn im Auge. Aber das gilt für andere ausländische oder unabhängige Medien in Russland ebenfalls, wie etwa Radio Free Europe, Echo Moskwy oder die Nowaja Gaseta. In diesem Fall geht es meiner Meinung nach nicht um Meduza als Medienhaus, sondern um die Enthüllungen eines einzelnen Journalisten. Hinter Golunows Verhaftung steht nicht die russische Regierung, also etwa Präsident Putin oder Ministerpräsident Medwedew, sondern Leute, die auf ungesetzliche Art und Weise sehr viel Geld verdienen, und die diesen Journalisten stoppen wollten.

Was macht Sie da so sicher?

Dafür spricht, dass Golunow jetzt nicht im Gefängnis, sondern im Hausarrest sitzt.

Nun, es haben sich ja auch viele Kollegen mit ihm solidarisiert und aus Protest für ihn demonstriert.

Aber genau deswegen haben die Justizbehörden wohl von oben einen Hinweis bekommen, nicht allzu rabiat gegen Golunow vorzugehen. Denn wegen der offensichtlichen Rechtsverstöße der Behörden hat die Angelegenheit eine gewaltige öffentliche Aufmerksamkeit im In- und Ausland sowie in den sozialen Netzwerken bekommen. Da die Staatsmacht in dem Fall kein eigenes Interesse hat, ist sie nun darum bemüht, den Fall runterzukochen.

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