Geschichte:Bildertausch per Kurier

Die Nachrichtenagentur Associated Press kooperierte offenbar deutlich länger als bekannt mit Nazi-Deutschland. Bis 1945 teilten die Amerikaner demnach Fotos mit den Nationalsozialisten, wie ein Wissenschaftler nun erstmals belegt.

Von Willi Winkler

Feinde, die Geschichte einer Liebe", heißt eine Erzählung des Literaturnobelpreisträgers Issac Bashevis Singer. Doch nur selten fallen sich Feinde in die Arme, denn schließlich müssen sie einander bekämpfen, manchmal auf Leben und Tod. In dieser Geschichte geht es um Feinde, die sich im Schutz des Schlachtenlärms erstaunlich gut verständigen konnten. Für eine gute Geschichte hat sie viel zu viele Namen, aber dafür gehört sie auch zu den ungewöhnlichsten aus dem vergangenen Jahrhundert.

Willy Brandt, so fasste der Gutachter 1946 sein überaus wohlwollendes Urteil zusammen, "war ein absolut zuverlässiger Anti-Nazi. Es gelang ihm, einen Großteil unseres Eigentums vor der Beschlagnahmung zu bewahren. Deshalb sollte er an seine alte Stelle zurückkehren dürfen." Nächste Woche wird der Stuttgarter Historiker Norman Domeier auf einer Tagung in Washington einen Fund vorstellen, der ihm im Nachlass von Louis P. Lochner gelungen ist. Es handelt sich um Brandts Rechtfertigungsschrift, in der er auf 40 Seiten verklären will, wie er durchs Dritte Reich gekommen ist und nebenbei das Fotoarchiv von Associated Press (AP) vor den Russen gerettet hat. Das Dokument ist keine kleine Sensation, weil es einen Blick in die Kulissen der kriegführenden Länder Deutschland und USA erlaubt. Der gebürtige Amerikaner Lochner war bis 1941 Leiter des Berliner AP-Büros und Brandts Chef. Dieser Brandt hat nichts mit dem Lübecker Sozialisten Herbert Frahm zu tun, der sich 1933 mit einem neuen Namen tarnte und ins Exil ging, sondern eine weitgehend unbekannte Figur im Machtgefüge des Dritten Reiches. Willy Erwin Hermann Brandt war bis Ende 1941 Geschäftsführer der AP GmbH (Foto), also der deutschen Niederlassung der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Der angebliche Anti-Nazi Brandt, Angehöriger der Waffen-SS und auch sonst kein ganz kleines Rädchen, hütete ein nationalsozialistisches Betriebsgeheimnis, das hier zum ersten Mal gelüftet wird: Auch im Zweiten Weltkrieg, der für Deutschland am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation endete, tauschten Amerikaner und Deutsche regelmäßig Bilder. Noch Anfang März 1945 gelangte ein AP-Foto nach Berlin ins Außenministerium. Es zeigte US-Soldaten in den zerbombten Straßen von Köln, ein sicher nicht sehr erhebender Anblick für die Kriegsherren, die im Führerbunker ausharrten. Die Sendungen gingen per Kurierflugzeug täglich von Berlin nach Lissabon und später nach Stockholm und von dort nach London und New York. Auf dem umgekehrten Weg gelangten amerikanische Fotos nach Deutschland.

Die besten Fotos aus Amerika wurden dem offenbar bildersüchtigen Hitler vorgelegt

Während Joseph Goebbels immer neue Tiraden gegen das "verjudete" Amerika und die Herrschaft der Wall Street verbreitete und sein Gefolgsmann Giselher Wirsing nicht müde wurde, kultureuropäisch über den "maßlosen Kontinent" zu zetern, lief der Austausch mit diesem maßlosen Land ungestört weiter. Die besten Bilder aus Amerika wurden dem offenbar bildersüchtigen Hitler vorgelegt. Nach ihm kamen Ribbentrop, Göring, Himmler und Goebbels in Genuss dieses exklusiven Feindmaterials.

Der Austausch wurde im Außenministerium organisiert. Dort wirkte als Zuständiger für die Auslandspresse der Gesandte I. Klasse und SS-Obersturmbannführer Paul Karl Schmidt. Helmut Laux, selbstverständlich auch SS und als Leibfotograf des Außenministers Joachim von Ribbentrop verantwortlich für staatstragende Bilder seines eitlen Chefs, hatte sich die AP-Niederlassung als "Büro Laux" unter den Nagel gerissen. "Ich muss Ihnen ein Geständnis machen, Chef", schreibt Brandt 1946. Das Geständnis war jener 40-seitige Bericht, in dem Willy Brandt nach Kriegsende detailliert darlegt, wie der Bildertausch vonstattenging.

Nazi-Deutschland war nicht nur journalistisch interessant, sondern ein gutes Geschäft, und zwar für beide Seiten. Deutschland war nur wenige Monate nach der Machtergreifung aus dem Völkerbund ausgetreten und hatte eine aggressive Abschottungspolitik gegen das Ausland begonnen. Nach dem sogenannten "Schriftleitergesetz", das auch für Korrespondenten ausländischer Medien galt, durften keine Juden mehr in den Redaktionen beschäftigt werden. Auch AP hielt sich daran, um in Deutschland bleiben zu können. Trotzdem arrangierte man sich.

Die Hallenser Doktorandin Harriet Scharnberg hat bereits 2016 nachweisen können, dass sogar für wüste antisemitische deutsche Publikationen wie Die Juden in USA (1939) und Der Untermensch (1942) Bildmaterial von AP verwendet wurde. Die Agenturen, die in Deutschland arbeiteten, schickten noch 1939 jeden Monat 90 000 Bildvorlagen ins Ausland. Bilder waren die beste Propaganda, und die Fotos von der erfolgreich marschierenden Wehrmacht erfreuten ein Publikum in Übersee, das der Parole "America First!" folgte und auf keinen Fall in den Krieg in Europa hineingezogen werden sollte.

Es kam anders. Nach dem Überfall auf Pearl Harbor erklärte der mit Japan verbündete Hitler den USA den Krieg. Lauren Easton, die Sprecherin von AP, bestätigt auf Nachfrage den Bildertausch, legt aber Wert auf die Feststellung, dass "AP keinen direkten Kontakt mit dem Nazi-Regime" hatte. Das war auch nicht nötig.

Nebenbei bestätigt sie auch eine naheliegende Vermutung: Es war die US-Regierung, die "den Austausch von Nachrichtenbildern aus Deutschland über einen AP-Vertreter im neutralen Portugal autorisierte". Die amerikanischen Verhöroffiziere nahmen dem "Anti-Nazi" Brandt nicht gleich ab, dass er unfreiwillig zur Waffen-SS geraten sein sollte, und verwehrten ihm zunächst die Zulassung als freier Fotograf. Doch schon Ende der Vierzigerjahre wurde er, wie es sein Chef Lochner empfohlen hatte, wieder Foto-Chef von AP Deutschland.

Auch andere kamen recht glimpflich davon und konnten sich beruflich sogar noch verbessern. Ob auch hier die amerikanische Regierung half, ist der weiteren Forschung überlassen. Paul Karl Schmidt, der 1944 noch Vorschläge gemacht hatte, wie sich die Deportation der ungarischen Juden befördern ließe, erlebte die erstaunlichste Karriere. Unter dem schneidigen Kampfnamen Paul Carell schrieb er Bücher über die "Operation Barbarossa" und kreierte die "saubere Wehrmacht", die den Krieg beinah fast doch noch gewonnen hätte. Der Verleger Axel Springer beschäftigte ihn als seinen Sicherheitsberater.

Wegen seiner "sehr guten Informationslinien in den Springer-Konzern hinein" warb ihn der Bundesnachrichtendienst als V-Mann. Lochners Sohn Robert wurde übrigens ebenfalls Journalist und war mehrere Jahre Direktor des Westberliner Senders Rias. Als der US-Präsident 1963 die Stadt besuchte, studierte der jüngere Lochner mit John F. Kennedy dessen legendären Satz "Isch byn ain Bärlina" auf Deutsch ein. Freunde, die Geschichte einer großen Liebe.

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