Gleichstellung im Journalismus:"Zeitungen funktionieren als Spiegel der Gesellschaft"

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)
  • Der Schwede Max Berggren hat ein Tool erfunden, das Online-Auftritte von Zeitungen scannt.
  • Mit ihm kann man das Verhältnis von der Nennungen von Frauen und Männern in den Texten auslesen.
  • Das Ergebnis ähnelt sich überall: Rund 70 Prozent der in Zeitungen erwähnten Namen und Pronomen sind männlich. Einige Medien wollen das nun ändern.

Von Anna Steinbauer

Bei der BBC brauchte es nur ein Jahr. Ein Jahr und ein freiwilliges 50:50-Projekt, sodass heute in vielen Bereichen der britischen Rundfunkanstalt 50 Prozent Frauen arbeiten und auftreten. Es war eine grundlegende Veränderung, jeden Tag analysierten mehr als 500 Teams der BBC ihr Programm mit dem Ziel, ebenso vielen Frauen wie Männern Platz zu geben, freiwillig. Von den Redaktionen wurde das als Wettbewerb verstanden, wer möglichst gleich viele Reporterinnen und Reporter auftreten ließ - und Protagonisten und Protagonistinnen.

Die Financial Times (FT) verfolgt ein ähnliches Ziel. Um die Geschlechterverteilung in den Nachrichten zu messen, lässt sich die Wirtschaftszeitung von Janet helfen. Janet ist sehr penibel. Alle zehn Minuten wertet Janet die Bilder auf der Startseite nach dem Geschlecht der Porträtierten aus, es ist ein Computerprogramm, das Mitarbeiter benachrichtigt, wenn in ihren Artikeln zu viele Männer vorkommen. Gleichzeitig analysiert eine andere Software anhand von Vornamen und Pronomen die Texte der Zeitung und prüft, wie viele Frauen erwähnt werden.

Benannt ist der Janet Bot nach der ehemaligen Präsidentin der amerikanischen Zentralbank Janet Yellen, seit November letzten Jahres ist das Programm bei der FT im Einsatz. Ein Fund: Frauen machen insgesamt nur 21 Prozent aller zitierten Personen des Wirtschaftsblattes aus. Dieses Ungleichgewicht soll sich ändern. Die Financial Times will damit wohl nicht nur Geschlechtergerechtigkeit fördern, sondern auch Leserinnen gewinnen. Ähnlich wie es der BBC auch darum ging, für Zuschauerinnen attraktiver zu werden und die Quoten zu verbessern. Wer Frauen zu wenig anspricht, lässt eben potenzielle Einnahmen liegen. Inspiration für das Programm Janet Bot war der Gender Equality Tracker namens Prognosis aus Schweden. Bisher wird dieser vor allem von Medien und Newsrooms im skandinavischen Raum genutzt. Alle fünf Minuten scannt die Software Online-Auftritte von Zeitungen und fertigt Statistiken über das Verhältnis der Nennungen von Frauen und Männern in den Texten, Titeln und Teasern an.

Urheber ist der Schwede Max Berggren. Der 33-Jährige arbeitet seit vier Jahren als Data Scientist für die größte schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter. Das Ergebnis ähnelt sich überall: Rund 70 Prozent der in Zeitungen erwähnten Namen und Pronomen sind männlich. Weil das Computerprogramm Ungerechtigkeit im Nachrichtenbereich aufdeckt, gab Berggren ihm den Namen "Shamebot" auf Twitter. "Die Zeitungen funktionieren als Spiegel der Gesellschaft", sagt der Schwede. "Wenn du dort nicht repräsentiert bist, ist es klar, dass es nicht deine Rolle sein wird, die Welt zu führen und coole Sachen zu machen. Das ist Frauen gegenüber unfair." Oft entspricht es auch nicht der Realität. Medien versprechen mit solchen Programmen mehr Vielfalt - auch, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden, schließlich beeinflussen sie das Weltbild vieler Menschen enorm.

Mit einigen Medienunternehmen in Schweden, Norwegen und Finnland arbeitet Berggren inzwischen zusammen. Für weitere Länder, darunter auch Deutschland, hat Berggren Tracker aufgesetzt, die man auf der Prognosis-Website einsehen kann. Bunte, leicht verständliche Statistiken der Onlineauftritte der 13 wichtigsten deutschen Zeitungen zeigen, dass es zuletzt in den Texten auf taz .de zu 42 Prozent um Frauen ging, bei fr-online.de nur zu einem Prozent. Eine Woche liegt wiwo.de mit 50 Prozent Frauenanteil vorn, dann wieder die taz mit 40,5 Prozent. Zeit, Spiegel und SZ bewegen sich bei um die 30 Prozent Frauenanteil, am wenigsten sind es mit 21 Prozent in den Artikeln von faz.net und kurz danach mit 20,9 Prozent bei der Welt.

Die Idee kam Berggren, als er sich durch die Top-100-Filme auf IMDb klickte

Berggren bezeichnet sich selbst als Feministen, große Gleichberechtigungsreden schwingt er nicht. Zahlen liegen dem Ingenieur mehr: "Ich biete nur das Tool an, das Leute dafür verwenden können, nach den Gründen für dieses Ungleichgewicht zu suchen", sagt er.

Die Idee für Prognosis kam ihm, als er sich auf der Filmdatenbank IMDb durch die Liste der Top-100-Filme klickte und bemerkte, dass sie zu 75 Prozent mit Männern in den Hauptrollen besetzt waren. "Die Frage, ob Männer auch in den Zeitungen überrepräsentiert sind, beschäftigte mich", erzählt Berggren. Also programmierte er, schrieb einen Blogeintrag und twitterte diesen. Erst als er seine Strategie änderte und nicht mehr nur den Shamebot für die schlechtesten Ergebnisse über Twitter verwendete, sondern umgekehrt die gleichberechtigte Repräsentation von Frauen lobte, stieß er in Schweden auf große Resonanz.

Journalisten riefen an, Zeitungen zeigten Interesse an seinem Tool und wollten, dass er ihnen Dashboards zur stündlichen Überwachung baute. In Schweden seien Themen wie Feminismus, Gleichberechtigung und eine paritätische Bezahlung von Männern und Frauen sehr lebendig, sagt Berggren. Die große öffentliche Aufmerksamkeit, die sein Algorithmus dort verursachte, erklärt er so: "Auf der Straße sieht man lauter Männer, die Kinderwagen schieben und sich als gleichberechtigt sehen. Aber mit diesem Tool zeige ich, dass die Medien trotzdem von 70 Prozent der Männer dominiert werden. Das geht gegen unser Selbstbild, gegen das, was wir glauben wollen."

Berggrens Tool scannt nur Texte und keine Bilder, die Gesichtserkennung funktioniert noch nicht gut genug. Bisher ist die Auswahl des deutschen Trackers nicht so groß und repräsentativ, auch die Datengrundlage (eine Statistik aller in Deutschland vorkommenden Vornamen und deren Häufigkeit) müsste ausgebaut werden. Größter Schwachpunkt von Prognosis ist allerdings, dass das Tool zwar weibliche Namen und Pronomen misst, aber keine inhaltlichen Verknüpfungen herstellen kann. Es erkennt also nicht, wie Frauen dargestellt werden. Ob Führungspersönlichkeit, Model oder Vergewaltigungsopfer, sie alle fließen positiv in die Zählung ein. "Natürlich bietet die Statistik nicht das ganze Bild. Sie erzählt nur was von Repräsentation", sagt Berggren. Ein internationaler Vergleich verschiedener Länder sei schwierig, weil die Zeitungen unterschiedliche Sparten abdeckten, aber insgesamt herrsche überall eine ähnliche Situation, sagt der Schwede. In seiner Heimat jedenfalls haben es einige Zeitungen geschafft, ihre Statistik zu verbessern.

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