Giovanni di Lorenzo und Judith Rakers::"Mir ist nichts Menschliches fremd"

Alte Sendung, neue Besetzung: Die Moderatoren Giovanni di Lorenzo und Judith Rakers über Protestmails, Versprecher und ihre gemeinsame Talksendung "3 nach 9".

Marc Felix Serrao

sueddeutsche.de: Die Vorgängerin von Judith Rakers bei 3 nach 9, Charlotte Roche, hat die Sendung Anfang des Jahres nach nur fünf Folgen hingeschmissen. Sie sollte das Format jünger und frecher machen. Was ist da schiefgelaufen, Herr di Lorenzo?

Giovanni di Lorenzo, Judith Rakers

Ein neues Dreamteam - Giovanni di Lorenzo und Judith Rakers vor dem Sendungslogo von "3 nach 9".

(Foto: dapd)

Giovanni di Lorenzo: Auf Charlotte lass ich nichts kommen: Wir sind hervorragend miteinander ausgekommen. Über die Gründe für ihren Ausstieg haben wir aber Stillschweigen vereinbart, und ich halte mich auch in der Süddeutschen Zeitung daran.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie, Frau Rakers?

Judith Rakers: Ich habe Charlotte Roche leider nie kennengelernt.

sueddeutsche.de: Sie haben aber ihre Auftritte gesehen. Und Sie haben vermutlich kein Schweigegelübde abgelegt.

Rakers: Ich finde es aber auch nicht fair, sich über Kolleginnen zu äußern. Gerade als Nachfolgerin. Charlotte ist Charlotte, ich bin ich.

sueddeutsche.de: In ihrer Probesendung im Juli haben Sie den Rapper Sido interviewt und sich gleich mal seinem Wortschatz angepasst. Da war viel von Körperflüssigkeiten die Rede. War das der Versuch, zu zeigen, dass Sie als Tagesschau-Sprecherin auch jung und frech sein können?

Rakers: Das war kein Versuch, irgendetwas zu zeigen. Das kam tief aus meinem Innersten. Mir ist tatsächlich nichts Menschliches fremd. Leute, die mich kennen, wissen, dass ich mich nicht so leicht aus dem Konzept bringen lasse. Da hätte der ... ich weiß gar nicht, was der alles hätte auffahren müssen.

di Lorenzo: Um eine Talkshow zu machen, muss man etwas vom Leben mitgekriegt haben. Brüche. Unschöne Dinge. Judith ist mehr als eine Tagesschau-Sprecherin, ich glaube, dass sie als Talkerin eine echte Entdeckung wird.

sueddeutsche.de: Und 3 nach 9 ist mehr als nur eine Talkshow. 36 Jahre auf Sendung. Legendäre Runden. In den vergangenen Jahren ist es ruhig geworden. Zu brav, zu beliebig: Sie kennen die Kritik.

di Lorenzo: Ja, und ich finde sie furchtbar repetitiv. Als ich vor 21 Jahren mein erstes Interview für 3 nach 9 führte, führte schon die Ankündigung, dass da ein junger Kerl von der SZ aus München kommt, zu allerschlimmsten Mutmaßungen. Dass die Sendung jetzt konservativ würde, solche Sachen. Und schon damals hat jeder, der zwei Sätze aneinanderreihen konnte, gefragt: Ist 3 nach 9 nicht lahm geworden? Mich verblüfft, dass das noch immer gefragt wird.

"Fernsehen ist unser kollektives Gedächtnis."

sueddeutsche.de: Weil viele der Ansicht sind, dass die alten Sendungen besser waren.

di Lorenzo: Die alten Sendungen waren vor allem alt. Die Gäste waren fast alle alt. Und die Moderatoren, Gert von Paczensky oder Wolfgang Menge, waren es auch; die wunderbare Marianne Koch musste erst mal um den Nachweis kämpfen, dass sie als schöne Frau nicht geistig minderbemittelt ist. Sicher, das waren Gespräche, die von Meistern geführt wurden, die ich nach wie vor verehre. Aber unser aller Seh- und Hörgewohnheiten haben sich seitdem dramatisch verändert - Ihre auch. Wenn Sie sich diese Sendungen heute in voller Länge anschauen, Sie halten es nicht aus. Dieses Entwickeln von Fragen über Minuten. Dieses ganze Selbstbezogene. Das Medium war damals völlig anders. Da reichten Kleinigkeiten, um einen Skandal zu provozieren. Und dann gab es ein paar Ausnahmen, die bis heute bejubelt werden.

sueddeutsche.de: Auch von Ihrer eigenen Redaktion. Auf der Website von 3 nach 9 kann man genau diese Ausschnitte finden. Fritz Teufel, wie er den Bundesminister Hans Matthöfer mit Zaubertinte abschießt, und so weiter.

Rakers: Das ist vielleicht ein Fehler.

di Lorenzo: Nein, aber das Bild ist unvollständig. Fernsehen ist unser kollektives Gedächtnis. Wenn Sie immer nur auf diese Ausschnitte schauen, ist das so, als ob Sie aus dem Leben alle langweiligen Stellen rausschneiden. Abgesehen davon, dass sich die Figuren geändert haben, ist 3 nach 9 im Großen und Ganzen noch wie vor 36 Jahren.

Rakers: Da hast du recht.

di Lorenzo: Judith, 1974 warst du noch gar nicht auf der Welt.

Rakers: Stimmt. Dafür bin ich älter als du bei deinem Sendestart.

sueddeutsche.de: Mögen Sie die alten Sendungen, Frau Rakers?

Rakers: Sicher. Aber das war eine andere Zeit. Damals wurde an den Unis viel mehr über Politik geredet, nicht über die Vorabendserie. Eine Show wie 3 nach 9 entspricht immer auch dem Zeitgeist. Und der verändert sich. Dass früher alles besser war, ist eine Binsenweisheit.

di Lorenzo: Vor allem bei Medienjournalisten.

sueddeutsche.de: Wie bitte?

di Lorenzo: Doch, doch. Ich habe viel mehr Print- als Fernsehinterviews geführt. Und es wundert mich immer wieder, wie wenig viele Medienjournalisten vom Fernsehen verstehen. Es muss ja einen Grund geben, dass sämtliche deutschen Talkshows dem Gast nicht mit dem Hintern ins Gesicht springen.

sueddeutsche.de: Sie meinen Reinhold Beckmann und Johannes B. Kerner.

di Lorenzo: Zum Beispiel. Aber auch die weniger Netten. Warum springen die ihren Gästen nicht mit dem Hintern ins Gesicht? Was glauben Sie? Sie sind doch auch Medienjournalist.

"Mal ein leises Interview, mal einen Schlagabtausch."

sueddeutsche.de: Keine Ahnung. Es wäre doch schön, wenn Sie und Ihre Kollegen mal konfrontativ fragen würden.

di Lorenzo: Konfrontativ zu sein ist etwas anderes, als Gäste schlecht zu behandeln. In der Regel machen wir das aus drei Gründen nicht. Erstens: Wir üben ein Handwerk aus. Und wie jeder Handwerker wollen wir, dass die Arbeit gelingt. Zur Talkshow gehört, dass Sie den Gast zum Reden, nicht zum Schweigen bringen. Zweitens: Zuschauer ertragen allzu parteiische Fragesteller nicht. Wenn wir in der Sendung mal jemanden angehen, ist die Redaktion wochenlang damit beschäftigt, Protestbriefe und -Mails zu sammeln ... Sie haben keine Vorstellung: Tausende! Und drittens: Wenn das Ihr Markenzeichen wird, kommen irgendwann keine Leute mehr in die Sendung. Freche Fragen sind oft nicht mehr als die Eitelkeit des Journalisten. Ich nehme da ausdrücklich Politik- und Nachrichtenfomate aus: Da muss hart zur Sache gefragt werden.

sueddeutsche.de: Was kann eine Sendung wie 3 nach 9 erreichen, Frau Rakers?

Rakers: Die Zuschauer. Je mehr, desto besser. Inhaltlich finde ich es gut, wenn es viel Interaktion gibt. Und Tempi-Wechsel, mal ein leises Interview, mal einen Schlagabtausch.

sueddeutsche.de: Harald Schmidt hat Sie mal gefragt, ob Sie Ihr Aussehen als Nachteil empfinden. Sie haben nein gesagt. Können Sie als attraktive Frau andere Fragen stellen als Herr di Lorenzo?

Rakers: Ja, diese Frage ...

di Lorenzo: ... du müsstest jetzt natürlich antworten: Mir war gar nicht bewusst, dass ich gut aussehe. (Beide lachen)

sueddeutsche.de: Und?

Rakers: Meistens sitze ich in Interviews Frauen gegenüber. Aber auch die wollen wissen, ob ich mich reduziert fühle. Ich sage dann immer, dass die Frage schon Teil des Problems ist. Indem wir immer wieder über etwas sprechen, was eigentlich kein Thema mehr sein sollte, bleibt es ein Thema.

di Lorenzo: Noch mal zur Frage, was 3 nach 9 erreichen kann. Mir persönlich geht es darum, dass die Zuschauer vor allem einen Eindruck vom Gast bekommen: Wie ist der? Nicht unbedingt: Was sagt der? Es geht um ein Stück Authentizität im großen medialen Verstellungszirkus. Was wir drei hier gerade machen, ist etwas ganz anderes. Im Printinterview verändert man Antworten und Fragen, durch Kürzen, Glätten und Zuspitzen. Im Fernsehen ist alles eins zu eins. Jeder Versprecher. Jedes Ähm.

sueddeutsche.de: Ein harter Job.

di Lorenzo: Viel härter. In der Zeitung können Sie jede Peinlichkeit von uns Journalisten hinterher retuschieren.

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