Nach Säuglingstod in Mainz:Gespräch mit Klinikchef

Mitte August starben drei Babys in der Mainzer Universitätsklinik. Der Leiter des Krankenhauses, Norbert Pfeiffer, entschloss sich, Fragen der Journalisten offen zu beantworten.

Marc Widmann

Der Presserat verteilt einen Leitfaden, wie sich Journalisten bei ihrer Berichterstattung über Amokläufe zu verhalten haben, der Duisburger Oberbürgermeister duckt sich nach der Katastrophe bei der Loveparade weg - wie sich Verantwortliche, Betroffene und Medien in einer Krise verhalten, bestimmt nicht nur die Aufarbeitung, sondern wirft immer wieder Fragen nach der richtigen Strategie auf. Juristen, PR-Berater, Psychologen sind im Einsatz.

Zwei Saeuglinge sterben in Uniklinik nach Gabe von Infusionsloesung

In der Mainzer Uniklinik starben im August drei Säuglinge. Der Klinikleiter entschloss sich, die Fragen der Journalisten ehrlich zu beantworten.

(Foto: ddp)

Ohne professionelle Berater, ohne vergleichbare Erfahrung wählte der 52-jährige Augenarzt Norbert Pfeiffer, Leiter der Mainzer Uniklinik, einen selten praktizierten Weg. Als Mitte August drei Babys im vom ihm geführten Krankenhaus starben, nachdem sie mit Bakterien verseuchte Infusionen erhalten hatten, trat Pfeiffer täglich vor die Presse. Er beantwortete jede Frage, trat vor jede Kamera, telefonierte bis tief in die Nacht mit Journalisten. Er hatte eine Strategie: die Wahrheit zu sagen. Pfeifer, der nicht nur Medizin studierte, sondern auch Querflöte, glaubt: "Wenn man lügt, muss man ein sehr gutes Gedächtnis haben. Wahrscheinlich widerspricht man sich irgendwann. Deshalb ist die Wahrheit zu sagen nicht so gefährlich." Die Mainzer Universitätsklinik gilt mittlerweile als entlastet: Die Keime stammten wohl aus einer beschädigten Zutatenflasche.

SZ: Herr Professor Pfeiffer, als Sie erfuhren, dass in Ihrer Klinik etwas Schreckliches geschehen ist, hatten Sie nicht den Impuls: Das dürfen wir auf keinen Fall an die große Glocke hängen?

Norbert Pfeiffer: Ich wusste, das ist eine Katastrophe, und habe sofort einen Krisenstab einberufen. Unsere erste Sorge galt den Kindern. Mir war klar: Das Geschehen hat möglicherweise immense negative Folgen für die Klinik, vielleicht auch für meine eigene Person.

SZ: Es gab ähnliche Vorfälle in anderen Krankenhäusern, die erst nach Monaten bekannt wurden. Wie gingen Sie vor?

Pfeiffer: Zuerst mussten wir sicherstellen, dass die betroffenen Kinder optimal behandelt werden. Dann mussten wir die Industrie informieren, dass möglicherweise Flaschen verkeimt waren. Und wir wollten allen Eltern reinen Wein einschenken. Ich wollte unbedingt aufklären. Mein Umgang mit dieser Situation war von einem einfachen Prinzip geprägt: Ich wollte authentisch bleiben und bei der Wahrheit bleiben.

SZ: Es stand für Sie nie in Zweifel, damit an die Öffentlichkeit zu gehen?

Pfeiffer: So ist es. Ich will nicht verhehlen, dass durchaus einmal erwogen wurde, ob wir alles offenbaren müssen, das sei doch eine große Belastung für alle.

SZ: Es ist bis heute unklar, woran die Kinder starben. Vielleicht wird man es nie endgültig herausfinden.

Pfeiffer: Richtig. Es sind kleine Kinder gestorben, die auch aufgrund ihrer schweren Krankheiten sterben konnten. Aber hätten wir die Ursachen nicht aufgeklärt, hätten wir am nächsten Tag nicht gewusst, ob wir unsere Infusionen wieder herstellen können oder nicht.

"Ich bin dran an dieser Stelle"

SZ: Am Tag nach dem Unglück bei der Loveparade verlasen die Verantwortlichen eine knappe Erklärung und sagten dann nicht mehr viel. Sie dagegen haben noch am Abend des Geschehens jede Frage persönlich beantwortet. Warum?

Pfeiffer: Diesen Punkt habe ich mir tatsächlich überlegt. Ich hatte kurz zuvor im privaten Kreis ein Gespräch über die Loveparade. Alle am Tisch sagten: Dieses Verhalten war unsäglich. Nur ein Jurist meinte: Halt, jeder Anwalt müsste das seinem Mandanten so empfehlen. Wer Schuld zugibt, bringt sich in eine schwierige Lage. Das war mir noch im Ohr. Ich habe sehr mit mir gekämpft, weil ich Dinge offenbart habe, die für unsere Mitarbeiter auch nachteilig hätten sein können.

SZ: Der Duisburger Oberbürgermeister Sauerland hat sich regelrecht versteckt. Sie sind täglich vor die Presse getreten, haben bis spät in die Nacht mit Journalisten telefoniert.

Pfeiffer: Wenn Sie verantwortlich sind, müssen Sie den Kopf hinhalten. Wenn ich will, dass meine Mitarbeiter Fehler nicht unter den Teppich kehren, dann darf ich sie nicht bei der ersten Gelegenheit opfern, indem ich sage: "Damit habe ich gar nichts zu tun." Natürlich hatte ich keine Infusionen zubereitet. Aber ich muss mich doch vor die Kollegen stellen. Wir haben hier 7200 Mitarbeiter. Wenn jeder nur einen Fehler macht und der würde nicht aufgedeckt, dann werden wir ganz schnell immer schlechter.

SZ: Hatten Sie keine Angst, vor die vielen Kameras zu treten? Ein falscher Satz, und er wäre im Fernsehen rauf und runter gelaufen.

Pfeiffer: Ich hatte kein Manuskript. Ich bin auch kein besonders fernseherprobter Mensch. Und die Idee, etwas Falsches zu sagen, ging mir durch den Kopf. Aber ich bin dran an dieser Stelle. Ich kann niemanden vorschicken.

SZ: Sie haben jede Detailfrage beantwortet, was auch gefährlich war.

Pfeiffer: Ich habe mich manchmal gefragt, ob ich zu weit gehe. Aber Sie machen dann nichts falsch, wenn Sie bei der Wahrheit bleiben. Wenn man lügt, muss man ein sehr gutes Gedächtnis haben, und wahrscheinlich widerspricht man sich irgendwann. Bei der Wahrheit kommen Sie immer wieder auf dieselben Dinge. Deshalb ist die Wahrheit zu sagen nicht so gefährlich. Ich habe klar abgegrenzt: Was weiß ich, und wo beginnt die Spekulation. Da habe ich allerdings gemerkt - und das hat mich schon erschreckt - dass das nicht immer genau so wiedergeben wurde.

SZ: Sie meinen Ihren Satz, es sei wahrscheinlich, dass der Fehler in der Uniklinik passiert ist, weil dort handwerklich gearbeitet wird, und nicht schon vorher beim industriellen Hersteller. Einige Journalisten haben daraus ...

Pfeiffer: "Klinikleiter sieht die Schuld bei sich" gemacht. Ja. Aber meine Einschätzung zu dem Zeitpunkt war, dass es tatsächlich so ist. Das legen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse nahe, die Sie in der Fachliteratur nachlesen können. Ich habe aber immer dazugesagt, wir müssen uns die ganze Herstellungskette anschauen. Das ist in manchen Medien etwas verkürzt dargestellt worden.

SZ: War die Offenheit ein Fehler?

Pfeiffer: Ich glaube nicht. Wenn ich etwas Falsches sage, kann ich die Journalisten vielleicht für zwei Stunden täuschen. Dann fragen sie bei einem Hygieniker nach, und der widerlegt mich.

Es haben Reporter versucht, Kameras auf Stationen zu schmuggeln

SZ: Ehrlichkeit lohnt also?

Pfeiffer: Ich glaube, unsere Offenheit hat sich ungeheuer ausgezahlt, weil uns später die entlastende Information ebenfalls geglaubt wurde. Ich würde es wieder so machen.

SZ: Haben sich Journalisten danebenbenommen?

Pfeiffer: Ja, leider. Es haben Reporter versucht, Kameras auf Stationen zu schmuggeln. Es wurde versucht, Angehörige zu bestechen, um auf Station Bilder zu machen. Jemand hat einer Mutter Geld geboten, damit sie die Identität einer der Familien verrät. Und es hat jemand versucht, durch den Seiteneingang einzudringen. Wir haben dann Teile der Klinik abschirmen lassen.

SZ: Haben Sie sich von den Medien belagert gefühlt?

Pfeiffer: Nein. In den Pressekonferenzen gab es ein, zwei Situationen, in denen ich eine gewisse Aggressivität bei den Fragen gespürt habe. Ansonsten war das absolut in Ordnung.

SZ: Wie hat sich Ihr Bild von Journalisten verändert?

Pfeiffer: Ich habe von Außenstehenden Sätze gehört wie: "Da ist jetzt die Meute hinter Ihnen her". Bis auf die wenigen Ausnahmen, habe ich das nicht so empfunden. Ich glaube, dass auch die Journalisten von der Tragik des Geschehens betroffen waren. Die persönlichen Gespräche waren von Respekt geprägt. Mein Bild ist positiver, als ich erwartet hätte.

SZ: Raten Sie Politikern zur Wahrheit, die in eine Krise geraten?

Pfeiffer: Wenn ich Politiker wäre, würde ich es genauso machen, weil ich glaube, dass die Menschen nicht töricht sind.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: