Glitzernde Welt:Ballroom Blitz

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Come on, vogue: Indya Moore spielt Angel, die in "Pose" eine Affäre mit einem Familienvater anfängt. (Foto: Sarah Shatz/FX)

Die großartige Serie "Pose" spielt in New Yorks glamouröser LGBT-Szene der Achtziger, inmitten von Turbokapitalismus, Rassismus und Aidskrise. Erstmals spielen schwarze Transfrauen die Hauptrollen.

Von Jan Kedves

Wer mit Drogen dealt, fliegt raus! Das ist die eine eiserne Regel, die Blanca Evangelista zuhause aufgestellt hat. Als eines ihrer Kinder beim Dealen erwischt wird, muss sie die schweren Herzens befolgen. Welche Mutter setzt gern ihr Kind vor die Tür? Aber was wäre, wenn die anderen im Haus merkten: Unsere Mutter traut sich nicht, die redet nur?

Blanca (MJ Rodriguez) ist keine biologische Mutter, sondern eine junge schwarze Transfrau, die im New York des Jahres 1987 anderen Transgenderkids und schwulen Teenagern das bieten will, was sie selbst nie hatte: ein Zuhause, in dem man sich sicher fühlt, eine Familie, die einen bedingungslos liebt (solange man eben nicht dealt). Ihr "House of Evangelista" ist kein Haus, sondern eine Wohnung, aber vor allem: ein Zufluchtsort in harten Zeiten. Es gibt noch kein Medikament gegen Aids, die Menschen in New York fangen reihenweise an zu sterben, und die Miete für ein eigenes Dach über dem Kopf zusammenzubekommen ist verdammt schwer, wenn man von der Gesellschaft doppelt diskriminiert wird als nicht-weißer und nicht dem Hetero-Ideal entsprechender Mensch.

Pose heißt die Serie, die kürzlich für zwei Golden Globes nominiert war und die in Deutschland nun endlich über Netflix zu sehen ist. Sie taucht tief ein in die New Yorker Subkultur namens "Ballroom", die bis heute existiert und die 1990 erstmals weltweit zum Gespräch wurde, als nämlich der Kultdokumentarfilm Paris is Burning die Tür zu ihren opulenten Bällen weit aufstieß. Dass verschiedene "Häuser" in New York spätnachts in dramatischen Kostümierungen um Trophäen und Status konkurrieren und dass die schwarzen und latino-amerikanischen Schwulen, Transfrauen und Dragqueens, die sich in diesen Häusern organisieren, aus den Modelposen, wie sie in Magazinen wie Vogue zu sehen sind, einen Tanzstil erschaffen - das "Voguing" -, darüber staunte die Welt damals. Madonna engagierte im selben Jahr zwei Tänzer aus dem "House of Xtravaganza" für ihr legendäres "Vogue"-Video.

Erstmals besetzen in einer Fernsehserie schwarze Transfrauen die Hauptrollen

Die Serie Pose malt nun, quasi als fiktionales, auf acht Folgen gestrecktes Pendant zu Paris is Burning, den Alltag in dieser Community zu dieser Zeit aus - den Zusammenhalt in den "Houses" und wie sie ihren "Children" Haltung im Leben geben. Da ist Damon (Ryan Jamaal Swain), der von seinen Eltern herausgeworfen wurde, weil er schwul ist, und der Tänzer werden will. Blanca sorgt dafür, dass er an der renommierten New School for Dance aufgenommen wird. Da ist Angel (Indya Moore), die eine Affäre mit einem verheirateten weißen Familienvater anfängt. Der weiß nicht, wo ihm der Kopf steht: Wenn er auf ein Transmädchen steht, ist er dann ... schwul? Das Geld, mit dem er Angel die schönen Geschenke macht, verdient er als Angestellter eines halbseidenen New Yorker Tycoons. Trump Tower lässt grüßen.

Die Serie wurde federführend entwickelt vom amerikanischen Serien-Zampano Ryan Murphy ( Glee, American Horror Story). Die Serie ist ein historischer Erfolg, nicht allein, weil in ihr erstmals schwarze Transfrauen die Hauptrollen spielen (sensationell zum Beispiel Dominique Jackson als ultra-verbitterte, überirdisch schöne Mother Elektra des "House of Abundance"). Pose löst ferner auch auf vorbildliche Weise ein Problem, das entstehen kann, wenn sehr spezifische Subkulturen zum Thema großer Unterhaltungsproduktionen werden. Der Vorwurf der "cultural appropriation", der kulturellen Aneignung und Ausnutzung, ist über soziale Medien ja schnell da und kann verheerend sein.

Ryan Murphy hat für Pose fast hundert Menschen aus der heutigen New Yorker Ballroom-Welt engagiert, als Co-Autorinnen, Berater, Kostümdesigner, Schauspieler. Dass sie ihre eigenen Geschichten und Erfahrungen mit einbringen, führt nicht zu dem Wir-machen-es-allen-recht-Wischiwaschi, wie man es aus kulturell ambitionierten sozialarbeiterischen Zusammenhängen kennt. Niemand sieht sich ja eine TV-Serie nur deshalb gern an, weil sie politisch korrekt und mit Feingefühl für Minderheiten produziert wurde.

Das Fantastische an Pose ist, dass der Ansatz der Community-Einbindung ganz selbstverständlich kombiniert wird mit den Erzähltechniken und dem Produktionsstandard des aktuellen Serien-Mainstreams - und dass die Pose zugrunde liegende Frage, was Familie eigentlich ist, letztlich natürlich weit über die Ballroom-Welt hinausweist. Geteiltes Leid, geteilte Erfahrungen und gemeinsam gefeierte Triumphe führen zu dickerem Zusammenhalt als Blutsverwandtschaft? In Pose ist es so. Die zweite Staffel ist angekündigt.

Pose , bei Netflix* und Apple iTunes*

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© SZ vom 26.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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