Geschlechterbild im TV:Auf jede Frau kommen zwei Männer

ARD-Adventsempfang, im Blue Spa im Bayerischen Hof

Nutzte ihre Prominenz für das Projekt: Schauspielerin Maria Furtwängler (Mitte) mit ihren Kolleginnen Bibiana Beglau und Margarita Broich.

(Foto: Florian Peljak)

Vor einem Jahr hat eine Studie gezeigt, wie selten und einseitig Frauen im deutschen Fernsehen dargestellt werden. Was ist seitdem passiert? Eine Umfrage unter Sendern und Produktionsfirmen.

Von Karoline Meta Beisel

Vier Männer, eine Frau - die Gästeauswahl von Markus Lanz war am Mittwoch recht typisch. Typisch nicht nur für die ZDF-Talkshow, die in jeder Sendung zwar eine Frau unter die Gäste mischt, aber so gut wie nie eine zweite. Typisch aber auch für das Fernsehprogramm insgesamt: Vier von fünf Experten, die in Informationssendungen zu Wort kommen, sind männlich. "Männer erklären uns die Welt", das war das Fazit, das Elizabeth Prommer vor einem Jahr über das deutsche Fernsehen zog.

Damals legte die Medienforscherin der Uni Rostock mit Ko-Autorin Christine Linke eine Studie zur Darstellung der Geschlechter in Film und Fernsehen in Deutschland vor, zur "Audiovisuellen Diversität", wie das in der Fachsprache heißt. Demnach kommen Frauen nicht nur in Nachrichtensendungen und Talkshows seltener vor als Männer, sondern auch in Filmen, Serien und im Kinderfernsehen: Über alle Programme hinweg sind für jede Frau zwei Männer zu sehen. Wenn Frauen vorkommen, dann junge, ab 30 Jahren kommen Frauen immer seltener vor. Selbst im Kinderfernsehen ist nur jede vierte Figur weiblich, bei Fantasiefiguren sogar nur eine von zehn.

Die Studie sorgte für Aufsehen - auch weil Schauspielerin Maria Furtwängler, die die Idee dazu hatte, mit Nachdruck und Prominenz für das Thema wirbt. Senderchefs, Produktionsfirmen und Programmdirektoren gelobten, sich für mehr Gleichstellung einzusetzen. Das ist nun fast ein Jahr her. Was ist seither passiert?

"Ich glaube, dass sich schon etwas bewegt hat", sagt Maria Furtwängler. Elizabeth Prommer berichtet, sie sei mit Anfragen von Sendern überrollt worden, die Studie noch einmal in den Häusern vorzustellen, und das Interesse halte weiter an. Mit Zahlen belegbar ist dieses Gefühl bislang nur im Einzelfall, etwa bei den Informationssendungen von RTL oder der ARD-Produktionstochter Degeto (siehe unten); Zahlen für das gesamte Fernsehprogramm will die Uni Rostock erst von 2019 an wieder erheben. Vor allem bei Serien und Filmen vergeht viel Zeit vom Produktionsauftrag bis zur Ausstrahlung, sodass dort auch die ambitioniertesten Vorsätze nur langsam wirken können. Außerdem sei es für kleine Produktionsfirmen oder Sender leichter, sich zu bewegen als für große, sagt Furtwängler. Aber gerade die sieht sie in der Pflicht: "Vor allem ARD und ZDF haben den Auftrag, die Gesellschaft abzubilden, und bislang tun sie das nicht."

Das Geschlechterverhältnis auf dem Bildschirm zu verändern, ist für sie nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit: "Wenn wir nur so eingeschränkte Frauenbilder zeigen, schränken wir damit auch die Fantasie unserer Zuschauer ein." Und zwar nicht nur die der Männer, auch Frauen seien durch eine einseitige Bilderwelt konditioniert. Die Schauspielerin hat das Phänomen auch an sich selbst beobachtet; vor ein paar Jahren sei sie mal instinktiv erschrocken, als sich über den Lautsprecher im Flugzeug nicht ein Pilot, sondern eine Pilotin meldete. "Instinktiv trauen wir gewisse Dinge auch eher einem Mann zu als einer Frau", sagt Furtwängler.

Drehstart - Wir sind doch Schwestern (AT)

Ü30: Die Protagonistinnen in "Wir sind doch Schwestern"

(Foto: ARD Degeto)

Was die Sender unternehmen

Wissenschaftler aus den USA haben diesen Zusammenhang im Frühjahr untersucht und sind auf einen Effekt gestoßen, den sie den "Scully-Effekt" getauft haben: Von mehr als 2000 befragten Frauen, die in technischen Berufen arbeiten, sagten zwei Drittel, die FBI-Agentin Dana Scully aus der Serie Akte X sei für sie ein Vorbild gewesen. Auch ergreifen Frauen, die regelmäßig Akte X geguckt haben, mit einer um fünfzig Prozent höheren Wahrscheinlichkeit einen technischen Beruf als andere.

Dabei ist ein hoher Frauenanteil im echten Leben allein auch noch kein Garant für ein ausgeglichenes Fernsehprogramm: "Selbst in den Bereichen, in denen Frauen in Wirklichkeit sehr präsent sind, zum Beispiel bei den Richtern und Staatsanwälten, bilden wir diese Realität im Fernsehen nicht ab", sagt Furtwängler. "Da stimmt etwas nicht." Noch nicht. Die SZ hat sich umgehört, welche Schlüsse Sender und Produktionsfirmen in den vergangenen zwölf Monaten aus den Ergebnissen der Studie gezogen haben. Eine Auswahl.

ARD

Wie alle großen Sender unterstützte auch die ARD die Studie, schon im November kündigte man dort Konsequenzen an. Der Anteil der Frauenrollen in Filmen soll erhöht werden, gerade auch von solchen im mittleren und höheren Alter. Bei Samstagabendshows und anderen Unterhaltungsformaten gelte es, einem "historisch bedingten Männerüberhang" entgegenzuwirken, sagt MDR-Intendantin Karola Wille, die intern für das Thema zuständig ist. Auch in Informationssendungen sollen häufiger Frauen zu sehen sein. Richtig konkret klingt das zwar nicht. Aber man will "regelmäßig überprüfen, ob die jetzt beschlossenen Maßnahmen greifen und zu den gewünschten Veränderungen führen".

ZDF

Der öffentlich-rechtliche Anspruch, für Gleichstellung einzutreten, betrifft für die stellvertretende Programmchefin Heike Hempel nicht nur das Geschehen vor der Kamera: "Wie Frauenfiguren in fiktiven Formaten erzählt werden, hat viel damit zu tun, wer hinter der Kamera das Sagen hat." Regelmäßig werde für jeden Sendeplatz gezählt, wie viele Frauen unter den Produzenten, Regisseuren, Autoren seien. Für Regisseurinnen soll im Herbst ein Förderprogramm starten, weitere Gewerke könnten folgen. Dabei gehe es nicht darum, männliche durch weibliche Protagonistinnen zu ersetzen, sondern insgesamt diverser zu werden: "Auch das Männerbild muss modern erzählt werden", sagt Hempel. Bei Gesprächssendungen werde ebenfalls gezählt. Damit sich das Geschlechterverhältnis auch dort verschiebt, will der Sender mehr Frauen auf die vorhandene Expertendatenbank bringen.

Degeto

Die Chefin der ARD-Produktionstochter, Christine Strobl, gilt in der Branche als eine der wichtigsten Treiberinnen von Veränderung. "Abstrakt reden macht mich unruhig", sagt sie, "Ich muss ja keine Studie machen, wenn dann nichts daraus folgt." So hätten die Zahlen gezeigt, dass auch in Degeto-Filmen nur wenige ältere Frauen vorkommen - jetzt verfilmt die Firma den Roman "Wir sind doch Schwestern" über drei Frauen zwischen 90 und 100 Jahren. Dass von solchen Figuren so selten erzählt wird, liege nicht an fehlendem Willen: "Es gibt keinen Widerstand, es geht vielmehr um Sensibilisierung - und die beginnt für uns schon bei der Stoff- und Drehbuchentwicklung", sagt Strobl. Auch hinter der Kamera hat sie etwas geändert, und den Anteil an Regisseurinnen auf 20 Prozent erhöht. Klingt nach wenig - aber vor drei Jahren waren es noch 14 Prozent. Demnächst will Strobl sich und ihrer Firma ein neues Ziel setzen. "Wenn man das einfordert, wird es auch aktiv umgesetzt", sagt sie.

RTL

Der Privatsender sieht Defizite vor allem bei den Informationsangeboten. "Dass dort der Männeranteil noch so hoch ist, liegt ja nicht daran, dass es keine Expertinnen zu diesen Themen gäbe", sagt Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann, der das Thema für die gesamte Sendegruppe vertritt. Er setzt als Gegenmittel auf eine Expertinnen-Datenbank - mit ersten Ergebnissen: Im Vergleich zum Vorjahr hat sich der Anteil der weiblichen Experten "prozentual einstellig" erhöht, auf jetzt etwa 40 Prozent. Aber er soll weiter steigen: "Wir haben ja auch etwa 60 Prozent Zuschauerinnen", sagt Hoffmann. Auch in der Fiktion rufe man sich das Thema immer wieder ins Bewusstsein. "Man muss aber auch aufpassen, dass man nicht bei Malen nach Zahlen landet", so Hoffmann. Sonst laufe man Gefahr, sich auf diese Weise zu weit von dem zu entfernen, "was wir in der Gesellschaft erleben".

Ufa

Bei der Produktionsfirma Ufa sind mehrere konkrete Maßnahmen im Gespräch, um das Geschlechterverhältnis auf dem Bildschirm weiter zu verändern und vielseitigere Frauenfiguren zu erschaffen. Zum einen die Anwendung einer Besetzungsmethode, die gerade bei jenen meist kleineren Rollen für mehr Vielfalt sorgen soll, deren Geschlecht für die Handlung nicht entscheidend ist. Zum anderen die regelmäßige Kontrolle des Bechdeltests, bei dem drei Fragen gestellt werden: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?

Kinderfernsehen

Beim Kinderkanal von ARD und ZDF will man künftig vor allem bei Wissenssendungen auf ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis achten. So soll etwa in der Sendung Erde an Zukunft eine Wissenschaftlerin als Expertin auftauchen, und nicht als Assistentin; im Vorschulbereich setze man durchgängig auf Doppelmoderationen. Kritik gab es im Frühjahr, als für das Reporterformat Checker der dritte männliche Checker in Folge ernannt wurde. Beim Kika verweist man auf den Bayerischen Rundfunk, der den Checker zuliefere. Dort heißt es: "Aus unserer Sicht ist notwendig, dass wir auch weiter starke und neue 'Role-Models' für Jungs entwickeln." Man produziere aber auch Wissensformate, bei denen "toughe" Frauen im Focus stünden. Beim Privatsender SuperRTL verweist man auf Magazine mit Doppelmoderationen und fiktive Figuren, die Genderklischees ganz bewusst nicht bedienten. Klischeehaft weibliche Figuren seien aber auch nicht automatisch etwas Schlechtes. Geschäftsführer Claude Schmit sagt: "Auch in ihnen kann eine Stärke liegen. Mädchenfiguren können hübsch und stark sein, auch in der Weiblichkeit liegen starke Fähigkeiten."

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