Süddeutsche Zeitung

20 Jahre Gilmore Girls:Die "Gilmore Girls" feuern auf den Rest der Welt

In "Gilmore Girls" durften Frauen eine Rolle spielen, in der sie bis dahin selten zu sehen waren. Nun feiert die Serie 20-jähriges Jubiläum.

Von Luise Checchin

Anm. d. Red.: Dieser Text wurde im Vorfeld der Neuauflage von Gilmore Girls im November 2016 erstmals veröffentlicht. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Serie publizieren wir ihn erneut.

Es gibt Serien, bei denen ist alles, was sie ausmacht, von Anfang an da. Als im Oktober 2000 die Pilotfolge der Gilmore Girls im amerikanischen Fernsehen lief, reichte schon die Eröffnungsszene, um zu zeigen, dass hier etwas Ungewöhnliches vor sich ging.

Da sitzt eine junge Frau im Café, ein Mann spricht sie an, er sei gerade auf der Durchreise in die nächstgrößere Stadt, beginnt er etwas holprig seinen Flirtversuch. "Du bist ein richtiggehender Jack Kerouac", erwidert die Frau ironisch. Der Mann schaut verdattert, offensichtlich kennt er weder den Schriftsteller Jack Kerouac noch dessen Reiseroman "On the Road", und man versteht sofort, dass die Sache damit gelaufen ist. Der Typ hat keine Chance mehr, er ist an seiner Bildungslücke gescheitert.

Etwas anderes als Männer im Kopf

Wer sich fragt, warum die Neuauflage der Gilmore Girls vor vier Jahren derart euphorisch erwartet wurde, der braucht im Grunde nur diese allererste Szene anzusehen: Eine Frau wimmelt einen Mann mithilfe eines Autors der Beat-Generation ab. Gilmore Girls strotzt nur so von solchen lässig dahin geworfenen Anspielungen und es sind genau diese popkulturellen Referenzen, die am besten erklären, was die Serie so wirkmächtig gemacht hat.

Mit der alleinerziehenden Mutter Lorelai, ihrer bildungshungrigen Tochter Rory und deren Freundinnen Sookie und Lane kamen Anfang des Jahrtausends so unabhängige und schlagfertige Frauenfiguren ins Fernsehen, wie sie bis dahin selten zu sehen waren. Was Sex and The City zwei Jahre zuvor begonnen hatte, führte Gilmore Girls in einer familienfreundlicheren Variante fort, mit einem wichtigen Unterschied allerdings. Während die vier Frauen aus Sex and the City vor allem Männer im Kopf hatten, gab es bei den Gilmore Girls - zumindest in den ersten Staffeln - noch Anderes, über das es nachzudenken galt. Dieses Andere manifestierte sich in Regalen voller Bücher, CDs und Filme.

Im Internet kursieren Listen, die versuchen, die Mengen an Verweisen zusammenzutragen, die sich in sieben Gilmore Girls-Staffeln angehäuft haben. Charles Bukowski reiht sich da an Sylvia Plath und Spinoza, "Citizen Kane" an "Footloose" und den "Stadtneurotiker", Paul Anka an PJ Harvey und den Wu-Tang Clan. Eine einzige Gilmore-Girls-Folge enthält mehr Popkultur, als jeder durchschnittlich interessierte Mensch in einem Jahr konsumieren kann. Auf den ersten Blick könnte man dieses Referenz-Arsenal, mit dem die Figuren um sich feuern, als oberflächliche Angebereien abtun. Man täte den Gilmore Girls damit allerdings Unrecht, hat doch das Spiel mit den Verweisen eine entscheidende Funktion in der Serie.

Der manische Sammler popkulturellen Wissens ist gemeinhin eine männlich besetzte Rolle. Am besten lässt sich das an der Figur des Musikfans studieren, wie sie etwa in Nick Hornbys "High Fidelity" oder Benjamin von Stuckrad-Barres "Soloalbum" zelebriert wird. Da sucht ein Held Zuflucht in der Popmusik, saugt sie auf und bildet daraus seine Identität. Mit den Gilmore Girls traten plötzlich Frauen auf, die gleichermaßen nerdig sein durften, die sich mit dem Eifer eines wahren Fans in die Backkataloge von Bands vergruben oder Filmdialoge auswendig mitsprachen.

Ein enthusiastischer Willen zur Spezialisierung

Vor allem die Beziehung zwischen Rory und Lane - beide auf unterschiedliche Weise Außenseiterinnen an ihren Schulen - lebte von diesem enthusiastischen Willen zur Spezialisierung. Es konnte vorkommen, dass die Freundinnen minutenlang darüber diskutierten, welche Musik am besten das Gefühl der Niedergeschlagenheit verkörperte, das sie empfanden. War es eine Joy-Division-, eine Nick-Cave- oder eine Robert-Smith-Niedergeschlagenheit? Nein, es war eine Johny-Cash-Niedergeschlagenheit, genauer gesagt eine "San-Quentin-mäßige-es-ist-ein-langer-Weg-nach-Hause-und-mein-Pferd-wurde-gerade-erschossen-aber-mein-Mädchen-ist-an-meiner-Seite-Niedergeschlagenheit".

Es ist kaum möglich, dieses engmaschige Netz an Verweisen komplett zu durchschauen, und genau darum ging es auch. Die Sprache, die die weiblichen Hauptfiguren sprachen, war eine, die nur sie verstanden. Die Serie griff das Motiv des Fantums auf, überspitzte es und nutze es als Selbstermächtigungsstrategie ihrer Protagonistinnen. Die nerdigen Züge der Hauptfiguren waren ein Zeichen der Andersartigkeit, ein positives freilich, ein Ausdruck der Überlegenheit. Mit ihrem popkulturellen Wissen konnten die Gilmore-Girls-Frauen jeden Gesprächspartner schachmatt setzten, sie wappneten sich damit gegen die Außenwelt, ob das nun übergriffige Anmachversuche, mobbende Klassenkameraden oder schwierige Familienmitglieder waren.

Dabei gab es durchaus einige Männer, die Einblicke in diesen erlesenen Club haben durften. Nur mussten sie eben entweder die Überlegenheit der Protagonistinnen neidlos anerkennen oder zumindest ansatzweise mitreden können. Rory etwa wurde auf ihren ersten Freund aufmerksam, weil er ihre Anspielung auf den Film "Rosemaries Baby" verstand, auf ihren zweiten, weil er sich mit Allen Ginsbergs Gedicht "Howl" auskannte.

Mit der Zeit verlor die "Gilmore-Girls"-Sprache ihren hermetischen Zauber

Leider geriet über die Jahre dieser Aspekt der Serie in den Hintergrund. Die Sprache der Gilmore Girls verlor ihren hermetischen Zauber, sie wurde immer durchlässiger für Außenstehende. Rory studierte zwar an der Eliteuniversität Yale und arbeitete daran, Journalistin zu werden, aber man sah sie gegen Ende mehr über den Milliardärssohn nachdenken, mit dem sie liiert war, als über griechische Philosophen oder feministische Autorinnen. Ihre Freundin Lane wurde zwar Schlagzeugerin in einer Band, musste dann aber ihr Rock-'n'-Roll-Leben gegen die Mutterschaft von Zwillingen tauschen.

Unabhängig davon, ob die vier jüngsten und letzten Folgen, eigentlich ja Filme auf Netflix die Geschichte in diesem Sinne weiterführen und sich auf das besinnen, was die Gilmore Girls einmal so besonders gemacht hat, auf die Gedanken von ein paar sehr lustigen und ziemlich nerdigen Frauen, die ihre Welt aus Romanfiguren, Liedtexten und Filmzitaten erschaffen - immerhin gibt es einen Schatz von Büchern, Platten und Filmen aus dem Gilmore-Girls-Universum, mit dem man sich darüber hinweg trösten kann.

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